14. April 2022 2 Likes 1

„The Innocents“: Schmerzhaft realistische X-Men-Variante

Ein wunderbarer Kinderfilm für Erwachsene

Lesezeit: 2 min.

Die neunjährige Ida und ihre ältere Schwester Anna sind mit ihren Eltern in ein Appartmentkomplex gezogen. Weil ihre Schwester Autistin ist, muss Ida oft die Verantwortung übernehmen, allerdings sehnt sie sich natürlich nach Kontakt zu Gleichaltrigen. Da kommen Aisha und Ben gerade richtig. Ein spaßiger Sommer steht bevor, zumal die Kinder telekinetische Kräfte in sich entdecken. Doch Ben gerät dank seiner neu entdeckten Macht außer Kontrolle …

Mit Kinderdarstellungen im Filmen ist es immer etwas problematisch: Meistens werden die kleinen Protagonisten entweder idealisiert oder verteufelt, dazwischen gibt es kaum etwas. Regisseur und Drehbuchautor Eskil Vogt (jüngst oskarnominiert für das Skript zu „Der schlimmste Mensch der Welt“) wählt einen anderen, aufrichtigen Weg und erkundet mit ehrlichem Interesse die Erfahrungswelt seiner kleinen Protagonisten. Die verhalten sich mal nett bis süß, aber bisweilen eben auch ziemlich grausam. Da wird schon mal ein Regenwurm zertreten oder die behinderte Schwester gequält, einfach, weil man es kann, oder eine Katze vom obersten Stockwerk eines Treppenhauses runtergeschmissen um zu sehen, was passiert.

Und obwohl das – vor allem aufgrund der unaufgeregten, betont nüchtern-realistischen Inszenierung – unangenehm anzuschauen ist, kippt dieser Genremix nie in Horrorfilmgefilde, was daran liegt, dass Vogt seine Protagonisten ernst nimmt, ihnen auf Augenhöhe begegnet. Es sind nun mal in erster Linie Kinder, die die nicht so recht wissen, was sie tun, deren moralischer Kompass noch nicht eingepegelt ist. Selbst Ben, der sich mit der Zeit als Antagonist entpuppt, wird in einem differenzierten Licht gezeichnet – er richtet zwar einiges an Unheil an und ihm ist auch bewusst, was er da macht, aber sein Verhalten resultiert eben nicht so sehr aus einer tatsächlichen Boshaftigkeit heraus, sondern vielmehr aus emotionaler Unreife.

Im Fokus von „The Innocents“ steht, wie gesagt, die Welt der Kinder und Vogt nimmt sie mit aller Konsequenz ernst: Ihre besonderen Fähigkeiten werden von den Protagonisten mit absoluter Selbstverständlichkeit akzeptiert, sie werden nicht groß thematisiert oder gar erklärt, die Erwachsenen sind komplett außen vor und bekommen von all dem nichts mit. Man taucht als Zuschauer in eine geheime Welt ein, die so hinreißend, wie erschreckend ist und dank der subtilen Inszenierung Vogts eine besondere Tiefenwirkung entfaltet. Anders als im amerikanischen Superhelden-Genre, und zumindest in Grundzügen erinnert das Geschehen durchaus ein wenig an die populäre „X-Men“-Franchise, spielt sich die in nüchtern-dokumentarischen Bildern eingefangene Geschichte meist am helllichten Tag in einer gewöhnlichen, tristen Sozialsiedlung ab und mit der selben Nüchternheit werden auch die Effekte, sonst meistens Herzstück einer jeden Geschichte dieser Art, präsentiert: Sie sind einfach da – aber entwickeln gerade durch diesem Umstand eine Dringlichkeit, die besonders im unspektakulär spektakulären Finale zur Geltung kommt. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wenig doch so viel mehr ist.

„The Innocents“ läuft ab dem 14. April 2022 im Kino.

„The Innocents“ (Dänemark/Finnland/Frankreich/Norwegen/Schweden 2021) • Regie: Eskil Vogt • Darsteller: Rakel Lenora, Fløttum, Alva Brynsmo Ramstad, Sam Ashraf, Mina Yasmin Bremseth Asheim

Kommentare

Bild des Benutzers andreas10

Wenn man ne Katze vom Dach schmeißt, gibt's daran nic zu entschuldigen, selbst wenns ,,nur" Kinder sind.

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