31. August 2017 2 Likes

In Hell

Ein spielbares „Valhalla Rising“: „Hellblade: Senua's Sacrifice“

Lesezeit: 5 min.

Kaum ein Titel sorgte nach dem Auftauchen der ersten Screenshots und Videos in diesem Jahr für mehr freudige Erwartung als das Action-Adventure Hellblade: Senua’s Sacrifice (siehe auch unsere Preview) Die Genre-Experten von Ninja Theory, denen bereits mit Kritikerlieblingen wie Enslaved: Odyssey to the West oder dem gelungenen Reboot von Devil May Cry gerade inszenatorisch einige mehr als beachtliche Titel gelangen, beschreiten mit Hellblade nun gerade in figurativer Hinsicht unkonventionelle Wege. Denn das Abenteuer bietet vor allem eine in dieser Form zuvor kaum je erreichte Atmosphäre, die von der ersten Sekunde an mit ihrer Konsequenz fesselt und zunehmend begeistert.

Hauptfigur Senua ist nämlich alles andere als eine strahlende Heldin, sondern eine getriebene, vom Leben gezeichnete Kriegerin, die sich auf die verzweifelte Reise in die Unterwelt begibt, um ihren getöteten Geliebten zurückzuholen. Angelehnt an die nordische Mythologie verschlägt es uns mit ihr in eine karge, von geisterhaften Gegnern bevölkerte Welt, in der wir uns nur mit einem Schwert bewaffnet zur Wehr setzen können. Bestialische Götter, geheimnisvolle Pforten oder auch die immer wieder aufgerufenen Sagen um heroische Legenden wie Sigurd oder die Götterdämmerung Ragnarök sind in Hellblade teils in überlieferter, teils in explizit verhandelter Form stets omnipräsent.

Doch Senuas eigentlicher Kampf findet nicht physisch, sondern in ihrer eigenen Psyche statt. Die junge Frau – so legt es die gesamte Inszenierung glaubhaft nahe – leidet an einer Form der Schizophrenie, die sie dauernd Stimmen hören lässt und mit ihrer tief traurigen Vergangenheit zusammenhängt. Diese Feinheit der Figurenkonzeption verleiht der Story einen ganz eigenen, zwischen Brutalität und Zärtlichkeit schwelenden Touch, da wir einerseits mit Senua intensiver mitfühlen als mit so manch gefestigter Heldin; andererseits aber auch nie völlig sicher sein können, ob wir uns auf ihre Wahrnehmung verlassen und uns nicht vielleicht doch in einem tiefschwarzen Traum befinden.

Dass es das Gameplay leider ein wenig versäumt, daraus mehr spielerisches Kapitel zu ziehen und insgesamt auf dieser Ebene hinter der hohen Qualität der Inszenierung zurückbleibt, bezeichnet im Detail einige der wenigen, aber leider eben sehr präsenten Mängel. Oder anders gesagt: Nur wenige Top-Games führen uns ähnlich stark das Auseinanderdriften zwischen Atmosphäre, Story und Figuren im direkten Vergleich zum oft eher lahmen und viel zu repetitiven Gameplay so deutlich vor Augen wie Hellblade. Die einzelnen Gameplay-Elemente sind meist strikt voneinander getrennt und daher gestaltet sich der Ablauf sehr statisch. Darunter leidet auch der insgesamt eher geringe Wiederspielwert, da der Reiz des Titels primär aus Senuas psychischer Instabilität und ihrer intensiven Figuration im Zusammenspiel mit der unfassbar dichten Atmosphäre resultiert.

Mit Senua als einzigen spielbaren Charakter begeben wir uns auf ein sehr lineares Abenteuer, das uns nach einer grandios entrückten Einführung in Form einer Floßfahrt durch ein nebelverhangenes Gebiet jenseits jeder Zivilisation nur wenig Entscheidungsspielraum lässt. Zwar haben wir kurz darauf die Wahl zwischen zwei Gottheiten, die wir zum Weiterkommen nacheinander in ihren Reichen aufspüren und bezwingen müssen, doch sowohl vom Ablauf wie auch dem strukturellen Design der Areale darf man hier bereits keine große Unterschiede erwarten. Speziell der Ablauf bleibt über die gesamte Spielzeit von gut 8-9 Stunden unflexibel: Wir laufen von einem Tor zum nächsten, finden mithilfe des immer gleichen Rätselaufbaus einen Weg, sie zu öffnen, und stellen uns in klar als solchen erkennbaren Kampfplätzen einer Überzahl barbarischer Krieger, wobei sich die Anzahl an Klassen und Angriffsmustern überschaubar hält.

Speziell die Rätsel gehen einem schnell auf die Nerven, da es stets nur darum geht, bestimmte Symbole innerhalb eines Areals aufzuspüren und sie mit einem Fokusblick zur Öffnung des jeweiligen Tores freizuschalten, oder den richtigen Standpunkt zu finden, um leicht verschobene Stücke (etwa einer Brücke) visuell wieder „einzugliedern“. Zwar gesellen sich gegen Ende weitere Varianten hinzu und es gelingt Hellblade beispielsweise mit einigen kürzeren Stealth- und Rennpassagen, auch aus dieser Facette des Gameplays situativ Spannung zu generieren. Doch solche Versuche bleiben in Summe nur Stückwerk und kommen eben viel zu selten vor. Die Kämpfe fühlen sich dagegen angenehm wuchtig und speziell bei den Konfrontationen mit den Gottheiten sehr dramatisch an. Das liegt vor allem an der Fokussierung auf Schwert, Ausweichen und Blocken, ohne das weitere Aktionen nötig wären und wir so jeden Kampf als echte Bedrohung empfinden, der wir uns in einer geradezu archaischen Ursprünglichkeit stellen müssen.

Ganz im Sinne des Ansatzes, primär die Atmosphäre in den Vordergrund zu stellen, verzichteten die Entwickler auf Anzeigen wie Lebensbalken oder Items. Dieser Gedanke geht sogar soweit, dass wir Senuas mögliches Ableben aufgrund ihrer sehr expressiven Mimik regelrecht mitfühlen und daraus ihren Gesundheitszustand eher interpretativ ableiten müssen. Sollte sie dann tatsächlich einmal das Zeitliche segnen, steigt ein zu Beginn der Reise bereits initiierter Fluch an ihrem Arm immer weiter in Richtung ihres Kopfes. Das Perfide daran: Sollte er sich dort komplett ausgebreitet haben, geht der komplette Spielfortschritt verloren und wir müssten unsere Reise ganz neu starten – selbst der automatische Speicherstand wird vollständig gelöscht. Da das Geschehen allerdings bis auf einige wenige Situationen während der Kämpfe sehr fair bleibt und es außerhalb derer kaum bis keine Todesmöglichkeit gibt, dürften einigermaßen geübte Spieler keine Probleme haben, Senua bis zum stimmigen Abspann zu begleiten; zumal auch die Rücksetzpunkte jederzeit gut gesetzt sind. Technisch gibt es ohnehin nichts zu meckern.

Fazit

Was für Cineasten Pathfinder oder gerade das zeitlose Meisterwerk Valhalla Rising von Nicolas Winding-Refn ist, könnte für Gamer Hellblade werden. Ninja Theorys Abstieg in die Welt der nordischen Mythologie inklusive einer hochgradig spannenden Inszenierungsweise, die fast immer konsequent auf das Prinzip „Show, don´t tell“ setzt, ist ein absoluter Pflichtkauf für Action-Adventure-Fans. Gerade Heldin Senua markiert als weiblicher Orpheus in der Unterwelt ein figuratives Highlight mit viel Potenzial, das erzählerisch nicht einmal komplett ausgeschöpft scheint. Zwar versäumen es die Macher, mit mehr Abwechslung und einer weniger beliebigen Levelgestaltung auch spielerisch wirklich den Olymp zu erklimmen, doch die Kritik verblasst letztlich recht schnell, wenn man sich auf die Grundstimmung erstmal eingelassen hat. Ein rohes Juwel, das vielleicht erst bei einer möglichen Fortsetzung den letzten Feinschliff erhält – oder als erratische Großtat mit Fehlern Kultstatus unter Kennern einnimmt.

Hellblade: Senua’s Sacrifice ist Anfang August für PS4 und PC erschienen

Hellblade: Senua’s Sacrifice • Ninja Theory • Action-Adventure

Abb. © Ninja Theory

 

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