12. März 2020 2 Likes

Kleiner Waldgeist, großes Spiel

Mit „Ori and the Will of the Wisps“ erschien eines der zauberhaftesten Phantastik-Spiele der letzten Jahre

Lesezeit: 5 min.

Da hat sich aber mal jemand richtig Zeit gelassen. Satte fünf Jahre nachdem der Erstling Ori and the Blind Forest die Kritikergemeinde verzückt hat, veröffentlichte Moon Studios am 11. März endlich den Nachfolger eines der besten Geschicklichkeitsmeilensteine der letzten Dekade. Der bleibt dank Microsoft exklusiv PC- und Xbox-Spielern vorbehalten und serviert uns neben den Qualitäten des Vorgängers auch so manch sinnvolle Neuerung und ein insgesamt runderes Erlebnis, wie sich schon nach wenigen Spielstunden abzeichnet.

Die Story passt hingegen wie bei Teil 1 auf einen halben Bierdeckel, doch darauf kommt es ohnehin nicht an. Waldgeist Ori und seine knuffigen Freunde pflegten die verletzte Eule Ku, die sich, frisch verheilt, nun wieder in die Lüfte schwingt. Doch ein kräftiger Sturm reißt Ori und Ku über einem bislang unbekannten Gebiet namens Niwen auseinander und die Aufgabe besteht folglich darin, unseren Eulenfreund im weit verzweigten Neuland ausfindig zu machen. Man ahnt es jedoch schon: Es wird nicht bei dieser Rettungsmission bleiben, denn die namensgebenden Wisps (also Irrlichter) eröffnen einige magische Geheimnisse und Gefahren. 

Schon ein flüchtiger Blick auf das in diesem Fall wahrlich farbenprächtige Design mit seinen schicken Lichtnuancen und den liebevoll gestalteten Charakteren macht selbst für Ori-Neueinsteiger in unnachahmlicher Art deutlich, mit wieviel Esprit die Programmierer an ihr Fantasyabenteuer herangegangen sind. Überall flirren Partikel durch die Luft und jede Faser scheint mit Leben erfüllt. Die mimischen Eigenheiten der Figuren gehen sofort ans Herz und der stimmungsvoll zwischen wuchtiger Dramatik und einfühlender Emotionalität changierende Soundtrack untermalt das zwar nicht gerade tiefgründige, aber auch nicht aufdringlich simple Storytelling um urklassische Motivstandards wie Licht vs. Dunkelheit in jeder Situation perfekt.

Das schon für den Vorgänger typische 2D-Metroidvania-Gameplay ist auch diesmal wieder in Erkunden, Kämpfen und Geschicklichkeitspassagen überwinden aufgeteilt, die unser Held diesmal mit vergleichsweise umfangreicherem Aktionsrepertoire meistern darf. Anders als im Erstling teilt Ori nun etwa mit einem Energieschwert und rabiaten Attacken wie einem Rundumschlag ordentlich aus, sodass die Gefechte gegen das vorwiegend tierische Feindesvolk wie Moskitos oder Spinnen ungleich variantenreicher und direkter ausfallen.

So ergibt sich im Verlauf des Spiels ein gut durchdachter Actionmix aus Ausweichen und Attackieren, der Ori trotz hohem Knuddelfaktor im Verbund mit den komplexen Hindernispassagen richtig guttut. Mittels Dash, Doppel- und Wandsprung huscht der Waldgeist flink durch die zuweilen recht anspruchsvollen Gebiete, wobei sich viele Geheimnisse und Neuwege erst im Verlauf der Kampagne offenbaren und wir folglich immer wieder an bereits besuchte Abzweigungen zurückkehren können (und sollten).

Zusätzlich zu den erst nach und nach freigeschalteten weiteren Fähigkeiten gesellt sich in Teil 2 nun auch das sogenannte Geistersplittersystem, mit dem sich passive Fähigkeiten wie z.B. ein verminderter Schaden oder erweiterte Bewegungsmuster in einem dafür vorgesehenen Skilltree ein- bzw. austauschen lassen. 32 Stück sind es insgesamt, doch diese Summe ergibt sich erst, wenn wir alle Splitter in der Spielwelt finden oder beim Händler erwerben. Ein netter Zusatz im Stile eines RPG, der sich ebenfalls stimmig in das Gesamtkorsett des Titels einfügt und zum Experimentieren animiert, welche der maximal drei am Stück verfügbaren Slots man situativ mit welcher Fähigkeit bestückt.

Die Steuerung der gut und gerne 15-20 Spielstunden geht bestens von der Hand, erfordert aber bei hektischeren Szenen wie mehreren anstürmenden Gegnern oder der Flucht vor Wasserwalzen und Lavafontänen ein gewisses Können, um nicht schon auf dem mittleren von drei Schwierigkeitsgraden latente Frustgedanken aufkeimen zu lasen. Fair gesetzte Checkpoints mildern das allerdings in jedem Fall spürbar ab. Kurzum: Ori ist nichts für unbedarfte Greenhorns, aber auch nicht überhartes Genrefutter, an dem man sich die Zähne wie bei Ubisofts musikalisch angehauchter Hüpfikone Rayman ausbeißt.

Wer sich etwas Zeit zum Üben nimmt und aus Fehlern lernt (speziell bei den Fluchtpassagen), kommt beim Schwingen mit Lianen oder virtuosen Sprungkombinationen über Abgründe schnell in einen regelrechten Flow, mit dem sich die Jagd nach versteckten Extras selbst bei den kleineren Rätseleinlagen gleich noch befriedigender anfühlt. Dazu tragen gleichsam die ungemein abwechslungsreichen, ohne allzu nervige Ladezeiten aneinandergereihten Areale zwischen düsteren Höllen, Schnee- und Unterwasserlandschaft oder wildwucherndem Zauberwald bei, in denen auch die schaurig schönen Bossgegner als weitere Großhighlights warten.

Die ebenfalls nicht ganz einfachen Duelle gegen die bildschirmfüllenden Ungeheuer wie eine Riesenspinne oder einen Monstervogel überzeugen mit ihrer jeweils eigens erforderlichen Taktik bei gleichzeitig fulminanter Inszenierung und dürften speziell mit letzterem selbst erfahreneren Zockersemestern noch länger im Gedächtnis bleiben. Das Trefferfeedback tut sein Übriges dazu, denn gerade gegen die Bosse wirken erfolgreiche Angriffe besonders wuchtig und sorgen für kleine Jubelarien, wenn unser wendiger Miniheld als Sieger aus den Schlachten hervorgeht.

Als letztes Sahnehäufchen hat Ori and the Will of the Wisps nicht nur eine wunderschöne, sondern eben auch mit Geheimnissen und Nebenquests randvolle Spielwelt zu bieten, in der wir selbst bestimmen, ob wir aus der ohnehin üppigen Spielzeit nicht noch etliche weitere Stunden herausholen. Ob Sammelaufgaben oder von Waldbewohnern angeregte Extramissionen: Ori gehen auf seiner Jagd die Ziele nie aus. Da ist es auch zu verschmerzen, dass der oftmalige Blick auf die Karte nötig ist, um sich in den Verzweigungen Niwens überhaupt zurecht zu finden.

Von der eigentlich fabelhaften Technik haben wir bereits geschwärmt, allerdings kursieren mehrere Berichte über heftige Bugs und Slowdowns speziell in der Xbox One-Version (wir spielten die weitgehend saubere PC-Fassung), welche die Macher hoffentlich alsbald herauspatchen. So bleibt unter dem Strich ein hochgradig fesselndes wie forderndes Jump&Run für Jung und Alt mit vielen guten Ideen, grandiosen Settings und charmanten Charakteren, die vor allem optisch nachwirken. Die hier kredenzte Welt dürfte in ihrer unwiderstehlichen Traumhaftigkeit Maßstäbe setzen. Daher ein letztes Pro-Argument: Der aktuelle Preis beträgt nur schlappe 30 Euro.

Fazit

Inspirierend und rührend, berauschend und fordernd: Ori and the Will of the Wisps ist für alle, die nur irgendwie mit Fantasy, Jump&Run und Metroidvania warm werden, ein unbedingtes Muss.

Ori and the Will of the Wisps • Moon Studios/Microsoft Game Studios • Action-Jump&Run/Metroidvania • Xbox One/PC

Abb. © Microsoft

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