15. November 2014 3 Likes

Die beste Technologie der Welt

Wie die Optogenetik mein Leben veränderte – Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 7 min.

Nur etwa alle zwanzig Jahre kommt es zu einer bedeutenden technologischen Neuerung. 1950 war es der Computer. 1970 das Internet. 1990 dann das Mobiltelefon. Und 2010 wurde die Optogenetik technisch so ausgereift, dass die Zeitschrift Nature Methods sie zur Methode des Jahres kürte. Seitdem ist viel Zeit vergangen und heute blicke ich stolz darauf zurück, an dieser wissenschaftlichen Revolution mitgearbeitet zu haben.

Als junger, unbedeutender Molekularbiologe war ich 2003 zum Team von Karl Deisseroth in Stanford gestoßen. Er forschte damals am Genom der Süßwasseralge Chlamydomonas reinhardtii. Sie ist keine besondere Schönheit – stellen Sie sich ein winziges grünes Ei mit zwei Fühlern vor –, aber sie hat ein primitives Auge und kann gezielt Lichtquellen ansteuern, was sie für die neurologische Forschung interessant macht. Also bekam ich ein zu dem Tierchen passendes Minigehalt und ein noch kleineres Bürolabor, wo ich einzelne Gene aus der Alge isolieren und untersuchen sollte. Da ich nicht gerade der Kreativste meines Jahrgangs war – und mich gerade meine Frau zu verlassen drohte –, war ich gleichzeitig antriebslos und nicht ganz bei der Sache. Die Arbeit ging mühsam voran; schon malte ich mir aus, gekündigt zu werden, da das Institut ohnehin unter Geldsorgen litt.

Das änderte sich, als Forschungsergebnisse der University of Oxford bei uns eintrafen: Zwei junge Wissenschaftler – der Österreicher Gero Miesenböck und der Russe Boris Zemelman – hatten eine einfache Methode entwickelt, wie man das aus unserer Alge stammende Kanalprotein Channelrhodopsin (ChR2) in kultivierte Neurone einbringen konnte. Nun fragen Sie sich vermutlich, was daran so toll sein soll. Okay, stellen Sie sich Neuronen – also die Zellen eines Gehirns – vor: ein hochkomplexes, wunderbares Netzwerk, das jedoch zu überhaupt nichts gut wäre, wenn sich die Neuronen nicht aktivieren ließen. Damit sie „feuern“ und miteinander kommunizieren können, müssen große Mengen geladener Teilchen in sie eindringen (etwa wenn ein Außenreiz über die Nervenbahnen ins Gehirn übertragen wird). Dazu wiederum müssen Kanalproteine, die in der Zellmembran der Neuronen sitzen, sich genau im richtigen Moment öffnen. Wenn man also die Kanalproteine steuern könnte, wäre man auch in der Lage, gezielt einzelne Gehirnregionen feuern zu lassen.

Wir erkannten (genauer gesagt erkannte es die Arbeitsgruppe, ich selber war gerade mit meiner Frau bei einem Ehetherapeuten), dass sich daraus ein wahres Wundermittel ergab. In den nächsten Monaten bauten wir in die Gehirnzellen von Labormäusen ChR2-Kanalproteine unserer Alge ein. Da die Alge ja lichtsensitiv ist, wussten wir, dass wir das ChR2 ganz einfach über Lichtreize öffnen und schließen – und damit die Neuronen steuern – konnten. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als meine Frau sich dann scheiden ließ und ich dieses Alkoholproblem bekam, hatten wir den ersten Mäusen dünne Glasfaserkabel ins Gehirn implantiert. So fanden wir durch gezieltes Ein- und Ausschalten von Licht heraus, wann welche Neuronen feuerten und somit, welche Aufgaben die jeweiligen Zellen erfüllten. Nach einiger Zeit genügte es, einen Lichtschalter zu drücken, um die vorher festgelegten Neuronengruppen schlagartig zu aktivieren oder verstummen zu lassen. Unsere Mäuse liefen also, wenn wir es wollten, eine Weile im Kreis herum und hielten dann plötzlich inne, sobald wir den Schalter drückten. Denn wer die Neuronen kontrolliert, hat auch Macht über das Verhalten.

Gerade als wir die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse publizierten und die Fachwelt begeisterte Rückmeldungen schickte, wurde leider auch mein Problem offenkundig: Der Laborleiter ertappte mich dabei, wie ich völlig betrunken zwanzig verkabelten Mäusen die Grundlagen des Line Dance beibringen wollten (sie waren gar nicht mal schlecht, wie die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen). Nun stellte man mich vor die Wahl: Entweder ich verließ das Institut, oder ich zeigte mich kooperationsbereit. Letzteres hieß, dass ich im angrenzenden Labor freiwillig an einem neurologischen Experiment teilnahm, bei dem die für Alkoholismus zuständigen Gehirnbereiche durch Signalreize gehemmt und langfristig stillgelegt werden. Ich brauchte nicht lange zu überlegen …

Heute kann ich ganz offen darüber sprechen und Ihnen sagen: Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Schon nach wenigen Behandlungstagen zeigten sich Fortschritte. Ich griff nicht mehr zur  Flasche, strukturierte meinen Tag wieder regelmäßiger und konnte viel klarer denken als zuvor. Mit neuem Elan warf ich mich in die Arbeit. Bald stellten wir fest, wie sich unsere Methode der lichtinduzierten Neuronensteuerung mit einem gentechnischen Trick noch verbessern ließ: Statt den Algen die Kanäle selbst zu  entnehmen, verwendeten wir nur noch die genetische Bauanleitung. Diese transferierten wir in das Genom der Mäuseembryonen und koppelten sie dort an Abschnitte der DNS, die nur von bestimmten Nervenzelltypen abgelesen werden. Wuchsen unsere Versuchstiere heran, stellten ausschließlich Zellen solchen  Typs die gewünschten Kanalproteine her. Setzten wir die Kanal-DNS etwa an den Erbgutabschnitt des Botenstoffs Dopamin, reagierten nur noch Dopamin ausschüttende Zellen auf die Lichtsignale. Mit der Zeit ließen wir die Mäuse also nicht mehr nur nach unseren Befehlen rennen, sondern veränderten durch die unterschiedlichen Hormonausstöße auch ihre Emotionen, ihre Aggressivität, ihre Triebsucht, ihre Neugier, ihr Risikobewusstsein – schlicht alles was so eine Maus neurologisch ausmacht.

Dann schlug ich den nächsten, noch wichtigeren Schritt vor (ich war mittlerweile zum Laborleiter aufgestiegen, mit eigenem Budget und Personal – ich fühlte mich großartig). Statt Mäusen nahmen wir jetzt Primaten, also Rhesusaffen, Kapuzineräffchen und schließlich Schimpansen. An ihnen konnten wir zeigen, dass sich auch komplexere Gehirne nichtinvasiv – also ohne chirurgische Eingriffe – nur durch Lichtschaltungen beeinflussen ließen. Das war eine biotechnologische Sensation. Wir hatten nun den Schlüssel in der Hand, Krankheiten des Gehirns praktisch ohne Operationen zu behandeln: Alzheimer zum Beispiel, neurologische Störungen bis hin zu Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats. Es war die beste aller Technologien, denn wir konnten damit das Leben der Menschen für immer verbessern. Wir erhielten Anfragen aus aller Welt, unsere Methode auf Fachkongressen darzustellen, sogar das Fernsehen wollte uns haben. Aber noch wichtiger: Meine Frau las einen der Berichte, wir trafen uns zum Abendessen, sie erkannte wie sehr ich mich zum Positiven verändert hatte … und heute sind wir wieder zusammen. Danke. Ich danke Ihnen für den freundlichen Applaus.

Mein persönliches und berufliches Glück ging aber noch weiter. Der endgültige Durchbruch in der wissenschaftlichen Szene gelang 2014, als ich gemeinsam mit Susumu Tonegawa vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigte, dass wir sogar die Erinnerungen unserer Versuchstiere manipulieren konnten. Wir mussten dazu lediglich jene Schaltkreise in Hippocampus und Amygdala verändern, welche positive oder negative Emotionen registrieren und speichern. Durch in die DNS dieser Tiere eingebaute Marker sahen wir bei Tests sofort, welche das waren: Bekam einer unserer Affen etwa einen Stromschlag, leuchteten ganz andere Neuronenbereiche auf als im Falle einer Belohnung. Und noch wichtiger: Jedes emotionale Ereignis hinterließ eine eindeutige Gedächtnisspur, ein Engramm, in den beteiligten Neuronen. Aktivierten wir später mit unserem Lichtschalter genau diese Neuronen, reagierten die Tiere auch in neutraler Umgebung, als hätten sie gerade einen Schlag erhalten. Oder sie fühlten sich belohnt, obwohl sie soeben unter Strom gesetzt worden waren. Wir konnten also die emotionale Assoziation einer konkreten Erinnerung auch im Nachhinein noch verändern! Dies stellte  – auf den Menschen umgewälzt – einen gänzlich neuen medizinischen Ansatz dar, um beispielsweise posttraumatische Erkrankungen zu behandeln. Was bei Schimpansen funktionierte, sollte auch bei uns selbst klappen.

Heute möchte ich Sie, geschätzte Jury, mit meinem Vortrag davon überzeugen, in dieses ehrgeizige Projekt zu investieren. In vier bis sechs  Jahren, spätestens 2025 also, werden wir in der Lage sein, praktisch jede mit dem menschlichen Gehirn gekoppelte Krankheit zu … [Moment. Ich kann nicht … was ist denn?] Entschuldigen Sie, wir waren bei den Potenzialen der Optogenetik. Sie ist nicht nur der Schlüssel zu Alzheimer und Parkinson, sondern kann auch per Knopfdruck die Erinnerung und damit das Verhalten von Neurotikern, Aggressoren und Suizidgefährdeten verändern. Stellen Sie sich vor, was wir damit … [Warum ist das Licht plötzlich weg? Haben wir Stromschwankungen? Entschuldigung, wo war ich gerade …] Danke, jetzt sieht man wieder was. Wir stehen also ganz  knapp vor der nächsten wissenschaftlichen Revolution … [Schon wieder Stromausfall, kann ich bitte …] Also ein Durchbruch auch in der Kriminalitätsbekämpfung. Die Behörden müssen lediglich die frühesten Kindheitserinnerungen potenzieller Straftäter manipulieren, um … [Wer sind Sie? Was soll das hier? Kann jemand bitte das Licht wieder …] Selbstverständlich lassen sich damit auch Alkoholprobleme und Drogensucht endlich flächendeckend unter Kontrolle bringen, ganz zu schweigen von … [Oh Gott, wo bin ich hier? Warum haben Sie mich festgeschnallt? Es ist so dunkel, warum …] Sie sehen also, geschätzte Jury, durch die gezielte, nachträgliche Manipulation der Erinnerung lassen sich aus Verlierern Gewinner machen, aus Pessimisten Optimisten, aus Querköpfen kooperative Menschen. Einfach per Lichtsteuerung, über gentechnisch eingeschleuste Neuronenschaltungen. Ich bin stolz darauf, mit meinen Forschungserfolgen dazu beigetragen zu haben, dass uns die Optogenetik ein Werkzeug in die … [Hey, könnt ihr bitte das Licht wieder einschalten und mich hier losmachen? Ich habe euch doch gesagt, ich will an dem Experiment nicht mehr teilnehmen! Ich bin kein Versuchskaninchen! Kann ich also bitte … kann ich … Hey, ich bräuchte jetzt dringend mal einen Schluck … habt ihr dort im Laborschrank nicht Whisky versteckt?]

 

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst.

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