16. Oktober 2020 5 Likes

Der Apokalyptiker

Niemand verkörpert den paranoiden Mainstream der derzeitigen Menschheitsepoche so gut wie Donald Trump

Lesezeit: 8 min.

Hätte Robert A. Heinlein Donald Trump gewählt? Ich vermute, nein. Zwar hatte der amerikanische Science-Fiction-Autor bekanntermaßen reaktionäre Neigungen, aber Trump – die Person ebenso wie das Phänomen – hätte ihn wohl zu sehr an seine eigenen düsteren Zukunftsszenarien erinnert.

Als Heinlein nämlich in den 1940er-Jahren seine berühmte Future History entwarf, nannte er den ersten Zeitabschnitt, also die von ihm aus gesehen nähere Zukunft, schlicht „Die verrückten Jahre“. Wie lange dieser Abschnitt genau andauern sollte, ist unter Heinlein-Exegeten umstritten, denn der Autor hatte es nicht so mit exakten Datierungen. Liest man allerdings, was die verrückten Jahre laut Heinlein ausmacht, dann wird deutlich, dass wir immer noch in dieser Zeit leben und vermutlich noch lange leben werden. So heißt es in Heinleins Chronologie: „Beträchtlicher technischer Fortschritt in dieser Periode, begleitet von allmählichem Verlust der Orientierung und dem Verfall der gesellschaftlichen Institutionen. Daraus folgen Massenpsychosen.“

Womit wir bei Donald Trump wären – jenem Mann, der sich den beträchtlichen technischen Fortschritt in den menschlichen Kommunikationsformen auf eine Weise zunutze gemacht hat, die maßgeblich zum Orientierungsverlust und institutionellem Verfall nicht nur in den USA, sondern auf dem ganzen Planeten beigetragen hat. Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten in einer Welt, in der „Gesellschaft“ vor allem als manipulierter und unreflektierter Meinungskampf im Digitalen stattfindet, einer der Hauptprotagonisten dieses Kampfes ist, dann hat das gefährliche Folgen für das Zusammenleben der Menschen und die politischen Ordnungssysteme. Mit seinen wirren Tweets, seinen unverhohlenen Lügen, seinem ruchlosen Agendasetting, seinem moralischen Zynismus und seiner demonstrativen Ignoranz (die, wie wir inzwischen wissen, in der Pandemie unzähligen Menschen das Leben gekostet hat) symbolisiert Trump geradezu passgenau, was Heinlein mit den verrückten Jahren gemeint hat: die irrationale politische Reaktion einer Gemeinschaft auf rasante und grundlegende Veränderungen.

Aber politische Irrationalität ist nur die eine Seite des Phänomens Trump und der verrückten Jahre, die wir gerade durchleben. Gleichzeitig steht Trump auch für eine Politik, die auf ihre Art völlig rational ist.

Das erschließt sich zugegebenermaßen nicht gleich auf den ersten Blick. Trump ist so absorbierend, so narzisstisch und so erratisch, dass sich Tag für Tag ein globales Publikum emotional an ihm abarbeitet und die allermeisten Beobachter der Meinung sind, dass er für nichts anderes steht als für sein absorbierendes, narzisstisches, erratisches Ich, dass er kein politisches Programm, keine politischen Ziele, keine politischen Werte hat.

Das stimmt. Und es stimmt auch nicht.

Es stimmt insofern, als sich Trump keiner traditionellen politischen Programmatik zuordnen lässt. Er nutzt die republikanische Partei als Plattform für seine Präsidentschaft (und die republikanische Partei nutzt ihn als Mittel für die Durchsetzung einzelner politischer Ziele, insbesondere was die Besetzung von Richterposten auf Bundesebene betrifft), aber mit dem, was die Republikaner politisch jahrzehntelang auszeichnete, hat er praktisch nichts am Hut. Er geriert sich als Neoliberaler, aber hat kein Problem mit massiven staatlichen Interventionen. Man nennt ihn einen Populisten (eine Bezeichnung, die ohnehin am Rand des Absurden schrammt, denn eine Demokratie ist ihrer Natur nach populistisch), aber die Populisten in den USA waren vor dem Zweiten Weltkrieg eine politische Strömung, die die Macht des Big Business brechen wollte – Trump hingegen ist das Big Business.

Trump ist programmatisch also nicht zu fassen, ja, wenn man die vier Jahre seiner Präsidentschaft Revue passieren lässt, könnte man sogar zu der Erkenntnis kommen, dass er für gar keine spezifische Politik steht, sondern nur für ein propagandistisches Dauerfeuer aus Unwahrheiten, Verschwörungstheorien, Geschichtsfälschungen und blankem Unsinn. (Slogans wie „Make America Great Again“, „America First“ und „Law and Order” hat er ohnehin nur von Vorgängern wie Ronald Reagan oder Richard Nixon abgekupfert.) Eine wie auch immer geartete konstruktive, lösungsorientierte Politik fand in diesen vier Jahren praktisch nicht statt. Außer dass Trump die Steuern für die Reichen gesenkt hat, hat er keines seiner innenpolitischen Versprechen eingelöst. Der Schuldenberg wurde nicht abgetragen, die Infrastruktur nicht modernisiert, die Obama’sche Krankenversicherung nicht ersetzt. Es sind auch keine neuen Industriearbeitsplätze entstanden. Noch verheerender ist die Bilanz in der Außenpolitik, die sich darauf beschränkte, internationale Ordnungssysteme und Regelungsmechanismen zu unterminieren oder ganz zu zerstören oder, wie im Nahen Osten, eine Friedensregelung zu verkünden, die eine der beiden Konfliktparteien komplett außen vor lässt.

Überraschend ist das alles nicht, denn ein Präsident, dessen Denken obsessiv um Sieg und Niederlage, um Triumph und Demütigung kreist, kann gar keine konstruktive Politik machen. Er kann nur aus der Negation heraus agieren. Und da die USA eine globale Supermacht sind, ist die Welt nach vier Jahren Trump nun in einem schlechteren Zustand als zuvor.

So weit, so offensichtlich. Doch leider ist das keine vollständige Beschreibung des politischen Phänomens Trump. Wäre sie es, dann müsste man sich um den Ausgang der Präsidentschaftswahl am 3. November keine großen Sorgen machen. Dann würde Trump so haushoch verlieren, dass er sich selbst mit den miesesten juristischen Tricks nicht im Amt halten könnte. Denn keine noch so laute Propaganda kann von der Tatsache ablenken, dass er und seine Administration schlicht unfähig sind, ein Land wie die USA zu regieren, geschweige denn durch eine Pandemie zu steuern. (Man sollte nicht vergessen, dass Trump der erste amerikanische Präsident ist, der vor seiner Wahl nie in einer öffentlichen Funktion tätig war.) Und dann könnte man das, was in den letzten Tagen zu beobachten war – die bizarre Inszenierung von Trumps persönlichem Sieg über Covid-19 –, als bloße Panikreaktion auf die schlechten Umfragewerte abhaken.

Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Denn die vergangenen vier Jahre haben uns auch gelehrt, dass man Umfragewerten nicht trauen darf. Dass Trump in der Lage ist, neben jenen Unterstützern, die ihn wie eine Kultfigur verehren, aber zu keinem Zeitpunkt die Mehrheit der Bevölkerung abbildeten, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, die sich nicht offen zu ihm bekennen, weil sie mit seinem vulgären Gepolter nichts anfangen können, die aber trotzdem für ihn stimmen, weil sie seine politische Agenda teilen. Diese Wählerinnen und Wähler stehen uns – also mir und vielleicht auch Ihnen – näher, als wir uns eingestehen wollen.

Es ist nämlich ein (von Trumps Propagandamaschine nur zu gerne verbreiteter) Mythos, dass 2016 die armen weißen Arbeiter in den ländlichen Regionen, die sich von den liberalen, städtischen Bildungsbürgern bevormundet fühlen, den Ausschlag für Trumps Wahlsieg gegeben haben. Tatsächlich haben die Nachwahlanalysen ergeben, dass sich Trump vor allem unter den gebildeten Wohlhabenden einer breiten Unterstützung erfreuen konnte. Man könnte sagen: im Mainstream.

Auch das ist eigentlich nicht überraschend, denn niemand verkörpert den Mainstream so gut wie Donald Trump. Er ist ein lupenreiner Vertreter und Profiteuer jener ökonomischen Schicht, die seit Jahrhunderten die Fäden der Macht in den USA in der Hand hält. Wie können also Millionen von Menschen einer Propaganda auf den Leim gehen, die ihn als einsamen Kämpfer gegen das Establishment, gegen eine ausbeuterische Elite darstellt, obwohl er selbst ein fester Bestandteil des Establishments ist? Ganz einfach: Weil sich diese ökonomische Schicht in ihrer eigenen paranoiden Logik verstrickt hat, in der die Bewahrung des Status quo zur revolutionären Tat wird.

Denn an diesem Punkt wird erkennbar, dass Trump doch für eine ganz spezifische Politik steht. Im Gegensatz zu dem, was er verkündet (und auf eine irre Art vielleicht sogar auch glaubt), ist alles, was seine Administration tut, darauf angelegt, nichts zu verändern, sondern die Macht und den Wohlstand jener zu erhalten, die diese Macht schon so lange innehaben und diesen Wohlstand schon so lange genießen, dass sie ihre Situation als natürlichen Zustand betrachten. Was man an Trump als radikal und disruptiv wahrnimmt – der Rückzug aus internationalen Abkommen, das Anzetteln von Handelskriegen, vor allem das Blockieren von überparteilichen Lösungen –, zielt in Wahrheit darauf ab, Strukturen zu zementieren.

Demselben Ziel dient Trumps dröhnende Propaganda, die nichts anderes ist als das unaufhörliche Schüren von Ängsten vor den „Anderen“ – vor Intellektuellen oder Progressiven, vor Migranten oder Naturschützern, wer immer gerade die Macht des eigentlichen Establishments bedroht. So irrational das mitunter erscheinen mag, hier zieht sich eine rationale Linie durch Trumps Präsidentschaft: der Kampf „wir gegen sie“. Der Trumpismus ist eine Bewegung, wie sie sich Carl Schmitt nicht besser hätte ausdenken können; er unterminiert das klassische Rechts-Links-Schema und orientiert sich an nichts anderem als an der Unterscheidung von Freund und Feind.

Der Kampf „wir gegen sie“ ist in den USA inzwischen offen ausgebrochen (und wird dort mit dem in der kulturellen DNA des Landes fest verankerten Rassismus geführt), aber unterschwellig findet er längst auch in vielen anderen Ländern statt, die reich und mächtig geworden sind, indem sie andere Völker und die Ressourcen der Erde exzessiv ausgebeutet haben. Den Gesellschaften in diesen Ländern wird nämlich gerade bewusst, dass die Epoche, in der man sich alles erlauben konnte, um den eigenen Wohlstand zu mehren, an ein Ende kommt. Und da diese Gesellschaften sehr viel zu verlieren haben, entsteht hier ein perfekter Nährboden für politische Paranoia. Oder in Heinleins Worten: für Massenpsychosen. Anders kann man sich den Umstand nicht erklären, dass Donald Trump Millionen von Wählerinnen und Wählern anspricht, indem er die Apokalypse beschwört, sollten die „Anderen“ an die Regierung kommen, und gleichzeitig selbst der größte Apokalyptiker ist. Denn wenn seine Politik der Zementierung eines bestimmten way of life einfach so fortgesetzt wird, dann fährt die menschliche Zivilisation früher oder später an die Wand.

Das sieht Trump natürlich völlig anders, er wird in diesem Leben aus seinem inneren Labyrinth nicht mehr heraus finden, und wäre er ein Herrscher in einem autoritären Staat, in dem es zwischen Propaganda und Politik keinen wahrnehmbaren Unterschied mehr gibt, dann würden wir wohl noch zehn oder zwanzig Jahren Trumpismus entgegensehen. Zum Glück funktioniert das in den USA so nicht, doch schon die Aussicht auf vier weitere Jahre Trump ist denkbar deprimierend. Er würde in seiner Wiederwahl nämlich die Bestätigung all dessen sehen, was ihn so berühmt und berüchtigt gemacht hat.

Aber auch wenn Trump abgewählt werden sollte, sind die verrückten Jahre längst nicht vorbei. Es wird noch lange Zeit dauern, bis die Epoche des Exzesses, für die Donald Trump wie kein anderer Politiker der Gegenwart steht, von etwas abgelöst wird, das den Realitäten auf der Erde – vor allem der Realität, dass es nur eine Erde gibt – einigermaßen gerecht wird. Das wird eines Tages auf jeden Fall geschehen, die Frage ist nur, auf welche Weise, ob by design oder by disaster.

Die Wahl am 3. November wird einen Hinweis darauf geben, in welche Richtung wir unterwegs sind.

 

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