7. November 2014

Hört mal zu!

Die Zukunft voraussagen kann so einfach sein – Eine Kolumne von Hartmut Kasper

Lesezeit: 4 min.

Schon seit ewigen Zeiten ‒ wenn nicht noch länger ‒ ist eine Fernsehzeitschrift auf dem Markt, die dem Namen nach gar keine ist: die „Hörzu“ nämlich (bis 1976 noch viel kategorischimperativer: „Hör Zu!“). Ohrenschmaus statt Augenweide war angesagt; die Zeitschrift für den damals noch hellhörigen Kunden erschien zum ersten Mal im Jahr 1946, also heute vor 68 Jahren. Ich bin nicht berufen, die „Hörzu“ zu rühmen, zumal ein so genanntes rundes Jubiläum ja erst in zwei Jahren (wenn ich richtig rechne) ansteht. Wer mag, darf aber gerne schon einmal den Sekt kaltstellen oder ‒ wenn man des Alkohols psychotrope Potenz gering schätzt wie beispielsweise ich ‒ die Lunte an die jubilanten Feuerwerkskörper legen.

Wer war der weitsichtige Erfinder? Im Frühjahr 1946 hatte ein gewisser Axel Springer ‒ geboren zu Altona im Jahre 1912, ein Ereignis, dessen die Deutsche Post im Jahre 2012 mit einem 55-Cent-Postwertzeichen gedachte ‒ hatte er also bei der Britischen Press Section den Antrag gestellt, eine Programmzeitschrift herauszugeben: „Über die Notwendigkeit der Veröffentlichung der Programme aus politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und vielen anderen Gründen besteht kein Zweifel. Die Rundfunksender wünschen, wie auch die Bevölkerung, eine Programm-Zeitschrift. Der heutige Zustand der Durchgabe des Programms (BBC-London fordert beispielsweise allwöchentlich seine Hörer auf, mit Bleistift und Papier das Programm der Woche zu notieren) kann nur eine Notlösung sein.“ Gut gebrüllt, Verleger!

„Hört mit!“ sollte die Zeitschrift ursprünglich heißen. Die britische Militärregierung war darob wenig amused, klang der Name doch verdächtig nach „Feind hört mit“. Also schwenkte man auf „Hör Zu“ um. Man erschien, zunächst als zwölfseitiges Blatt. Man schaute voraus und verhieß den Lesern: „Hör Zu hält den Rundfunk nur für eine Vorstufe des farbigen, plastischen Fernsehrundfunks“; man beinhaltete neben dem Programm auch einen Technischen Fragekasten, worin man Hörer zur Reparatur defekter Rundfunkempfänger anleitete.

Später ersann, kaufte oder gründete Axel Springer, wie der an Historie Interessierte sich erinnern wird, noch einige andere Blätter und Zeitschriften: das „Tennis magazin“ zum Beispiel, „Das Neue Blatt“ (das Anno 1961 ein frei erfundenes Interview mit Soraya Esfandiary Bakhtiari zum besten gab), die „Bravo“ (mit ihren herrlichen Star-Schnitten von Brigitte Bardot bis Freddy Quinn), „twen“ (gelayoutet von jenem Willy Fleckhaus, der für Suhrkamps asketisches Buchdesign zuständig war; bevorzugt bebildert mit netten Fotos von Uschi Obermeier, und ‒ 1966 ‒ „Eltern“ (von denen es in jenen Jahren hierzulande noch reichlich gab).

Überhaupt war dieser Springer (was für ein Name übrigens für einen Visionär!) ein der Zukunft zugewandter Mann mit recht eigenwilligem Anspruch. Wie man hört, plante er im Sommer 1957 infolge schizophrener Züge seinen Tod und Auferstehung als Messias. Um die deutsche Wiedervereinigung anzubahnen, traf er sich 1958 mit Nikita Chruschtschow; den fruchtbarsten Zeitpunkt für diese schicksalhafte Begegnung hatte Springer sich von seiner persönlichen Astrologin Ina Hetzel aus den Sternen lesen lassen. Deren Horoskopereien führte Springer in einer schwarzen Kladde bei sich.

Bei Chruschtschow legte Springer einen Fünf-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung vor ‒ heute würde man ein solches Papier wohl eine „Road Map“ nennen. Darin schlug der Phantast vor, es solle die D-Mark und das westdeutsche Sozialsystem in der DDR eingeführt werden; hernach sollten die Streitkräfte der Siegermächte aus beiden Teilen Deutschlands abziehen.

Die Historiker sind sich einig: Chruschtschow stand damals dem Springer-Plan eher reserviert gegenüber. Erst Gorbatschow muss diesen Reiseführer Richtung Zukunft in den Akten gefunden, gelesen und sich gesagt haben: Ja, leuchtet mir ein, können wir so machen.

Ich bin gewissermaßen mit der „Hörzu“ aufgewachsen. In jungen Jahren faszinierten mich vor allem die traumseligen Geschichten von Mecki und seinem Einsatzteam, das recht eigentlich nicht von ihm, sondern von Charly Pinguin und dem immermüden Schrat dominiert wurde.

Oder man denke an Kokolastro, Meckis zauberkundigen Widersacher, einen Charakter, den sich der Unkundige am besten als eine frühe Vorform von Voldemort und Batmans Joker ausmalen kann.

Die heutigen Mecki-Geschichten haben es auf ihre Art und Weise sicher auch in sich, aber ich lese sie nicht mehr; man muss ja nicht alles lesen. Was ich mir aber nach wie vor jeden Freitag gönne, ist der Blick in den Programmteil, der nicht nur eine, sondern satte zwei Wochen prognostiziert, mit welchen Schätzen der Filmgeschichte wir vergnügt, mit welchen journalistischen Highlights zu politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Themen wir belehrt werden. Natürlich besitze ich besagte cineastische Schätze allesamt auf DVD, aber es ist doch etwas anderes, an einem ‒ sagen wir mal: Freitag ‒ um 12:25 Uhr das Fernsehgerät anzuwerfen und zum MDR zu schalten: Denn da soll Ich denke oft an Piroschka (mit Lieselotte Pulver als Piroschka aus Hódmezővásárhely, mit Gunnar Möller als jugendlichem Helden und ‒ unnachahmlich ‒ Gustav Knuth in seiner Rolle des Stationsvorstehers István Rácz) laufen, und siehe da: Es läuft!

Die Zukunft voraussagen kann so einfach sein.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. 

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