20. April 2018 3 Likes

Ein Fan der Quantenphysik

Tal M. Klein im Gespräch über Wissenschaft, Humor und die Tücken der Science-Fiction

Lesezeit: 6 min.

In seinem Debütroman „Der Zwillingseffekt“ schickt der Autor Tal M. Klein seinen Helden Joel Byram durch die abgefahrene Zukunftswelt des 22. Jahrhunderts. Eine Welt, in der man teleportiert statt mit dem Autor zu fahren, in der Moskitos unsere Luft sauber halten und die Unsterblichkeit eine Frage der finanziellen Mittel geworden ist. Eine Welt, die zu betreten zweifelsohne einen Heidenspaß macht. Doch wie schwierig ist es eigentlich, so eine Zukunftswelt zu entwerfen? Gerade Science-Fiction-Autoren, die mit den Händen nach den Sternen greifen und gleichzeitig mit den Füßen auf dem Boden wissenschaftlicher Fakten stehen müssen, vollbringen oft wahre Wunder, was das Worldbuilding angeht. Im Nachwort zu „Der Zwillingseffekt“ gewährt Tal M. Klein einen kleinen Blick hinter die Kulissen einer Science-Fiction-Schreibwerkstatt und hat dafür sogar ein kurzes Interview mit einem befreundeten Physiker geführt.


Tal M. Klein; Bild via Twitter

Wenn man Science-Fiction schreibt, heißt es, dass es ganz besonders wichtig ist, mit korrekten Fakten zu arbeiten. Da Der Zwillingseffekt in der Mitte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts spielt, rechne ich damit, dass die Zukunft erweisen wird, dass ich mich in vielen Punkten geirrt habe. Ich habe mir alle Mühe gegeben, solche Fehltritte zu vermeiden, aber da ich selbst nur ein Fan der Quantenphysik bin und kein Quantenphysiker, habe ich mich auf meinen Freund Joe Santoro verlassen, ein Medizinphysiker, dass er die nötigen wissenschaftlichen Grundlagen überprüft und in manchen Fällen erfindet, um diese Welt wissenschaftlich plausibel zu mache, und ohne ihn hätte es den Punch-Puffer nie gegeben. Kurz nachdem ich mir sicher war, dass der Der Zwillingseffekt veröffentlicht wird, führte ich ein kleines Interview mit Joe.

Zuerst wollen wir die obligatorische Einführung hinter uns bringen. Bitte nenn deinen Namen und sag, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst.

Mein Name ist Joe Santoro, und ich bin Medizinphysiker. Ich arbeite in der Radioonkologie in einem Krankenhaus auf Long Island. Wir sind die Leute, die dafür sorgen, dass der medizinische Linearbeschleuniger die korrekte Strahlendosis an die Patienten abgibt, die sich einer Strahlentherapie unterziehen. Wir arbeiten auch den Behandlungsplan aus, der bestimmt, wo der Patient bestrahlt wird. Wir sind verantwortlich für die routinemäßige Qualitätssicherung der verschiedenen Komponenten der radiotherapeutischen Anlage, das heißt, die Computertomografen, der Teilchenbeschleuniger, die diagnostische Bildgebung et cetera.

Was hat dich dazu gebracht, in die Physik einzusteigen?

Jetzt muss ich meine Zeitmaschine anwerfen und ganz weit zurückgehen. Ich denke, ich könnte es auf drei Sachen eingrenzen, die schon in sehr jungen Jahren eine Rolle spielten: die Astronomie (einfach nur in den Himmel gucken), Magneten (die in jedem Alter faszinierend sind) und eine Vorliebe für Dinge, die zusammenkrachen. Etwas später war ich von Meteorologie besessen, was dann so weit ging, dass ich tägliche Wetterberichte zusammenstellte und an die Klassenzimmertür heftete. Zufällig kam es nicht dazu, dass ich mich entweder auf Meteorologie oder Astronomie »spezialisierte«, sondern diese frühen Interessen waren für mich ein Sprungbrett in mein späteres Studium der (Teilchen-)Physik und der Mathematik. Bis heute liebe ich immer noch einen tollen Meteorschwarm, blicke gern zum Mond hinauf oder verbringe täglich mehrere Stunden auf der Wetterseite wunderground.com.

In Science-Fiction-Romanen werden Wissenschaftler oft als Menschen ohne Sinn für Humor dargestellt. Ich glaube, das ist der Grund, warum Andy Weirs Der Marsianer von der Wissenschaftsgemeinde so begeistert aufgenommen wurde, weil es gleichzeitig um exakte Wissenschaft und Humor geht. Das war etwas, das ich mit Sylvia aufgreifen wollte. Sie ist Quantenphysikerin, aber sie lässt auch gern mal einen Furzwitz los. Was sagst du als professioneller Physiker? Welche Rolle spielt Humor in deinem täglichen Arbeitsleben?
Kannst du irgendwelche Beispiele nennen?

Witzig, dass du mich das fragst. Wenn ich an die Einf lüsse zurückdenke, die meine Persönlichkeit als Wissenschaftler (und als normaler Mensch) geformt haben, fallen mir Peter Venkman (Bill Murrays Rolle in Ghostbusters) und Chris Knight (Val Kilmers Rolle in Was für ein Genie) ein. Vielleicht ergab sich alles Weitere nur daraus, dass ich diese Filme in einem mental empfänglichen Alter immer wieder gesehen habe, aber beide Filmfiguren ließen die Aussicht, Wissenschaftler zu werden, als etwas wirklich Cooles und Erstrebenswertes erscheinen. Ich glaube, ein ausgeprägter Sinn für Humor erlaubt einem, mit der Absurdität, Beliebigkeit, Schönheit und Grausamkeit des Universums auf eine Weise zurechtzukommen, die den Versuch der Wissenschaft ergänzt, irgendeine Art von System in das alles zu bringen. Ich glaube, wenn man sich selbst zu ernst nimmt, ist das eine Gefahr sowohl für wissenschaftliche als auch für alltägliche Tätigkeiten. Welchen Sinn hat das Ganze überhaupt, wenn man nicht ab und zu herzlich über etwas lachen kann? Es versteht sich von selbst, dass die Arbeit in einer Radioonkologie-Abteilung fast jeden Tag extrem stressig und tragisch sein kann. Ich habe Arbeitsplätze kennengelernt, wo von Scherzen abgeraten wurde, aber ich kann dir sagen, dass die Leute es dort nicht allzu lange aushalten. Wenn ich nicht in der Lage bin, mit den Leuten herumzualbern, mit denen ich den größten Teil meines Tages verbringe, würde ich mich nach der Arbeit wahrscheinlich vor einen Zug werfen.

Während ich Der Zwillingseffekt schrieb, habe ich dich gebeten, mir bei der Ausarbeitung verschiedener absurder technischer Sachen zu helfen: wie man Moskitos in fliegende Dampfreformer verwandelt, wie man selbstreplizierende Nanos mit Ökophagie-Käfigen in Schach hält, wie man Quantenschalter für unwahrscheinliche Bomben baut und wie man Personenteleportation mit Dichtefunktionaltheorie möglich macht. Deine einzige Warnung war: Hüte dich davor, zu viel deterministische Sprache zu benutzen, wenn du beschreibst, wie etwas funktioniert. Kannst du näher erklären, warum du das gesagt hast?

Habe ich das wirklich gesagt? Es klingt sehr vernünftig. Ich glaube, ich habe Folgendes gemeint. Wenn man über Dinge redet, die von Natur aus »quantenmäßig« sind, müssen wir die Sprache des Zufalls und der Wahrscheinlichkeit statt die der Gewissheit benutzen. Die Quantenphysik beschreibt die Welt des extrem Kleinen, und in diesen Größenordnungen werden vertraute Eigenschaften wie Position, Geschwindigkeit, Impuls und Energie eines Objekts unscharf und probabilistisch. Statt diese Eigenschaften als eindeutige Werte zu spezifizieren, wie wir es gewohnt sind, wenn wir zum Beispiel ein Auto beschreiben, das auf einer Straße fährt, müssen wir vom Erwartungswert dieser Größen reden, wenn es um ein Objekt wie ein Elektron geht. Die Quantenphysik kann sagen, dass die wahrscheinlichste Position, an der ein Elektron ein Proton in einem Wasserstoffatom umkreist, beim 1,5-Fachen des Bohr-Radius liegt, aber genauer lässt es sich nicht definieren. Das steht im Gegensatz zur Aussage, dass sich unser Auto an der Position xyz befindet und sich mit der Geschwindigkeit v bewegt. Das ist ganz klar eine andere Art und Weise, sich die Realität vorzustellen, und ich bin mir nicht sicher, ob sich irgendwer je daran gewöhnen kann.

Okay, letzte Frage: Welchen Durchbruch der Quantenphysik möchtest du gern noch erleben?

Das ist ein ganz schöner Hammer. Wenn du willst, dass ich mir nur eine einzige Sache aussuche, müsste ich sagen, dass es der kommerziell realisierbare Quantencomputer in Verbindung mit photonischer Datenspeicherung und -übermittlung sein sollte. Die exponentielle Steigerung der Rechenkapazität eines Quantencomputers wird der Menschheit ermöglichen, alle möglichen Probleme in den unterschiedlichsten Disziplinen zu lösen, die wir derzeit noch nicht in den Griff bekommen haben. Das geht nur gemeinsam mit einer völlig neuen Methode, solche gewaltigen Datenmengen zu bewegen und zu speichern, was bedeutet, dass wir von der elektronischen Datenverarbeitung zu lichtschnellen Photonen-Datenspeichern und –leitungen übergehen müssen. Es gibt sogar einige Leute, die organische Bausteine wie die DNS benutzen, um sehr große Datenmengen zu speichern. Die Verbindung dieser Technologien im Entwicklungsstadium könnte den künftigen Weg der Menschheit potenziell auf noch unvorstellbare, fantastische Weise verändern.

„Der Zwillingseffekt“ (im Shop) ist gerade auf Deutsch erschienen.

Tal M. Klein: Der Zwillingseffekt Roman Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 416 Seiten Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

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