8. März 2022

Leseprobe: „Himmelsfluss“ von Dennis E. Taylor

Heute erscheint der neue Band der erfolgreichen Bobiverse-Saga

Lesezeit: 6 min.

Eigentlich hätte nach dem dritten Band Alle diese Welten“ (im Shop) Schluss sein sollen mit Dennis E. Taylors Bobiverse-Reihe. Zur großen Freude seiner zahlreichen Fans weltweit, hat es sich der Autor noch mal anders überlegt und setzt mit „Himmelsfluss“ seine populäre Space Opera rund um die charmant-schnodderige KI Bob Johansson fort. „Himmelsfluss“ ist ab dem 08.03.2022 überall auf Deutsch erhältlich. Für alle, die noch unentschlossen sind, gibt es hier eine ausgewählte Leseprobe.

 

Die verschiedenen Optionen

durchdenken

 

Bob – Januar 2296

Über Eden

 

Der Weltraum ist groß.

Ich weiß, das klingt nach einer völlig überflüssigen Feststellung, die außerdem Douglas Adams bereits artikuliert hat. Aber wenn man zwischen den Sternen nach einem einzelnen Raumschiff sucht, erschlägt einen das Weltall geradezu mit seiner Größe.

Bender war nun bereits seit mehr als hundert Jahren verschwunden. Trotz der SCUT-Pläne für überlichtschnelle Kommunikation, die Bill zu jedem System geschickt hatte, das Bender in der Zwischenzeit hätte erreichen können, und obwohl erst Victor und später auch dessen Klonkameraden Marvin und Luke seine mutmaßliche Flugbahn abgesucht hatten, hatten wir nicht das kleinste Härchen von Bender gefunden – oder besser gesagt, nicht das kleinste Schräubchen, da er ja ein empfindungsfähiges Raumschiff war.

Ich glaube, das sollte ich erklären. Bender ist ein Computer, der sich für einen gewissen Robert Johansson hält, einen Ingenieur und bekennenden Nerd, der im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert gestorben ist. Das Gleiche gilt für alle Bobs, darunter auch mich. Ich war der erste Replikant, der im Jahr 2133 von der Erde aus in den Weltraum geschickt wurde. Jeder einzelne Bob ist ein Nachfahre von mir. Denn das ist es, was wir Von-Neumann- Sonden tun: Wir stellen Kopien von uns her. Inzwischen existieren in einem Umkreis von fast hundert Lichtjahren um das irdische Sonnensystem herum mehrere tausend Bobs.

Bender stammte aus meiner zweiten Klongeneration, die ich in Delta Eridani produziert hatte. Seit er nach Gamma Leporis A aufgebrochen war, hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. Im Laufe der vielen Jahre waren einige meiner Bobs in Schlachten gestorben, ein paar von ihnen, ohne vorher ein Back-up von sich gemacht zu haben.

Doch Bender war ohne jeden Grund spurlos verschwunden. Ich kannte Benders ursprüngliches Ziel, doch Victor, Marvin und Luke hatten ebenfalls gewusst, wohin er wollte und trotzdem nicht den geringsten Hinweis auf seinen Verbleib gefunden. Vor allem entdeckten sie kein Zeichen von ihm in Gamma Leporis A – keine autonome Fabrik, keine Bergbauaktivitäten, keine Kommunikationsstation und auch keinen Bussard-Streifen vom Wasserstoffkollektor, der in das System hineinführte.

Ich war gerade von meiner langen Pilgerfahrt zur Erde nach Delta Eridani zurückgekehrt. Es war eine sehr bedrückende Reise gewesen, da sich die Erde in der gegenwärtig herrschenden Eiszeit drastisch veränderte und ich meine alte Heimat voraussichtlich zum letzten Mal in ihrer alten Gestalt gesehen hatte. Es entbehrte wirklich nicht einer gewissen Ironie, dass die Menschen das Problem der Erderwärmung mit einem atomaren Winter gelöst und dabei 99,9 % der eigenen Art vernichtet hatten.

Aber das war ja auch nicht anders zu erwarten gewesen. Dumme, dumme Menschen.

Das Delta-Eridani-System war dagegen mehr oder weniger immer noch genauso, wie ich es zurückgelassen hatte. Die Bergbaudrohnen sammelten Rohstoffe von den Asteroiden ein und brachten sie zu den autonomen Fabriken, die sie zu Barren pressten und für den Bedarfsfall einlagerten. Da ich den autonomen Fabriken keine anderslautenden Befehle erteilt hatte, würden sie in ihrem eigenen Tempo weitere Fabriken und Ersatzteile für meine diversen mechanischen Diener produzieren.

Zufrieden mit dem Status quo aktivierte ich die VR und ließ mich in der Bibliothek auf meinem La-Z-Boy nieder. Nichts entspannte mich mehr als der Anblick deckenhoher Bücherregale. Spike sprang zu mir hoch und machte es sich schnurrend auf meinem Schoß gemütlich. Jeeves brachte einen frisch gebrühten Kaffee.

Die VR-Umgebung war ein zentraler Bestandteil meiner Existenz. Ohne sie war ich nur ein geisterhafter Verstand. Im virtuellen Raum besaß ich dagegen einen Körper, Haustiere und ein Dach über dem Kopf. Vor der Einführung der persönlichen VR hatten vier von fünf Replikanten den Verstand verloren. Ich war mir ziemlich sicher, dass es da einen Zusammenhang gab.

»Entschuldige, meine Kleine, aber ich muss mich konzentrieren «, sagte ich zur Katze und drehte mich zu Guppy um, der wie immer in Rührt-euch-Stellung dastand. »Beende Spikes Programm und zeige mir eine Darstellung der stellaren Umgebung in einem Umkreis von vierzig Lichtjahren.«

Guppys riesige Fischaugen blinzelten. [Bestätigt.]

Spike verschwand in einer Wolke aus Pixeln. Einen Moment später erschien eine Kugel vor mir. Die zahlreichen darin enthaltenen Lichtpunkte waren praktischerweise beschriftet – sämtliche Sonnensysteme im vorgegebenen Radius, kategorisiert nach Sternentypen.

Ich zeichnete mit dem Finger eine Verbindungslinie zwischen Delta Eridani und Gamma Leporis A – Benders vermutliche Flugbahn. 2165 war er in die richtige Richtung aufgebrochen, aber nie am Ziel eingetroffen. Der Grund dafür war entweder Fremdeinwirkung, Pech oder selbstgewählt.

Im Falle einer der ersten beiden Möglichkeiten ließe sich vielleicht ein Hinweis finden – Bruchstücke, die überkreuzende Spur eines theoretischen Angreifers, Radioaktivität oder was auch immer. Wenn es die dritte war, würde der Bussard-Streifen an irgendeiner Stelle die Richtung ändern. Um irgendetwas von alldem entdecken zu können, würde ich mit 5 % von C dahinkriechen müssen. Damit würde ein kompletter Scan von Benders vermutlicher Flugroute dreihundertzwanzig Jahre dauern. Falls ich etwas entdeckte, würde ich natürlich nicht die gesamte Strecke zurücklegen müssen, aber es wäre so oder so eine ziemlich lange, größtenteils ereignislose Mission.

Als Computer sind wir zwar unsterblich, operieren aber im Millisekundenbereich. Mehrere hundert Jahre würden mir also wie eine Ewigkeit erscheinen.

Damit kam ich zur dritten Möglichkeit – der freiwilligen Entscheidung. Wenn Bender irgendetwas bemerkt und abgedreht hatte, um es zu untersuchen, dann würde jemand, der seiner Flugbahn folgte, es vielleicht auch sehen. Luke und die anderen beiden hatten zwar nichts entdeckt, doch sie waren wahrscheinlich zu sehr mit ihrem eigenen Kurs beschäftigt gewesen, um sich ausgiebig umzuschauen. Da Bender seinen langen interstellaren Sprung vor der Erfindung der SCUT-Kommunikation unternommen hatte, war er wahrscheinlich aktiv auf der Suche nach irgendetwas gewesen, das ihn von seiner Langweile ablenkte.

Ich tippte mir ein paar Millisekunden lang nachdenklich ans Kinn und wandte mich dann wieder an Guppy. »Ich glaube, ich muss dieses Problem von verschiedenen Seiten angehen. Lass die autonomen Fabriken ein paar Hundert dieser Langstreckenkundschafter bauen, die wir in der Schlacht von 82 Eridani verwendet haben. Und sorge dafür, dass ihre SURGE-Antriebe einem interstellaren Flug gewachsen sind.«

[Bestätigt.]

Sobald die Drohnen fertig waren, würde ich sie Bender mit 5 % von C hinterherschicken und seine Flugbahn nach irgendetwas Ungewöhnlichem absuchen lassen. Da ich keinen Grund hatte, das Ende des Fertigungsprozesses vor Ort abzuwarten, betrachtete ich noch ein letztes Mal eingehend den langsam unter mir rotierenden Planeten Eden und verließ dann den Orbit, um mich mit 5 G auf den Weg nach Gamma Leporis A zu machen.

 

Auf einer Reise zwischen zwei Sonnensystemen passiert rein gar nichts. Was ein Glück ist, denn ich kann mir keinen Zwischenfall während eines interstellaren Flugs vorstellen, bei dem man nicht als Wolke aus frei schwebenden Atomen enden würde.

Ich dachte darüber nach, meine Geschwindigkeit auf 0,75 % von C zu reduzieren, um mich weiterhin mit dem Bobiversum austauschen zu können. Dank SCUT waren wir in der Lage, im BobNet verzögerungsfrei miteinander zu kommunizieren, aber wenn mein Tau zu hoch wurde, würde ich selbst mit erhöhter Wahrnehmungsrate nicht mehr in Echtzeit mit den anderen interagieren können. Dennoch wollte ich unbedingt so schnell wie möglich herausfinden, ob meine Theorie zutraf. Außerdem erschien mir das Bobiversum ohnehin zunehmend merkwürdiger und cliquenhaft. Die Bobs unterschieden sich immer stärker vom Ursprünglichen Bob und besaßen mittlerweile Eigenschaften, die diesen sehr ratlos gemacht hätten.

Ich vertrieb mir die Zeit mit meinen Überwachungsvideos von den Deltanern – einer primitiven Rasse von Humanoiden, die wie eine zweibeinige Mischung aus Schweinen und Fledermäusen aussah. Ich hatte sie mehr oder weniger adoptiert und war ein oder zwei Generationen lang ihr großer Himmelsgott gewesen, bevor ich mich in einem Androidenkörper ihrem Stamm anschloss. Seit ich nach Archimedes’ Begräbnis Camelot zum letzten Mal verlassen hatte, waren bereits dreiundsechzig Jahre vergangen.

Doch ich vermisste meine Freunde und das Gefühl, Teil ihrer Familie zu sein, nach wie vor. Bill hatte mich immer wieder ermahnt, wie gefährlich es sei, einen Haufen rückständiger Außerirdischer ins Herz zu schließen. Tja, Pech.

Dennis E. Taylor: „Himmelsfluss“ • Roman • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Urban Hofstetter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 720 Seiten • als Paperback und E-Book erhältlich • Preis des Paperbacks € 14,99 (im Shop)

[bookpreview] 978-3-453-32166-3

 

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