28. Februar 2015 3

Ein Nachruf auf Mr. Spock

Zum Tod von Leonard Nimoy am 27. Februar 2015

Lesezeit: 4 min.

Es gibt Artikel, die man eigentlich nicht schreiben will. Gestern feierte ich mit meiner Familie meinen Geburtstag, als uns die Nachricht von Leonard Nimoys Tod erreichte. Im Alter von 83 Jahren starb er an einer Lungenkrankheit in Los Angeles – unfassbar weit weg von meinem kleinen Wohnzimmer im Münchner Südosten. Zu sagen, dass wir eine spontane Schweigeminute einlegten, ist sicherlich übertrieben, aber die nächste halbe Stunde war weder mir, noch meiner Schwester oder meiner Mutter zum Feiern zumute.

Es ist unmöglich, einen Nachruf auf Leonard Nimoy zu schreiben, ohne auch zugleich einen auf Mr. Spock zu schreiben. Sicher, der Mensch Leonard Nimoy war mehr als die Figur Mr. Spock – und doch gibt es kaum einen Schauspieler, der so eng mit seiner Rolle verbunden ist; einer Rolle, die nicht nur mir, sondern Tausenden von Star-Trek-Fans auf der ganzen Welt viel bedeutet. 1966 schlüpfte er zum ersten Mal in die Rolle des streng logischen Wissenschaftlers vom Planeten Vulkan, und allein die Titel seiner beiden Autobiografien – I am not Spock und I am Spock – zeigen deutlich, wie ambivalent seine lebenslange Beziehung zu einem der berühmtesten Außerirdischen der Filmgeschichte war, in dessen Rolle er 2013, 47 Jahre nach der TV-Serie, für J.J. Abrams Star-Trek-Neustart schlüpfte.

Mr. Spock brachte mir bei, dass man ein Besserwisser sein und trotzdem Freunde haben konnte. Das mag seltsam klingen, aber für mein Teenager-Ich war das eine Offenbarung. Während meine Schulfreundinnen anfingen, sich für Jungs und Partys zu interessieren, las ich mit heißen Ohren Perry Rhodan, Ray Bradbury, Harlan Ellison und Fred Pohl. Mir war undeutlich bewusst, dass ich mich eigentlich auch für Make-up, Jungs und Partys interessieren sollte, aber irgendwie erschienen mir derartige Aktivitäten einfach nicht so spannend zu sein wie ein Angriff auf den Robotregenten. Ich fühlte mich, wie so viele Teenager vor und nach mir, wie ein Alien – ein Gefühl, das vor allem Leonard Nimoy als Mr. Spock an Bord der Enterpreise perfekt zum Ausdruck brachte. Diese Figur schaffte es, so gänzlich anders zu sein als seine Kameraden, und dennoch wurde er von allen respektiert. Und wenn es dem Halbvulkanier gelang, könnte mir das eines Tages auch gelingen. Mr. Spock gab mir Mut, gab mir eine Richtlinie, zeigte mir, dass es im Grunde okay ist, anders auszusehen und anders zu sein.

Die Vulkanische Philosophie, das UMUK (Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlichen Kombinationen; im Original IDIC: Infinite Diveristies in Infinite Combinations), womit die prinzipielle Offenheit des Vulkanier gegenüber anderen Völkern, Spezies und deren Kulturen zum Ausdruck gebracht wird, trug ihren Teil zu meiner frühen philosophischen Entwicklung bei; und seine logische Herangehensweise, zusammen mit Isaac Asimovs, zeigte mir die ersten Ansätze einer Form logischen Denkens, die ich später während meines Studiums immer wieder zur Anwendung bringen sollte. Das mag jetzt überhöhend und verklärend klingen, aber mit 12 oder 13 Jahren kam das schon einer Erleuchtung nahe.

Zugegeben erst sehr viel später – bestimmt war Picard schon Captain der Enterprise und ich hatte auch schon diese speziellen Menschen gefunden, die mich trotz meiner, wie man heute sagt, nerdigen Eigenheiten mögen und respektieren – wandte ich meine Aufmerksamkeit auch dem Menschen Leonard Nimoy zu. Ich erfuhr, dass er fotografierte und Gedichte schrieb, einfache, freie Verse, die 2002 gesammelt in dem Band A Lifetime of Love: Poems on the Passages of Life erschienen. Er führte Regie bei Filmen (unter anderem bei der Komödie „Drei Männer und ein Baby“), spielte Theater und engagierte sich politisch, etwa indem er einen offenen Brief zum Nahost-Konflikt schrieb. Und er sang, Popsongs und eigene Kompositionen. Seine Stimme gehörte auf der Leinwand zu seinen herausragendsten Merkmalen – von seinem Gesang kann man das leider nicht behaupten. Doch gerade bei den Trekkies (oder, um den von Nimoy bevorzugten Ausdruck zu verwenden: den Trekkers) waren die musikalischen Einlagen von Mr. Spock beliebt, vielleicht gerade wegen des eher gewöhnungsbedürftigen Gesanges.

Der berühmte Vulkanier-Gruß, bei dem man Zeige- und Mittelfinger bei erhobener Hand vom Ring- und kleinen Finger abspreizt, stammt aus dem Judentum und ist eine Abwandlung des Aaronitischen Segens der jüdischen Kohanim, einem Unterstamm der Leviten. Es ist eine manuelle Annäherung an den hebräischen Buchstaben „shin“, dem ersten Buchstaben im Wort „Shaddai“, einem der hebräischen Namen für Gott. Nimoy wurde 1931 in Boston geboren, seine Eltern waren orthodoxe Juden, und er führte den Gruß, zusammen mit dem berühmten „Live long and prosper“ – „Lebe lang und in Frieden“ – in die Serie ein. Nimoy selbst wandte sich erst im Alter der Religion zu: 2002 veröffentlichte er die Fotoserie „Shekhina“, die sich mit dem weiblichen Aspekt Gottes befasst (was nicht alle jüdisch-orthodoxen Rabbiner glücklich machte). Seit seinem achten Lebensjahr wirkte er in Theaterstücken an der Schule und im College mit; 1949 ging er nach Hollywood, um seine Karriere als Schauspieler zu beginnen. 1951 hatte er seine ersten kleinen Rollen in Filmen, an die sich heute niemand mehr erinnert, und 1952 seine erste Hauptrolle. Ein Jahr später kam er zur Army, in der er 18 Monate zubrachte und bei Shows der Special Services Regie führte. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Kalifornien zurück und hielt sich mit diversen Jobs über Wasser: Nebenrollen in Serien wie Perry Mason, Rawhide und The Twilight Zone. Und dann kam Star Trek.

Gestern starb Leonard Nimoy im Alter von 83 Jahren in seinem Haus in Bel Air. Freunde, Verwandte und Menschen, die durch seinen Mr. Spock inspiriert und geprägt wurden, nahmen über die sozialen Medien Abschied. William Shatner twitterte, er habe Nimoy geliebt wie einen Bruder, die NASA bezeichnet ihn als eine Inspiration, Präsident Obama schrieb einen bewegenden Brief. Und ich? Ich verabschiede mich von dem Charakter einer TV-Serie, der mir viel bedeutet hat, und von einem Menschen, den ich nicht kannte, dessen Tod mich aber so erschüttert wie der eines Freundes. LLAP.

Kommentare

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Danke.

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich fürchte, ich kann hierauf nicht mit "Gern geschehen" antworten ... :(

Bild des Benutzers Alexander Seibold

Er berührte viele Leben. Die Menschen, die ihn nicht vergessen, werden in Dankbarkeit an seine Person, Leonard, und seine Rolle,Spock, denken - aber auch an sein geistiges und literarisches Opus. All dies wird seine Wirkung weiterhin entfalten.
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