26. Mai 2024

Elevated Horror an der Côte d'Azur

Cannes 2024: „The Substance“, „The Shrouds“ & „Megalopolis“

Lesezeit: 4 min.

Nicht ganz zu Unrecht gilt das Filmfestival von Cannes ja als Mekka der Filmkunst, man sonnt sich gerne in der eigenen Legende, feiert, dass man existiert und nicht nur bessere Filme zeigt als andere Festivals, sondern auch besseres Wetter zu bieten hat als etwa die Berlinale im notorisch grauen und verregneten Februar in Berlin.

Doch Cannes ist nicht nur Kunst und Glamour, passenderweise im Keller des Festivalgebäudes befindet sich der Markt, wo Filme fast wie auf einem Basar gehandelt werden, die in Deutschland meist höchstens als Füllprogramm bei einem Streamer zu sehen sein werden. Als B-Pictures oder gleich als Trash wird das gerne bezeichnet, doch zunehmend finden sich solche Genrefilme auch in den ernst zunehmenden Reihen des Festivals, ist ein Begriff wie „elevated Horror“ auch Cineasten kein Fremdwort mehr.


„The Substance“

Ein spektakuläres Beispiel für einen klassischen Genrefilm, der sich durch seine spezielle Art – und auch die Zeit, in der wir leben – auf einmal im Wettbewerb von Cannes wiederfindet, ist „The Substance“ von Coralie Fargeat. Vor einigen Jahren hatte die Französin mit ihrem derben Rape-Revenge-Thriller „Revenge“ auf sich aufmerksam gemacht, nun schockierte sie das Galapublikum mit einem Exzess, bei dem am Schluss mehr Blut über die Leinwand spritzt als man es seit dem Finale von „Carrie“ gesehen hat. Es ist das konsequente zu Ende führen eines Ansatzes, der als pointierte Reflexion über den Schönheitswahn der Gegenwart gelesen werden kann und will. Demi Moore spielt eine gerade 50 gewordene Schauspielerin, die einst den Oscar gewann, sich nun aber mit Aerobic-Videos à la Jane Fonda durchschlägt. Doch auch dafür ist sie nun zu alt, wird gefeuert und nimmt in ihrer Verzweiflung ein seltsames Angebot an. Die titelgebende Substanz wurde ihr von unbekannten Kräften offeriert, und bewirkt nach intravenöser Injektion, dass aus ihren Rücken eine jüngere Version ihrer selbst abgesondert wird und das in Gestalt von Margaret Qualley. Doch die beiden Wesen, die beiden Versionen leben nicht neben- sondern nacheinander: Sieben Tage jung, sieben Tage alt, das ist der Deal, denn alle sieben Tagen muss getauscht werden, damit nicht der eine Teil die Überhand behält. Dass die jüngere Version sich nicht an diesen Deal hält, überrascht nicht, mit Folgen, die eine böse, sehr moderne Version der Dorian Gray-Geschichte ist.


„The Shrouds“

Die explizite Nacktheit, mit der „The Substance“ seine beiden weiblichen Stars präsentiert, wäre einem männlichen Regisseur heutzutage fraglos negativ ausgelegt worden, zum Beispiel David Cronenberg, der die überkomplizierte, am Ende enttäuschende Trauerstudie „The Shrouds“ präsentierte. Inspiriert vom Tod seiner langjährigen Frau setzt Cronenberg Vincent Cassell als sein Alter Ego in Szene, der den Tod seiner Frau mit einer seltsamen Methode zu verarbeiten sucht: Mittels eines radioaktiven Leichentuches, eben dem Shroud und einer im Sarg angebrachten Kamera, ist es den Hinterbliebenen möglich, das Verwesen des geliebten Menschen zu beobachten. Ob das hilft, darf man sich fragen, zumindest Cassels Figur verliert sich im Verlauf des Films zunehmend in Fieberträumen, paranoiden Verschwörungstheorien und einer Affäre mit der Schwester seiner Frau, gespielt von Diana Kruger, die weite Teile ihres Parts nackt absolviert. Eine eher willkürliche Entscheidung, die dann auf ihre Weise zusätzlich zeit, wie sehr David Cronenberg am Ende seiner Karriere aus der Zeit gefallen scheint.


„Megalopolis“

Auf andere Weise aus der Zeit gefallen war schließlich Francis Ford Coppolas mit Spannung erwarteter „Megalopolis“, für dessen Realisierung der legendäre Regisseur sogar Teile seines Weingutes verkauft hat. Gleichermaßen in der Zukunft wie in der Vergangenheit spielt der kaum zu fassende Film, der sich bewusst gegen sämtliche Erzählkonventionen des Mainstream- und vor allem Hollywoodkinos stellt. New Rome heißt der Schauplatz, im Zentrum der Geschichte steht der Architekt und Visionär Cesar Catilina (Adam Driver), der die Zeit anhalten kann, sie aber vor allem verändern will: Zum Besseren und zwar durch seine Kunst. Zu seinen Gegenspielern zählt zeitweise der Bürgermeister der Stadt, Cicero (Giancarlo Esposito) genannt, vor allem aber der Banker Crassus (Jon Voight), der bisweilen ebenso an Donald Trump erinnert wie Cesars Cousin Clodio (Shia LaBoeuf). Eine einfache Allegorie über die Gegenwart ist „Megalopolis“ aber keineswegs, statt dessen ein oft bizarrer, stets ambitionierter, egozentrischer, aber immer überraschender Versuch, einen Film über das große Ganze zu drehen. Zitate von Homer über Shakespeare bis Marc Aurel finden sich, gerne auch gleich auf Latein vorgetragen, der Ton changiert zwischen Camp und großer Oper und am Ende weiß man nicht recht, was man davon halten soll. Man weiß allerdings auch, dass man so einen Film noch nie gesehen hat und mehr kann man vom Kino eigentlich nicht erwarten.

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