13. Juni 2017 1 Likes

Energie vom Mond?

Was ist dran am Helium-3-Rausch in Ian McDonalds „Luna“-Trilogie?

Lesezeit: 7 min.

Für die einen ist der graue Staub nicht mehr als ein Ärgernis, ein notwendiges Übel auf dem Mond. Für Adriana Corta, eine der Protagonistinnen aus Ian McDonalds grandiosen Romanen Luna (im Shop) und dem soeben erschienenen Luna – Wolfsmond (im Shop), ist der Dreck pures Gold: sie erkannte, dass sich darin Helium-3 verbirgt, der Energieträger der Zukunft. Darauf gründet sich die Macht des Corta-Clans, denn die Erde ist inzwischen voll und ganz von ihrem Helium-3 abhängig, was natürlich Neider auf den Plan ruft … Doch Adriana Corta ist nicht die Erste, die den Wert von Helium-3 erkannt hat. Das Gas taucht immer wieder als Energieträger der Zukunft auf, in der Science-Fiction wie in wissenschaftlichen Debatten, weil sich damit „saubere“ Fusionsreaktoren betreiben lassen, die schier unendliche Mengen Energie versprechen. Aber was ist dran an dem Energieträger vom Mond und der „grünen“ Fusion?

Bisher verwenden wir Kernkraftwerke, in denen Atomkerne gespalten werden, wodurch einerseits Energie in Form von Wärme erzeugt wird, andererseits auch radioaktiver Müll entsteht. Deswegen arbeiten Physiker und Ingenieure seit über 40 Jahren an sogenannten Fusionsreaktoren. In den Reaktoren, die derzeit in Betrieb sind, werden die Kerne der Wasserstoffisotope Tritium und Deuterium miteinander verschmolzen, wodurch sie Helium-3 und ein Neutron freisetzen. Dieses Neutron fliegt allerdings einfach davon und nimmt einen Teil der Energie dabei mit, was einen signifikanten Energieverlust bedeutet. Weil es klein, sehr schnell und nicht elektrisch geladen ist, ist es nur schwer aufzuhalten. Einzig eine massive Abschirmung könnte das Neutron abbremsen oder aufhalten, doch sie wäre nach einigen Jahren so verstrahlt, dass sie ausgetauscht werden müsste – noch mehr radioaktiver Müll. Die weiterentwickelte Variante des Fusionsreaktors sieht deswegen die Fusion von Helium-3 und Deuterium vor, wobei Helium-4 und ein Proton entsteht, das in einem elektromagnetischen Feld eingefangen werden kann. Pro Kilo Helium-3, das mit 67 Gramm Deuterium reagiert, könnten etwa 19 Megawatt Energie erzeugt werden – genug, um etwa 15.000 Haushalte ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Aber wie bei allem, was zu schön klingt, um wahr zu sein, gibt es auch bei der Kernfusion ein großes Problem: Helium-3 ist auf der Erde sehr, sehr knapp.

Was genau ist Helium-3 eigentlich? „Normales“ Helium hat einen Atomkern, der aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht. Wenn man ein Neutron aus dem Kern entfernt, erhält man das Isotop 3He, Helium-3. Es entsteht auf natürliche Weise von Zeit zu Zeit in der Sonne, die Helium produziert, indem sie Wasserstoffatome fusioniert. Etwa alle 10.000 Helium-Atome kommt es vor, dass ein Neutron fehlt. Es wird dann, zusammen mit dem „normalen“ Helium, mit dem Sonnenwind ins All davongetragen. So kommt es auch zur Erde, deren Magnetfeld allerdings verhindert, dass das Helium-3 die Planetenoberfläche erreicht. Ach auf der Erde gibt es natürliche Helium-3-Vorkommen, da das Isotop vermutlich bei der Entstehung des Sonnensystems im Gestein eingefangen wurde und ausgast. Die Hauptquelle für Helium-3 auf der Erde ist allerdings Tritium, auch Superschwerer Wasserstoff genannt. Tritium entsteht auf natürlich Weise in der Stratosphäre, wird aber auch in Kernreaktoren erzeugt und als Booster in Atomwaffen verwendet. Sein Kern besteht aus einem Proton und zwei Neutronen und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,32 Jahren zu Helium-3 und einem Elektron. Die Atomwaffen allein lieferten zeitweise rund 15 Kilo Helium-3 pro Jahr. Durch die weltweite Reduktion von Kernwaffen und dem zeitweise völligen Aussetzen der Tritium-Produktion ist dieser Wert jedoch stark gesunken, sodass der durchschnittliche Jahresbedarf von Helium-3 von rund 10 Kilo nicht mehr gedeckt werden kann. Um die USA ein Jahr lang mit Energie aus Fusionsreaktoren zu erzeugen, bräuchte man nach dem derzeitigen Wissensstand allerdings mindestens 25 Kilo; von Europa, Asien und Afrika ganz zu schweigen. Wenn wir unsere Energie also aus der Kernfusion beziehen wollen, müssen wir uns nach einer anderen Quelle umsehen.

Die Helium-3-Quelle, die der Erde am nächsten ist, ist unser Mond. Da er kein nennenswertes Magnetfeld und keine Atmosphäre hat, erreicht der Sonnenwind seine Oberfläche ungestört. Das darin enthaltene Helium-3 wird vom Mondgestein aufgenommen, das, wie das Gestein auf der Erde, zudem noch Helium-3 aus der Entstehungszeit des Sonnensystems enthält. 1988 vermutete der Kernphysiker Gerald Kulcinski, dass der Mondregolith etwa 1 100 000 Tonnen Helium-3 enthalte; das meiste davon befindet sich offenbar in den sogenannten Mond-Maria, den großen „Meeren“, die etwa 20% der Mondoberfläche ausmachen. Erhitzt man den Regolith auf etwa 600° C, wird es freigesetzt, zusammen mit anderen Mond-Rohstoffen wie Wasser, Gold, Platin, Palladium und Uran – ein netter Zugewinn für ein reales Helium-3-Imperium.

Allerdings stellt Ian McDonald Frau Corta und ihrem Wirtschaftsimperium eine sehr viel bessere Erde-Mond-Infrastruktur zur Verfügung als die, die wir heute zur Verfügung haben. Der Mondloop-Cycler sorgt in Luna für einen permanenten Waren- und Personenaustausch mit der Erde. Denn richtig lukrativ wird das Helium-3-Geschäft erst, wenn wir in der Lage sind, den Regolith vor Ort zu verarbeiten, sodass nur das Gas und nicht Tausende Tonnen Gestein zur Erde geschickt werden müsste. Einigen Studien zufolge bräuchte man rund eine Million Tonnen Regolith, um 70 Tonnen Helium-3 zu gewinnen – und dazu bräuchte man erst einmal Anlagen, die in der Lage sind, solche Mengen überhaupt zu verarbeiten. Eine solche Anlage wäre auf der Erde schon Herausforderung genug. Auf dem Mond kommen zusätzlich zum extrem feinen Staub, der sogar durch die Anzüge der Apollo-Astronauten drang, und dem Mangel an lebenswichtigen Dingen wie einer atembaren Atmosphäre noch extreme Temperaturschwankungen zwischen 130° C und -160° C hinzu – ein Albtraum für Mensch wie Maschine. Auch von den Mond-Städten aus Luna sind wir noch meilenweit entfernt: wir haben gerade einmal die Grundlagen der Aufbereitung von Wasser und Atemluft erlernt; verlustfrei laufen diese Recyclingprozesse noch lange nicht, von einem zuverlässigen Schutz gegen die Strahlung aus dem All ganz zu schweigen.

Diese Probleme müssen gelöst werden, ehe wir uns das lunare Helium-3 unter den Nagel reißen könnten. Da NASA, ESA, CNSA und Co. immer wieder laut über den Mond als Ausgangspunkt für bemannte Missionen zum Mars nachdenken und obendrein auch private Unternehmen wie SpaceX den Mond als lohnenswertes Ziel ins Auge gefasst haben, könnte es sein, dass das Transportproblem schneller gelöst wird, als wir denken. Wenn erst einmal ein reger Verkehr zwischen Mond und Erde herrscht, wäre Ausbeutung und Transport von Rohstoffen der nächste logische Schritt – irgendwie müssen die Raketen ja finanziert werden. Allerdings ist die Frage, wem der Mond (oder Teile davon) eigentlich gehört und wer dort überhaupt Rohstoffe abbauen darf, bisher nicht geklärt. Der Weltraumvertrag von 1967 besagt, dass keine Nation Anspruch auf andere Himmelskörper wie Mond und Mars erheben darf – Privatfirmen werden darin nicht erwähnt und hätten daher ein Schlupfloch zur Verfügung.

Doch selbst, wenn die Realität Luna eines Tages einholt, sind damit nicht automatisch all unsere Energieprobleme gelöst. Mit dem Helium-3 auf Luna verhält es sich nämlich wie mit den fossilen Brennstoffen auf der Erde: es ist nicht unerschöpflich, und irgendwann wird auch diese Quelle versiegen. Dazu kommt, dass auf dem Mond zwar mehr Helium-3 vorhanden ist als auf der Erde, es aber dennoch vergleichsweise geringe Mengen sind, die obendrein in einem aufwändigen Prozess gewonnen werden müssten. Eigentlich wäre es sehr viel praktischer, wenn man das Helium-3 einfach aufsammeln könnte. Auf dem Mond geht das nicht, aber auf anderen Planeten in unserem Sonnensystem: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun haben allesamt jede Menge Helium-3 in ihren Atmosphären. Mit speziellen Sonden, die darauf ausgelegt sind, großen Druck auszuhalten, könnte man in die obersten Luftschichten eindringen und das Helium-3 einfach „abschöpfen“. Wie das in etwa funktionieren könnte, fasst die NASA-Studie „Atmospheric Mining in the Outer Solar System“ von 2013 zusammen.

Welcher der Gasriesen wäre ein lohnendes Ziel? Jupiter ist uns zwar am nächsten, hat aber sehr erratisches Wetter, was das Eintauchen in die Atmosphäre erschwert; eine gigantische Anziehungskraft, weswegen man sehr viel Treibstoff bräuchte, um wieder von ihm wegzukommen; und verfügt obendrein über das extrastarke Magnetfeld des Todes. Saturn ist etwas weiter weg, dreht sich aber sehr schnell, sodass das Einschwenken in den Orbit nicht leicht wird. Obendrein könnten seine Ringe eine Gefahr für die Flotte an Helium-3-Transportschiffen darstellen. Neptun ist viel zu weit weg, als dass sich eine Mission dorthin lohnen würde, obwohl er relativ viel Helium in der Atmosphäre hat. Bleibt also noch Uranus, dessen Ringe so groß und dünn sind, dass sie kein Problem darstellen dürften, und der obendrein sehr kalt ist, was beim Verflüssigen von Helium zu Transportzwecken hilfreich sein könnte. Seine Atmosphäre, das hat Voyager 2 bei ihrem Vorbeiflug 1986 festgestellt, ist so ruhig, dass man sie direkt als langweilig bezeichnen könnte. Zwar ist es auch auf Uranus windig, aber die Windgeschwindigkeiten liegen deutlich unter denen auf Saturn und Jupiter gemessenen. Man könnte also beispielsweise vom Orbit aus eine Gas-Sammelanlage absetzen, die an einem Ballon hängt, der sich einfach von den Winden tragen lässt. Dann verfrachtet man das Ganze mittels eingebauter Triebwerke wieder in den Orbit, füllt alles in ein Transportschiff um und schickt es tiefgekühlt zur Erde. Wir wissen allerdings nicht genau, wie viel Helium-3 tatsächlich in der Uranusatmosphäre ist, denn mit Teleskopen ist das Isotop nicht nachweisbar, und auch Voyager 2 lieferte keine Daten darüber. Erst eine Probe der Atmosphäre könnte diese Frage eindeutig beantworten. Astrophysiker gehen jedoch davon aus, dass wir mehrere Millionen Jahre lang Helium-3 auf Uranus abbauen könnten, bis die Atmosphäre zu ausgedünnt wäre. Bis dahin hätten wir jede Menge Zeit, uns neue Methoden der Energiegewinnung zu überlegen.

Die ersten beiden Romane von Ian McDonalds Luna-Trilogie, Luna und Luna: Wolfsmond, finden Sie zusammen mit weiteren Büchern des Autors in unserem Shop. Weitere Artikel zum Thema Mond finden Sie hier

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