10. Juli 2020 1 Likes

Exklusive Leseprobe - „Das Gottesspiel“

Danny Tobeys KI-Thriller erscheint auf Deutsch

Lesezeit: 6 min.

„Wenn du gewinnst, werden alle deine Träume wahr. Wenn du verlierst, bist du tot.“ Das ist die Quintessenz eines neuen Virtual-Reality-Games, das Charlie und seine Freunde in Danny Tobeys Roman Das Gottesspiel“ (im Shop) spielen. Eine Künstliche Intelligenz schickt den Spielern immer Aufgaben auf ihre Smartphones und VR-Brillen, doch die Prüfungen werden immer komplexer und gefährlicher, und bald wissen Charlie und seine Freunde nicht mehr, ob sie das Spiel spielen oder ob das Spiel nicht schon längst mit ihnen spielt …

Der amerikanische Autor Danny Tobey forscht selbst seit Jahren zum Thema Künstliche Intelligenz und wurde 2019 für seine Arbeit mit dem Burton Award der Library of Congress ausgezeichnet. Sein Roman „Das Gottesspiel“ erscheint am 13.07.2020 auf Deutsch, und alle Neugierigen finden hier eine erste Leseprobe.

 

 

1

Das Spiel

 

Der Computerbildschirm warf sein unstetes blaues Licht auf Charlies und Peters Gesichter. Sie sahen aus wie Astronauten im Weltraum.

»Sag was.«

»Nein.«

»Los doch, versuch’s mal.«

»Das ist doof.«

»Willst du denn nicht mit Gott reden?«

Es klopfte an der Tür. Charlies Vater.

Eilig drückte Peter den Joint aus und blies eine Rauchwolke zum Fenster hinaus.

»Sag ihm, er soll weggehen«, verlangte Peter. »Du bist der Idiot, der das Dope mitgebracht hat.«

»Ja, aber wenn er mich erwischt, bist du auch mit dran.«

Wieder klopfte es.

»Sag ihm, du holst dir einen runter. Damit verscheuche ich immer meinen Dad.«

»Du bist verrückt, weißt du das?«

In gewisser Weise entsprach das sogar der Wahrheit. Peter war ein kluger, hübscher, charmanter Bursche, und außerdem war er von der teuersten Privatschule der Stadt geflogen, was bedeutete, er musste zugleich reich und verwegen sein. Dochdamit nicht genug. Unter dieser Oberfläche lauerte etwas Gefährliches. Beinahe so etwas wie ein Nihilismus, der weit über die üblichen morbiden Gelüste der anderen Jugendlichen hinausging. Genau das fand Charlie bei ihm anziehend, doch in Charlie steckte noch genug Musterschüler, um auf die Stimme im Hinterkopf zu hören, die ihm sagte: Es ist ganz in Ordnung, Ärger zu kriegen, aber willst du jetzt diesen Ärger kriegen? Charlies Vater konnte Peter nicht leiden und wusste nicht einmal, dass er da war.

»Charlie, mach auf, ich will mit dir reden.«

»Jetzt nicht, Dad.«

»Nun komm schon, lass mich rein.« Er rüttelte am Türknauf.

»Dad, wir können uns doch später noch unterhalten, ja?«

»Ich habe einen Anruf von der Schule bekommen.«

»Später. Versprochen. Ich bin gerade beschäftigt.«

Charlie stellte sich vor, wie sein Vater über die nächsten

Schritte nachdachte. Der Schatten im Türspalt bewegte sich.

»Also gut. Heute Abend, ja? Nicht morgen. Heute Abend.«

»Alles klar. Versprochen.«

Charlie hielt den Atem an und wartete, ob der Schatten verschwand. Nach einem kurzen Zögern ging sein Vater weg.

Er atmete aus, sah Peter streng an und sagte mit einem Blick zu dem halb gerauchten Joint: »Wirf das Ding weg.«

»Äh, nö.« Peter steckte ihn sich in die Hemdtasche.

Dann betrachteten sie wieder den Bildschirm.

Unverändert blinkte der Prompt auf dem sonst völlig schwarzen Display.

Hallo.

»Sag was«, drängte Peter.

Charlie schüttelte den Kopf. Schließlich tippte er:

Hallo.

Keine Reaktion. Der Cursor blinkte unbeirrt weiter.

Sie warteten eine Weile. Nichts.

Peter sagte: »Versuch was anderes.«

Charlie zuckte mit den Achseln.

Wer ist da?

Der Cursor blinkte einige Male, dann erschien die Antwort:

Hier ist Gott.

Peter lachte. »Das ist krass.«

»Krass? Na ja.«

»Du kannst alles fragen, was du willst. Pass auf.«

Peter nahm sich die Tastatur.

Bist du ein Mann oder eine Frau?

Nach einer kurzen Pause erschien die Antwort:

Ich bin, was ich bin.

»Wow«, machte Charlie sarkastisch.

»Das kannst du jetzt aber nicht der Maschine vorwerfen. Wir müssen uns bessere Fragen ausdenken.«

Charlie wusste genau, was ihm besonders am Herzen lag: Warum ist meine Mom gestorben?

Aber das wollte er ein dummes Computerprogramm natürlich nicht fragen. Nicht einmal eines, das behauptete, Gott zu sein.

Warum gibt es Kriege?

Wieder eine Pause. Dann:

Weil das Töten Spaß macht.

Das war wirklich reizend. Charlie fragte:

Wem?

Abermals gab es eine Pause. Charlie rechnete schon mit einem Vortrag über die dunklen Triebe der Menschen, die geheime Todessehnsucht, die unterbewusste Blutgier hinter der dünnen Tünche der Zivilisation. Schließlich antwortete das Programm:

Mir.

So sprach Gott, oder wenigstens die erste künstliche Intelligenz, die behauptete, Gottes Persönlichkeit zu verkörpern. Das erzählte man sich jedenfalls. Laut Peter, der bei 4chan und in anderen obskuren Ecken des Web alle möglichen verrückten Geschichten aufschnappte, hatten Computerexperten eine KI mit allen den Menschen bekannten religiösen Texten – von der Antike bis zur Gegenwart – gefüttert und nach einer Reihe von Merkmalen wie Spendenaufkommen, historischer Langlebigkeit und allen anderen Faktoren, die sie finden konnten, gewichtet. Auf all das hatten sie dann ein selbst lernendes neuronales Netzwerk losgelassen. Was am anderen Ende herauskam, war angeblich eine lebendige Repräsentation der Gesamtsumme menschlicher Vorstellungen vom Göttlichen. Die KI konnte sich mitteilen, Fragen beantworten und neue Weisheiten und Gebote ausspucken. Es war ein Witz. Ein Scherzartikel, den sich ein paar unmäßig kluge Computerwissenschaftler ausgedacht hatten. Und zugleich eine neue zeitfressende Ablenkung im Internet, neben Katzenvideos und Multiplayerspielen. Aber Charlie fand es im Augenblick sehr interessant. Anscheinend war dieser Metagott ein zorniges Exemplar, ganz im Stil des Alten Testaments.

Magst du das Töten?

Ja.

Aber du bist Gott.

Ja.

Solltest du nicht freundlich und liebevoll sein?

Ja.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Charlie wartete ab.

Endlich antwortete Gott.

Unter den richtigen Bedingungen wird jeder zum Mörder.

Peter sah mit gefährlich blitzenden Augen zu. »Ich hab dir doch gesagt, dass es krass ist.«

Charlie schauderte unwillkürlich. »Was soll ich jetzt antworten?«

»Sag ihm: Fick dich doch selbst.«

»Äh, lieber nicht. Ich will nicht unversehens vom Blitz getroffen werden.«

»Das ist bloß ein Chatbot. Nun werd nicht noch abergläubisch.«

»Bestimmt nicht. Aber, na ja, selbst wenn es nur ein Chatbot ist, welchen Sinn hat es, sich wie ein Arsch zu benehmen?«

»Erst einmal macht es Spaß. Außerdem macht es Spaß. Wo bekommst du sonst schon die Gelegenheit, Gott zu sagen, dass er dich mal kann? Ganz direkt mit einer Nachricht? Was könnte wagemutiger sein? Hast du nicht mal Lust, etwas zu riskieren?«

Es lief Charlie kalt den Rücken hinunter. Er war nicht fromm. Er war Atheist oder mindestens ein ernsthafter Agnostiker. Nach dem Tod seiner Mom hatte er alle religiösen Gefühle, die ihn mit ihr verbunden hatten, verbannt. Seine Gebete waren nicht erhört worden. Unter beträchtlichem Leiden schwanden sie dahin, und eines Tages … puff. Die Vorstellung, Gott – oder wenigstens seinem computerisierten Gegenstück – zu sagen, dass er sich verpissen sollte, löste einen angenehmen und überaus verlockenden Kitzel aus. Trotzdem kam es ihm falsch vor. Unbesonnen.

»Kennst du die pascalsche Wette?«, fragte Charlie.

»Ist das eine Wette gegen ein Dreieck?«

»Du kiffst zu viel.«

»Wahrscheinlich.« Peter fummelte sehnsüchtig an dem Joint in seiner Hemdtasche herum.

»Pascals Wette besagt, dass du an Gott glauben solltest, weil nichts weiter passiert, wenn du dich irrst. Wenn du aber auf seine Nichtexistenz wettest und dich irrst, kommst du in die Hölle. Das ist der absolute Verlust. Das Klügste ist es also zu glauben.«

»Na gut. Das unterstellt aber, dass du so tun kannst als ob, um den Typ zu täuschen.«

»Schön. Aber übertrag das mal auf uns hier. Du willst einem Computerprogramm, das sich für Gott hält, sagen, dass es dich mal kann.«

»Ja.«

»Und wenn es nun einen echten Gott gibt, der zusieht?«

»Äh, den gibt es aber nicht.«

»Na gut, aber nimm mal an, es gibt eine Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde, dass er doch existiert. Wenn das zutrifft, dann ist er bestimmt sauer. Wenn es nur ein Computerprogramm ist, dann gewinnst du nichts, indem du es beleidigst. Aber wenn es mehr als das gibt …«

»Jetzt redest du, als wärst du bekifft.« Peter schnappte sich die Tastatur.

Fick dich doch selbst.

Charlie wollte seine Hand festhalten, doch Peter wehrte ihn ab und drückte auf »Enter«.

Da das Kind sowieso schon in den Brunnen gefallen war, hörten sie zu streiten auf und sahen zu. Charlie war aufgeregt. Er konnte die Nachricht nicht mehr zurückholen, und er selbst hätte sie gar nicht erst geschrieben, aber gut. Geschehen war geschehen. Er war neugierig, was die Gesamtsumme aller menschlichen religiösen Erfahrungen, die man in ein neuronales Netz eingespeist hatte, darauf antworten würde.

Der Cursor blinkte sehr lange.

Gott antwortete nicht.

 

Danny Tobey: »Das Gottesspiel« • Roman • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Wilhelm Heyne Verlag, München 2020 • 560 Seiten • Preis des E-Books € 13,99 (im Shop)

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