21. September 2021

Kass Morgans „Light Years – Die Gefährten“

Eine erste Leseprobe aus der neuen Space Opera der Bestsellerautorin von „Die 100“

Lesezeit: 10 min.

Kass Morgan ist zurück! Nach ihrem Sensationserfolg Die 100 (im Shop) ist jetzt mit Light Years – Die Gefährten (im Shop) ihr neusten Weltraumabenteuer erschienen: Die Quatra-Flotten-Akademie ist die absolute Eliteschule des Universums. Um Angriffe der mysteriösen Sylvaner abwehren zu können, öffnet sie erstmals die Tore für Studenten aller Planeten. Darunter ist die kluge Vesper – Tochter der Direktorin und unter dem ständigen Druck, sich beweisen zu müssen. Doch im entscheidenden Test wird sie vom Außenseiter Cormak geschlagen. Dass Vesper Gefühle für ihn entwickelt, macht sie nur noch wütender. Zum Glück freundet sie sich rasch mit den beiden weiteren Mitgliedern ihrer Einheit an: Arran und Orelia. Nach außen sind die vier bald das perfekte Team im Kampf gegen die Sylvaner. Doch zwei von ihnen verbergen ein dunkles Geheimnis …

 

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Cormak

Zischend öffnete sich die Luftschleuse, und Cormak schoss in die glühend heiße rosarot gefärbte Luft hinaus. Während sein Motorrad über den karstigen roten Untergrund raste, machte er ein paar flache Atemzüge, bis er sicher war, dass seine Gasmaske funktionierte. Dann stieß er die Luft aus und schaltete den Roader in einen höheren Gang. Gleichzeitig beugte er sich vor, um mit seinem Körper so wenig Widerstand wie möglich zu bieten. Nachdem er die ganze Nacht lang in den Luxustürmen von Sektor 2 H2O ausgeliefert hatte, war er erleichtert, wieder draußen zu sein. Die Luft in den Türmen mochte ja vierfach gefiltert sein, aber sie kam ihm erstickender vor als die vergiftete Atmosphäre des Planeten.

Wasser war auf Deva so streng rationiert, dass die meisten Siedler kaum genug zu trinken hatten, geschweige denn mehr als einmal pro Woche duschen konnten. Aber wer bereit war, einen hohen Preis dafür zu bezahlen, und keine Angst vor Bestrafung hatte, konnte es auf dem Schwarzmarkt kaufen, von Leuten wie Sol, Cormaks Boss. Cormak lieferte das Wasser nun schon seit zwei Jahren in die Luxustürme, doch deren wohlhabende Bewohner beäugten ihn immer noch so skeptisch, als wäre er etwas, was in den Filtern hätte hängen bleiben sollen.

Er hatte auf die harte Tour gelernt, nichts in ihren Wohnungen mit begehrlichen Blicken zu betrachten – weder das Obst, das in den Terrarien wuchs, noch die Filme, die auf den Bildschirmen liefen, und schon gar nicht die Bücher, die in durchsichtigen Kisten aufbewahrt wurden, in denen sie vor der alles zersetzenden Luft geschützt waren. Denn wenn es jemanden gab, dem reiche Leute noch mehr misstrauten als einem staubigen Devak, dann war das ein staubiger Devak, der gern las.

Heute herrschte einigermaßen gute Sicht, und in der Ferne ragten die Türme von Sektor 23 aus dem blassrosa Dunst. Cormak lebte im einunddreißigsten Stockwerk von Turm B, einem der sechs riesigen Betongebäude, die das Panorama seiner wunderschönen Heimat prägten. Wenn er Glück hatte, würde er noch ein paar Stunden schlafen können, bevor Sol ihn wegen der nächsten Lieferungen anrief.

Cormak schaltete sein Helmradio an und schlug sich ein paarmal mit dem Handschuh seitlich gegen den Kopf, bis das statische Rauschen nachließ.

»… offizieller Seite heißt es, dass bei der Explosion vierzehn Minenarbeiter ums Leben gekommen sind«, erklärte eine fröhliche Stimme. »Und nun zum Wetter.«

»Es ist jetzt 27:40 Uhr am Vormittag. Wegen eines Sturms in der Mesosphäre sind die Bedingungen für den Flugverkehr derzeit nicht optimal. Heute rechnen wir mit Höchsttemperaturen von 212 Centis. Die Tiefstwerte liegen voraussichtlich bei 199 Centis. Laut den aktuellen Atmosphärendaten kann man mit ungefilterter Luft zwei Minuten und vierzig Sekunden lang überleben. Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen Tag!«

Cormak fluchte, als er in eine Spurrille geriet. Diese Lieferfahrten waren Gift für seinen Roader, aber er hatte keine Wahl. Für Sol zu fahren, war immer noch besser, als vierzehn Stunden pro Tag in einer der verbliebenen Minen zu arbeiten. Auch wenn es bedeutete, dass er für das größte Arschloch auf Deva tätig war.

Er streckte die Beine durch und richtete sich auf, um weiter sehen zu können. Der Weg vor ihm schien frei zu sein, abgesehen von aufgegebenen Minengerätschaften – darunter einige rostige Bohrer, riesige leckgeschlagene Fässer – und Teilen von Tanklastzügen, welche die Plünderer verschmäht hatten, nachdem die Mine stillgelegt worden war.

Das eintönige Stimmengemurmel im Radio wurde von einem Hinweis unterbrochen. »Jemand versucht, Sie zu erreichen … Cormak, du gehst besser dran, oder ich reiße dir den Arsch auf … Möchten Sie den Anruf annehmen?«

Cormak seufzte. »Annehmen.«

»Was zum Teufel hast du dir bloß dabei gedacht«, fuhr ihn eine vertraute Stimme an, »eine Kundin zu beleidigen?«

»Wovon sprichst du, Sol?«, fragte Cormak müde.

»Was du zu Rella Hewitt gesagt hast, geht gar nicht! Und wieso hast du Ware gestohlen, für die sie gezahlt hat?«

Cormak unterdrückte ein Stöhnen. Auf dem Weg in das Gebäude, in dem die Hewitts wohnten, war er an einem erschöpft aussehenden Mädchen vorbeigekommen, das gerade die Böden wischte – ein weit verbreiteter Anblick auf Deva, wo die Kinder oft mit der Schule aufhörten, wenn ihre Eltern zu krank wurden, um zur Arbeit zu gehen. Cormak hatte ihr einen winzigen Schluck H2O angeboten, gerade mal so viel, dass sie nicht zusammenbrach, bevor ihre Schicht endete. Dabei hatte er allerdings vergessen, dass die ebenso neugierige wie gelangweilte Rella Hewitt häufig die Feeds der Sicherheitskameras in ihrem Gebäude verfolgte, um zu jeder Tages- und Nachtzeit zu wissen, was ihre Nachbarn so trieben. Als er an ihrer Tür angekommen war, hatte sie ihn volle fünf Minuten lang angeschrien, bevor Cormak ihren Wutausbruch mit ein paar wohlgewählten Worten beendete.

»Weißt du, Sol, es fällt mir schwer, Mitleid mit reichen Leuten zu haben, die für ihre exotischen Pflanzen mehr übrighaben als für die Kinder der Siedler.« Im Gegensatz zu den Siedlern, deren Vorfahren sich bereits vor vielen Generationen auf Deva niedergelassen hatten, waren die meisten Wohlhabenden erst in jüngster Zeit von Tri, dem Hauptplaneten der Quatra-Föderation, hergezogen.

»Ach, willst du mir jetzt etwa mit Moral kommen, du Arschloch? Dein Job ist es, abzuliefern und das Maul zu halten. Hast du das verstanden?«

»Verstanden«, murmelte Cormak.

»Du kannst von Glück reden, dass ich so verständnisvoll bin. Ich gebe dir noch eine Chance. Heute Abend holst du etwas für mich ab, 29° 22′ nördlicher Länge und 99° 48′ westlicher Breite … Wieso höre ich nicht, wie du anhältst und das aufschreibst?«

»29° 22′ nördlicher Länge und 99° 48′ westlicher Breite«, wiederholte Cormak gelangweilt. »Verstanden, Chef.«

Er vergaß niemals Koordinaten. Cormak hatte ein Talent für Zahlen und konnte in Gedanken sehen, wie sie die verschiedensten Kombinationen eingingen. Daher war es ihm möglich, selbst komplexe Gleichungen innerhalb weniger Sekunden im Kopf auszurechnen. Allerdings hatte ihm das bislang wenig genützt. Da er seine Lösungswege nicht darlegen konnte, gingen seine Lehrer regelmäßig davon aus, dass er bei den Mathetests betrog. Seinen Bruder Rex hatte ihr Misstrauen jedes Mal zur Weißglut getrieben, aber Cormak war es eigentlich egal. Gute Noten waren nur für Menschen wie Rex wichtig – jene seltenen Schüler, die schlau genug waren, um die Aufmerksamkeit der Lehrer zu erregen, und gleichzeitig so liebenswert, dass alle Verantwortlichen nicht nur den endlosen Papierkram auf sich nahmen, sondern sich auch zu den Gefälligkeiten und Bestechungen bereitfanden, die nötig waren, um diese Schüler an einer Universität oder in einem Ausbildungsprogramm auf einem anderen Planeten unterzubringen. Obwohl letzten Endes nicht einmal Rex es geschafft hatte, von Deva wegzukommen.

»Wenn du das versaust, wird es dir leidtun. Hast du kapiert, Cormak?«

»Alles klar. Ich werde heute Abend dort sein.« Die Koordinaten bezeichneten einen Ort in Sektor 22, an dem Sol einen Kontakt hatte, der gestohlene Nanotechnologie von Tri importierte. Obwohl Sol sein Geld hauptsächlich mit Wasser verdiente, hatte er seine Finger auch im Waffengeschäft und interessierte sich leidenschaftlich für interstellaren Kryptohandel. Gerüchten zufolge hatte er es sogar geschafft, die tridianische Bank zu hacken.

»Scheiße!«, stieß Cormak hervor, als sein Roader erneut in eine Spurrille geriet und vom Boden abhob. Er schaffte es, das Motorrad abzufangen, landete jedoch so hart, dass er die Vibrationen im ganzen Körper spürte. Rasch sah er an sich hinunter, um zu überprüfen, ob seine Hose immer noch fest in den Stiefeln steckte. Durch unbedeckte Hautporen konnte die giftige Luft in den Körper einsickern, was innerhalb weniger Stunden zum Tod führen würde.

Die Atmosphäre von Deva war für Menschen toxisch. Der Planet war in eine dicke Gasschicht gehüllt, die aus Stickstoff, Kohlendioxid und gerade mal genug Sauerstoff bestand, um ihn herauszufiltern und in vakuumversiegelte Gebäude zu pumpen. Außerdem gab es auf Deva große Vorkommen von Terranium, einem Metall, aus dem früher die meisten Gebäude auf dem Planeten Tri errichtet worden waren.

Vor hundert Jahren hatten die tridianischen Minenbetreiber und Metallexporteure gar nicht schnell genug ihren Anspruch auf diese Abbaustätten anmelden können. Zum Schutz vor der tödlichen Atmosphäre hatten sie damals ihre gemütlichen Häuser in riesige Blasen gehüllt und waren in eigens für sie angefertigten Zippern mit zusätzlichen Sauerstofffiltersystemen zur Arbeit geflogen. Anschließend hatten sie Türme errichtet für die Arbeiter, die sie mit der Aussicht auf ein hohes Einkommen und ein neues Leben zu Hunderttausenden nach Deva lockten. Die Türme standen so dicht an den Minen, dass die Kumpel mit den firmeneigenen Gasmasken zu Fuß durch den rosa Nebel zur Arbeit gelangen konnten. Diese Masken hatten natürlich keine zusätzlichen Filtersysteme.

Vor zwanzig Jahren war der Markt für Terranium dann von einem Tag auf den anderen komplett zusammengebrochen, weil Bauunternehmer auf dem Planeten Chetire ein noch widerstandsfähigeres Metall namens Fyron entdeckt hatten. Die meisten Minen wurden geschlossen, aber natürlich hatten die Arbeiter damals bereits so viel Zeit unter Tage verbracht, dass ihre inneren Organe völlig zerfressen waren. Cormaks Vater war im reifen Alter von neununddreißig Jahren gestorben, mit mehr Tumoren in der Lunge als Münzen im Geldbeutel.

Vor Cormak schimmerte etwas am Horizont. Ein Pol in einem Zipper. Fluchend bog er scharf von der Straße ab und fuhr über das holprige, von Gräben durchzogene Brachland. Er hatte zwar nichts verbrochen – zumindest nichts, was von der Luft aus zu sehen gewesen wäre –, aber ein Pol brauchte keinen Grund, um jemanden anzuhalten und ihm das Leben schwer zu machen.

Wenn der hier ihn stoppte und das Wasser bei ihm fand, hatte Cormak ein Riesenproblem. Die meisten Leute, die auf Deva verhaftet wurden, erhielten keine Vorladung und wurden auch nicht vor Gericht gestellt, sondern man hörte schlichtweg nie wieder etwas von ihnen.

Cormak gab Gas und hielt geradewegs auf den Canyon zu, den die Minenarbeiter vor langer Zeit ausgehoben hatten. Er war zu eng für den Zipper und so dunkel, dass die Gesichtserkennung Cormak aus größerer Distanz nicht würde identifizieren können.

Über das Röhren seines Motors hinweg hörte er das unverwechselbare Summen des Polizeizippers. Cormak zwang sich dazu, ruhig zu atmen, da die Maske bei jedem Zug nur eine bestimmte Menge Luft filtern konnte.

»Bleiben Sie stehen und steigen Sie von Ihrem Fahrzeug ab«, dröhnte eine laute Stimme von oben herab. »Sie sind in ein Sperrgebiet eingedrungen und müssen sich ausweisen.«

Sperrgebiet, sehr witzig. Der Canyon war bereits seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesperrt. Das war bloß eine dieser Ausreden, die Pols sich aus den Fingern saugten, wenn sie jemanden filzen wollten. Cormak legte sich flacher auf den Roader, um möglichst alles an Tempo herauszuholen. Zu beiden Seiten seines Gefährts stieg roter Staub auf, und jedes Mal, wenn er über einen Stein oder ein Loch fuhr, hob das Motorrad vom Boden ab.

Cormak näherte sich dem Eingang des Canyons, einem schmalen Spalt in dem hoch aufragenden schmutzig roten Hügel vor ihm, durch den der Zipper auf keinen Fall passen würde. Wenn Cormak es unbehelligt bis dorthin schaffte, würde der Pol die Verfolgung aufgeben müssen.

»Bleiben Sie stehen und steigen Sie von Ihrem Fahrzeug ab!«, befahl die Stimme. »Dies ist die letzte Warnung.«

Der Canyon war noch hundert Mitons entfernt. Jetzt noch neunzig. Cormak gab noch mehr Gas. Siebzig. Er blickte über die Schulter zurück und stieß einen Fluch aus. Warum drehte der Zipper nicht ab?

Der Eingang zum Canyon war immer deutlicher zu erkennen. Vierzig Mitons trennten ihn noch von ihm. Dann dreißig. Mit ihren sieben Mitons Breite bot die Schlucht kaum genug Platz für zwei nebeneinander fahrende Roader und schon gar nicht für einen Zipper. Der Pol würde jetzt jeden Moment hochziehen müssen. Ihm blieb gar keine andere Wahl.

Ein plötzlicher heißer Luftstoß warf Cormak fast vom Motorrad. Der Zipper war tiefer gegangen und flog nun dicht über dem Boden neben ihm her. »Halten Sie an!«, brüllte der Pol.

Anstelle einer Antwort kauerte Cormak sich noch weiter zusammen und beschleunigte den Roader bis zum Anschlag. Während er auf den Eingang des Canyons zuraste, hielt er den Atem an und hoffte inständig, dass der Pol nicht versuchen würde, ihn zu überholen und den Weg zu blockieren. Denn damit würde er sie beide töten.

Cormak tauchte in den Schatten der Schlucht ein und blickte gerade noch rechtzeitig über die Schulter zurück, um zu sehen, wie der Zipper scharf nach links ausscherte. Ein paar Sekunden später hörte er knirschendes Metall, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Cormak bremste so stark, dass das Heck des Roaders ausbrach und gegen die Felswand knallte. Einen Moment lang sackte er keuchend zusammen und versuchte, das schmerzhafte Pochen im Bereich seiner Rippen zu ignorieren.

Erst als er sah, wie sich der Umriss des Pols von dem zerstörten Zipper entfernte, stieß Cormak einen Seufzer aus. Der Typ hatte nun keine Chance mehr, ihn einzuholen. Cormak setzte sich aufrecht hin und ließ lächelnd den Motor aufheulen, um die Verwünschungen des Pols zu übertönen, die von den Felswänden widerhallten.

 

Kass Morgan: Light Years – Die Gefährten • Roman • Aus dem Amerikanischen von Urban Hofstetter • Heyne, München 2021 • als E-Book und Paperback erhältlich • € 11,99 (E-Book) • im Shop

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