10. Februar 2017

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Nach der Smart-Drug-Revolution: Daryl Gregorys Biopunk-Krimi „Afterparty“

Lesezeit: 3 min.

In der nahen Zukunft kommen die Drogen nicht mehr aus einem Wohnwagen in der Wüste oder sonst einer gut verborgenen Einrichtung zum Kochen und Mischen – nach der Smart-Drug-Revolution wird der Stoff einfach von Chemjet-Druckern ausgespuckt und über einen Streifen bedrucktes Papier konsumiert. Kennt man den richtigen Drucker beziehungsweise Dealer, kriegt man alles, jeden gewünschten Stoff, jede gewünschte Wirkung. Die kanadische Neurochemikerin Lyda Rose und ihr kleines Team haben eine chemische Substanz entwickelt, die es besonders in sich hat. Nimmt man Numen ein, erscheint einem Gott (oder Ganesha oder an wen oder was man eben glaubt) persönlich, und der eigene Glaube erreicht eine ganz neue Ebene und Intensität. Die Nebenwirkungen und Entzugserscheinungen sind jedoch massiv bis katastrophal, weshalb Lyda und Co. damals entschieden haben, ihr Produkt nie auf den Markt zu bringen. Seit ihrem eigenen Numen-Trip auf einer Party sitzt Lyda in einer psychiatrischen Klinik (so viel zum Thema Afterparty). Hier erfährt sie durch Zufall, dass Numen irgendwie einen Weg in die Freiheit gefunden hat und die zu erwartenden Opfer fordert. Gemeinsam mit ihrem eingebildeten Schutzengel und ihrer Liebhaberin – einer paranoiden Ex-Geheimagentin – macht Lyda sich daran, diejenigen zu finden, die Numen trotz der üblen Konsequenzen unter die Leute bringen. Dafür muss die geisteskranke Wissenschaftlerin tiefer in ihrer eigenen schmerzhaften Vergangenheit graben, als ihr lieb ist, und bekommt es mit Drogenköniginnen und Auftragskillern zu tun…

Der 1965 geborene Daryl Gregory veröffentlichte in den 90ern erste Kurzgeschichten in bekannten amerikanischen Fantasy- und Science-Fiction-Magazinen. Sein Romanerstling „Pandemonium“ erschien hingegen 2008 und gewann prompt den Crawford Award, seither kamen weitere Werke sowie der World Fantasy Award, der Shirley Jackson Award und u. a. eine Nominierung für den Philip K. Dick Award hinzu. Darüber hinaus verfasste Gregory diverse Comic-Serien, z. B. „Planet der Affen“ (dt. bei Cross Cult), „The Secret Battles of Genghis Khan“, eine Steampunk-Variante von „Green Hornet“ und „Dracula: The Company of Monsters“ mit Kurt Busiek als Co-Autor. Das von Frank Böhmert übersetzte „Afterparty“ ist Gregorys Romandebüt auf dem deutschsprachigen Markt – und alles andere als ein schlechtes.

Immerhin wirkt der rasante Roman die meiste Zeit über, als hätten ihn Matt Ruff, William Gibson (im Shop) und Philip K. Dick (im Shop) in irgendeiner literarischen Drogenküche des Post-Cyberpunk zusammengebraut: Einen erfrischenden neurowissenschaftlichen Thriller und Biopunk-Science-Fiction-Krimi, der in der ersten Hälfte zwar etwas mehr Pepp und Schwung hat, in der Summe aber jederzeit mitreißt. Beim Lesen fühlt er sich nie wie ein klassischer Pageturner an, der einen süchtig macht – die Seiten und Kapitel flutschen dennoch nur so wie im Rausch weg. Auch, weil Mr. Gregory sich in keiner theologischen, philosophischen oder moralischen Debatte verheddert und die Geisteskrankheiten seiner Protagonisten eher als Motor denn als Hemmschuh der Handlung nutzt. Die Mischung aus Fakten, Kritik, Action, Spannung und coolen Ideen ist so ausgewogen wie das gute Zukunftsszenario plausibel.

Daryl Gregorys SF-Krimi über gedruckte Drogen, synthetische Erleuchtung, menschliche Schizophrenie und persönliche Tragödien ist eine überraschende und packende Lektüre, die ihren Deal zwischen Autor und Leser in einer unverbrauchten Nebenstraße der Zukunftsliteratur macht.

Daryl Gregory: Afterparty • Fischer Tor, Frankfurt 2017 • 398 Seiten • Taschenbuch: 9,99 Euro

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