13. April 2017 4 Likes

Handbestäubte Zukunft

1852 bis 2098: Maja Lundes Roman „Die Geschichte der Bienen“

Lesezeit: 3 min.

Nach mehreren Büchern für junge Leser hat die norwegische Autorin und Drehbuchschreiberin Maja Lunde mit „Die Geschichte der Bienen“ (im Shop) ihren ersten Roman für Erwachsene vorgelegt, der mittlerweile in mehr als zwei Dutzend Länder verkauft wurde. Der internationale Erfolg mag sich nicht zuletzt deshalb eingestellt haben, weil die 1975 geborene Lunde auf 500 Seiten eigentlich drei Geschichten erzählt. Aus Sicht ihres Protagonisten-Trios, das insgesamt 250 Jahre Menschheitsgeschichte in Vergangenheit und Zukunft abdeckt, werden sich verändernden Werte in Sachen Gesellschaft und Familie geschildert – und natürlich die titelgebende Geschichte der Bienen, deren Sterben seit Längerem die Gemüter erhitzt, die Experten beschäftigt und auf der ganzen Welt Ökosysteme in arge Bedrängnis bringt.

Denn wir brauchen die Bienen, die einen Großteil aller Pflanzen bestäuben und damit einen wichtigen Faktor in der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion darstellen. Doch Pestizide, Klimawandel und Parasiten setzen den emsigen kleinen Brummern schwer zu. In Lundes Roman gibt es im Jahr 2098 längst gar keine Bienen mehr. Die menschliche Zivilisation ist in der Folge endgültig kollabiert, und die neue, auf Nährwerte konzentrierte Ordnung erinnert stark an das, was sonst gestandene Science-Fiction-Autoren wie Paolo Bacigalupi (im Shop) beschreiben. Nur China kriegt es noch halbwegs auf die Reihe, da man hier wegen der immensen Umweltverschmutzung schon vor dem Zusammenbruch auf Handbestäubung umgestellt hat. Zugleich wird noch strenger reguliert, und das Kollektiv geht über alles – fast wie bei den ausgestorbenen Bienen früher. Alles im Land ist darauf ausgerichtet, dass die menschlichen Drohnen ab ihrem achten Lebensjahr den ganzen Tag von Hand die Pflanzen und Bäume bestäuben. Ich-Erzählerin Tao gehört zu den Arbeitskräften, die tagein, tagaus schuften, und dieses Schicksal würde sie ihrem kleinen Sohn Wei-Wen gerne ersparen. Als Wei-Wen eines Tages etwas Schlimmes widerfährt, reist seine Mutter bis in das entvölkerte Peking, wo eine geradezu endzeitliche Stimmung herrscht und Tao über eine unglaubliche Entdeckung stolpert …

Zu diesem futuristischen Handlungsstrang gesellen sich zwei weitere, gleichwertige Familienschicksale aus der Vergangenheit: Zum einen ist da William, ein depressiver englischer Familienvater, Saatguthändler und Naturforscher, der sich 1852 leidenschaftlich mit Bienen beschäftigt und den man als den fiktiven Salieri der Imkerei mit Magazinbeuten bezeichnen könnte – seine erfinderischen Kollegen und Bienenfreunde um Lorenzo Langstroth sind ihm ohne sein Wissen oder Verschulden stets einen Schritt voraus, wenn es um brillante Ideen und Einfälle für fortschrittliche Bienenstöcke geht. Zum anderen ist da der amerikanische Honigfarmer George, der 2007 gegen die gefürchtete Diagnose Colony Collapse Disorder genauso kämpft wie gegen Bankkredite und alle möglichen neuzeitlichen Veränderungen – angefangen bei seinem Sohn, der auf dem College studiert und andere Pläne hat, als den Familienbetrieb zu übernehmen, und seiner Frau, die gerne nach Florida ziehen würde.

Am Ende gelingt es Maja Lunde in ihrem gut durchkomponierten Roman, alle Familien, Geschichten und Epochen elegant miteinander zu verknüpfen. Davon abgesehen, hat jeder ihrer Erzähler seine eigene, an die Zeit und den Hintergrund angepasste Stimme und seine eigenen Probleme, die einem als Leser allesamt wichtig sind – da gibt es keinen Protagonisten, dem man lieber folgt, und schon gar kein Schicksal, das einen kalt lässt, während Lundes Hauptfiguren und Zeitebenen sich kapitelweise munter abwechseln. Schön auch, dass über jedem Kapitel der Name der jeweiligen Hauptfigur steht, wofür man in der gedruckten Ausgabe eine zur Zeit passende Schriftart und Schreibweise ausgewählt hat. Ein hübsches Detail im ohnehin richtig hübsch aufgemachten Hardcover.

Drei Länder, drei Zeitalter, drei Geschichten und mehr als drei Genres: Maja Lunde denkt nicht in Schubladen (wenn, dann in Magazinbeuten) und hat eine klare, nichtsdestotrotz berührende Sprache. So gelang ihr ein herrlicher Roman über die Natur und den Menschen sowie die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; über Eheleute, Eltern und Kinder; darüber, wie alle Dinge auf der Welt zusammenhängen, und wie nahe beisammen Hoffnung und Tragödie liegen; und natürlich über Bienen. Das Ergebnis ist literarischer Honig für alle, die außergewöhnliche Bücher mögen und es nicht zu süß brauchen, was die Story angeht.

Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen • btb, München 2017 • Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein • 512 Seiten • Hardcover: 20,00 Euro • im Shop

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