26. Oktober 2017 3 Likes

80s Magic – „Stranger Things“ und die Inspiration

Von Stephen King bis Akira: Ein Einblick in die Welt der Kultserie „Stranger Things“

Lesezeit: 5 min.

Das Hollywood der 60er und 70er Jahre war geprägt von jungen, aufstrebenden Regisseuren, denen beim Dreh und der Ausführung weitestgehend freie Hand gelassen wurde. Nicht mehr Produzenten hatten die Oberhand, sondern der Regisseur, der hinter seiner eigenen Idee stand. Der oft erwähnte Begriff des Auteurs gewann an Einfluss in Amerika, der eine neue Ära Hollywoods einläutete – das „New Hollywood“-Cinema. TV-Produktionen gewannen zum ersten Mal an prominenter Relevanz, während Serien-Giganten wie „M.A.S.H.“, „Columbo“ oder „Saturday Night Live“ das Licht der Welt erblickten. Filme der „New Hollywood“-Ära drängten dazu, den Zuschauer der inneren Ungewissheit zu überlassen und Wege zu amoralischer Interpretation zu eröffnen, absichtlich fern bleibend von einem befriedigendem Ende. Klassiker wie Martin Scorseses „Taxi Driver“ und Peter Fondas „Easy Rider“ kommen ins Gedächtnis. Europäische Film-Ästhetik begann sich im Hollywood der 60er und 70er breit zu machen, während sich still und heimlich das - unter vielen Filmliebhabern betitelte - „goldene Filmzeitalter“ anbahnte. Die Rede ist selbstverständlich von den 80ern, die Periode der ersten „Blockbuster“. Es sollte eine Bewegung sein, die Filmemacher und ganze Generationen bis heute nachhaltig beeinflusst, wie kaum eine andere. Es war die Konzeption der „Filmikone“, der weltweit anerkannten „Popkultur“, der sich keiner mehr entziehen konnte. Und mit der erneuten Renaissance des Fernsehens versteht sich heute keine andere Serie mehr als die Brücke zwischen dieser ganz besonders auszeichnenden „80s-Magic“ und der Gegenwart, wie es „Stranger Things“ tut. Nun steht bereits am morgigen Freitag, den 27. Oktober 2017, die zweite Staffel auf Netflix in den Startlöchern.


„… und gleich kommt der Zug?“

Ersonnen wurde der erfrischend nostalgische Trip von den „Duffer-Brüdern“, den Zwillingen Matt und Ross Duffer. Beide, noch relativ unbeschriebene Blätter, träumten gemeinsam von der Idee eine Serie zu entwerfen, die ihren großen Idolen der Kindheit und Teenagerzeit Tribut zollen sollte. Namen wie Stephen King, Steven Spielberg und John Carpenter kamen sofort in den Sinn, neben etlichen anderen. Diese ganz besondere Magie der späten 70er und 80er Filme sollte emuliert werden, mit Filmen wie „Der Weiße Hai“, „E.T.“ und „Stand By Me“ und etlichen Stephen-King-Büchern als Schablone. Aus der ursprünglichen Idee, die Serie in Montauk, New York, spielen zu lassen, um Verbindungen zu Spielbergs Hai-Horror aufzubauen, entwickelte sich das uns heute bekannte fiktive Städtchen Hawkins. Die Duffers eilten mit ihrem Entwurf von Sender zu Sender, die sie alle abwiesen mit der Begründung, eine erwachsene Serie, in der Kinder die Protagonisten seien, würde niemals zünden. Beim unabhängigen Streaming-Dienst Netflix fanden sie letztlich ein Zuhause.

Beim Font des Titels waren sich die Zwillinge sofort einig, denn es sollte den Schriftzügen von Kings „Feuerkind“ und „Needful Things“ ähneln. An Letzteren angelehnt entwickelte sich auch besagter Serientitel, der allerdings bis zum Schluss für viel Streit unter den Brüdern sorgte. Das eindrucksvolle Intro der Serie, mit dem roten Neonschriftzug und dem Synthesizer-Sound, unterstrich die gewollte Atmosphäre nur noch mehr und verneigt sich eindeutig vor dem Horrormeister John Carpenter. Aufgrund des ernannten Vorbilds engagierten die Duffer Brüder Kyle Dixon und Michael Stein der Band Survive, welche selbst Carpenter als musikalische Inspiration intus hatten. Und sogar die Poster zur Serie erinnern sofort an Drew Struzan, den Meister des Kinoplakats.


„Der etwas andere Club der Verlierer.“

Wenn man die vier Jungs Mike, Will, Lucas und Dustin sowie das telekinetische Wunderkind Eleven so ansieht, ist selbstverständlich die Ähnlichkeit zum „Club der Verlierer“ aus Stephen Kings „Es“ (im Shop) oder der Truppe aus „Stand By Me“ nicht von der Hand zu weisen. Matt und Ross nennen sämtliche Werke des Großmeisters und inbesondere „Es“ als eine der größten Inspirationsquellen, die sie bereits als Kinder regelrecht verschlangen. Wenn jugendliche Unschuld auf Übernatürliches trifft, sich Verbindungen formen und die Kindheit mit dem Erwachsenwerden kollidiert, entsteht unbeschreibliche Magie. Unter Literaten in ähnlicher Form auch besser bekannt als „Magischer Realismus“. Kurzum: Wenn das suburban Alltägliche auf Magie trifft. Das verstand nicht bloß Joss Whedon mit seiner Serie „Buffy“. Und wenn Elle mit ihren Kräften den (damals unglaublich begehrten!) Millenium Falken schweben lässt, oder Joyce mit ihrem angeblich toten Sohn telefoniert, brechen nicht nur Erinnerungen an Roland Emmerichs düsteren Streifen „Joey“ hervor.

Bereits Filme wie „Der weiße Hai“ (1975) und „Star Wars“ (1977) verbreiteten diesen ganz gewissen Charme, den später die 80er Jahre ausmachen sollten. Und wenn erstmal die passende Musik spielt, entstehen exemplarisch ikonische Szenen, wie „Rocky III“s Trainingsmontage zu „Eye of the Tiger“ oder auch Christines Zerstörung in John Carpenters gleichnamiger King-Verfilmung, geradezu träumerisch untermalt vom Song „Rock’n’Roll Is Here To Stay“. Unnachahmliche Ähnlichkeiten zum ebenfalls von Carpenter stammenden „Der Nebel des Grauens“ und Kings Novelle „Der Nebel“ (im Shop) liegen auf der Hand, was allerdings nur bedingt (und retrospektiv dann trotzdem) stimmt. Denn die direkten Einflüsse der Duffer-Brüder liegen ebenfalls unerwartet im Fernöstlichen, besonders im Bereich des Gamings und diverser Animes und Manga, wie bereits häufig von ihnen zum Protokoll gegeben. Jeder, der wohl schon einmal einen Teil der japanischen Horrorspielreihe „Silent Hill“ spielte, wird unwiderruflich einen Schrei beim Anblick der Parallelwelt des Upside-Downs abgegeben haben, oder beim Design des Demogorgons, welcher stark an Gegner aus besagter Reihe erinnert. Die zum Klassiker gewordene Reihe „Silent Hill“ bediente sich aber selbstverständlich der Vorbilder Kings und Carpenters und ebenfalls des 1990 erschienenen Films „Jacob’s Ladder“. Weiterhin dienten aktuelle Spiele wie „Dark Souls“ und „The Last of Us“ als Quellen, ebenso wie diverse Animes, etwa der Sci-Fi-Klassiker „Akira“ und das in den USA recht unbekannte „Elfen Lied“. Hier im japanophilen Deutschland bereits lange zum Klassiker geworden, war der erste Trailer von „Stranger Things“ eine offene Hommage an „Elfen Lied“, welche laut eigener Aussage Matt Duffers, ihn damals an ein äußerst gewaltsame Interpretation „E.T.“s erinnerte.


„Ein Xenomorph? Falsch gedacht. Demogorgon!“

Über die letzten Jahre gab es etliche Versuche diverser Filmemacher, die verloren geglaubte Magie der 80er wieder einzufangen. J.J. Abrams solider, aber nicht ganz treffsicherer „Super 8“ unternimmt zwar exakt denselben Versuch, bleibt aber mit einem faden Geschmack im Mund zurück. Was „Stranger Things“ und die Duffer-Brüder jedoch unter Beweis stellten, ist die Tatsache, dass es besagte Magie immer noch gibt. Von der an Ripley erinnernden Eleven, bis hin zu David Finchers ikonischen „Alien 3“-Kameraeinstellung, der in der Pilot-Episode angedacht wird, oder dem durchdringenden Gefühl eines „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ und den luftigen Höhen von „Explorers“ oder „Der Flug des Navigators“: Die Parallelen und vor allem das Gefühl sind unabdingbar. Das zeigt allem voran die Stärken von „Stranger Things“. Man erkennt die Inspirationen sofort, selbst, wenn es eigentlich gar keine gibt. Denn wie die Duffer-Brüder in diversen Interviews schon selbst lachend anmerkten, kamen ihnen im letzten Jahr ungemein viele Menschen entgegen und sagten: „Diese Szene erinnert mich an XYZ! So toll, dass ihr an diesen Film noch gedacht habt!“ Das einzige Problem war, dass sie jedoch häufig besagte Filme oder Serien nicht einmal kannten oder je sahen. Somit war jegliche Ähnlichkeit ein reiner Zufall und bloß diesem ganz gewissen Gefühl geschuldet. Der unvergleichlichen Magie der 80er, sozusagen.

Die zweite Staffel von „Stranger Things“ erscheint morgen, 27. Oktober 2017, exklusiv beim Streaming-Dienst Netflix in deutscher und englischer Sprache.

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