11. Mai 2018 3 Likes

Hundstage auf Japanisch

„Isle of Dogs – Ataris Reise“: Weszentrik ohne Formvollendung

Lesezeit: 5 min.

Man muss schon ein idealistischer Fantast oder einfach nur ein schamloser Plakativist sein, um sich folgende Szene auszudenken: Da sitz eine Gruppe Hunde mit einem Jungen in einer Art Gondel auf dem Weg zum Ende einer gigantischen Müllinsel. Während sich die beiden vermeintlichen Rudelführer darüber streiten, wie sie denn nun genau weiter auf ihrer Suche nach dem vermissten Hund des Jungen vorgehen wollen und wer letztlich das Sagen hat, wird die Gruppe plötzlich voneinander getrennt und einige der Hunde landen ohne jede Vorankündigung in einer Tötungsanlage. Schon zuvor wurde man mit einem ähnlich knallharten Schnitt konfrontiert, als der in einem Käfig gefangene Vierbeiner des 12-jährigen Jungen namens Atari buchstäblich nur noch aus Knochen besteht, da niemand seinen Käfig aufbrachte.

Doch wir würden uns nicht auf einer märchenhaften Odyssee und schon gar nicht in einem Film von Wes Anderson befinden, würden nicht nur diese beiden Volten erneut eine höchst eigenwillige Umdrehung erfahren. Der beste Freund des Menschen wird im beeindruckend detaillierten Isle of Dog – Ataris Reise (seit dem 10. Mai in den deutschen Kinos) immer wieder zur emotionsgeladenen Spielfläche des vielleicht größten Cinemagiers der letzten Dekade, dem vor allem die diesjährige Berlinale auch mit seinem zweiten Stop-Motion-Animationswerk nach Der fantastische Mr. Fox mal wieder mit allen Eröffnungsehren zu Füßen lag.

Andersons cineastisch feingeistige Liebe zur dezenten Lakonie gepaart mit seinem ungemein pittoresken, aber erstaunlich warmherzigen Surrealismus, verhalfen ihm dazu, nach überragenden Frühwerken wie Rushmor, The Royal Tenenbaums und Die Tiefseetaucher auch über zehn Jahre später noch von Fans wie Kritikern begeistert aufgesogene Autorenfilme wie das Coming-of-Age-Komödie Moonrise Kingdom oder die bittersüße Tragikkomödie Grand Budapest Hotel kredenzen zu können. Von der Handschrift des Meisters, seine Figuren sympathisch pubertär und träumerisch entrückt mit ihren meist formenstrengen Lebenswelten zu konfrontieren, lebt auch Isle of Dogs von Anfang bis Ende. Doch dieser richtet seinen Fokus – leicht unüblich für Anderson – auf eine dystopische Zukunftsvision Japans, in der politische Anspielungen ebenso ofenkundig ausgetragen werden wie allerhand interkulturelle Traditionslinien zwischen Ost und West.

Gerade Letzteres sorgt für ein besonderes breites Spektrum an Faszinationen, wenn bereits zum Auftakt des Films ein typisch japanischer Prolog über den ewigen Krieg zwischen Katzen und Hunden berichtet oder Taiko-Trommler ebenso für das nötige Asia-Flair sorgen wie Sumoringer, Sushi-Schneider oder wässrige Kulleraugen. Wie immer bei Anderson wird gerade das intellektuell interessierte Publikum also viel finden, was sich ästhetisch wie filmwissenschaftlich bejubeln lässt, wobei die Fülle an Spuren diesmal vielleicht fast ins Irrlichtern im Reich der Zeichen tendiert. Der Krieg zwischen Hund und Katz führte dazu, dass die Hunde nach dem Ausbruch einer mysteriösen Grippe vom tyrannischen Bürgermeister der Stadt Megasaki auf die nahegelegene Müllinsel Trash Island exiliert werden, um so angeblich die Menschen zu beschützen, wobei dies natürlich nur ein Rädchen innerhalb eines größeren (Katzen-)Intrigenwerkes markiert.

Aller möglichen Gefahr strotzend, ist es ausgerechnet das Mündel des bösen Bürgermeisters, also Atari, der sich mit einem Flugzeug auf zur Insel der Hunde macht, um dort seinen Hund Spots zu finden. Doch was er antrifft sind nur versprengte Rudel längst abgemagerter Vierbeiner, die sich in herrlich inszenierten „Staubwölkchen“ hoffnungslos um die letzten Abfallreste prügeln. Mithilfe der bereits vorhin skizzierten Gruppe um den ruppigen Streuner Chief, macht sich der Junge auf die Suche und bekommt es dabei neben einigen kommunikativen Problemen (die der gesamte Film mit Verve und mediengeschichtlichem Bewusstsein zelebriert) mit Roboterhunden und anderen Schergen zu tun, die Atari zurück in die Stadt bringen wollen.

Die märchenhaft anmutende Reise, von Anderson bewusst in vier Akte unterteilt und mit vielen Erzählsprüngen durchzogen, ist naturgemäß gespickt mit mehreren Wandlungen und Initiationsmomenten, die letztlich so archetypisch sind, dass Isle of Dogs sogar tatsächlich nicht nur für Cineasten und Filmstudenten funktioniert. Dennoch fällt bei aller Liebe ins Auge, dass sich Anderson diesmal ein paar Schnitzer leistet, die sich nicht so einfach cinephil wegdiskutieren lassen. Da wäre zum einen die gerade im Mittelteil etwas zäh gestreckte Story, die speziell aufgrund der eher tristen Kulisse der Insel etwas mehr Straffung hätte vertragen können. Zuweilen wirken die Zwischenspiele nämlich fast wie Ablenkungsmanöver davon, dass die Grundkonstellation phasenweise wenig bis nichts Neues zu bieten hat.

Dazu gesellen sich ideologische Fragen, die der Film aufgrund seiner offenen Anleihen an Flüchtlingskrise, Ausgrenzung, Fake News, Umweltschutz, politischen Autoritarismus und seinem dezidierten Umgang mit Klischees durchaus aushalten muss: Warum ist es ausgerechnet eine amerikanische Austauschschülerin, die sich mithilfe einer kleinen Resistance gegen den japanischen Tyrannen stellt? Warum wird das Volk der Katzen ohne jede Reflexion als Drahtzieher des Bösen hingestellt, ohne dies irgendwie zu unterfüttern oder mehr daraus zu machen? Und warum bleibt überhaupt die hier gezeigte japanische Gesellschaft so klischeehaft lethargisch, ohne dass auch dies irgendwie greifbar funktionalisiert würde?

Viel davon wird gerade deshalb zum Problem, da man so nicht ganz nachvollziehen kann, was uns der Amerikaner Anderson mit seinem Polizeistaat-Modell und dem zum Ende hin bemerkenswert utopischen Aufstand der Hunde denn nun eigentlich sagen will. Ähnlich verhält es sich mit kleineren, scheinbar unmotivierten Spielereien wie der Tatsache, dass eine japanische Wissenschaftlerin namens Yoko Ono von der tatsächlichen Witwe John Lennons im Original gesprochen wird. Sich an solchen Aspekten aufzuhängen, mag im Vergleich zu 90 Prozent der restlichen Filmproduktionen sehr penibel wirken, aber wenn ein Autorenfilmer wie Anderson sein Werk neben aller Designkunst mit so viel letztlich doch handfestem Interpretationsraum ausstattet, sollte gerade ein Meister wie er mehr Antworten parat haben, als es speziell das Finale nach all den Motiven und Anspielungen liefert.

So drängt bei aller Schönheit von Isle of Dogs als zauberhafter Tier-Mensch-Parabel auch ein bisschen Schatten ins Idyll, den allerdings wohl nur der Teil des Publikums (und vor allem der Kritik) wahr- oder vielleicht sogar annehmen wird, der bereit ist, auch ein Genie wie Anderson zu hinterfragen, ohne darin unnötigerweise ein Sakrileg zu vermuten. Denn damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich ist Isle of Dogs unbedingt empfehlenswert und speziell seine zotteligen Figuren mitsamt ihren Originalsprechern von Bryan Cranston, Frances McDormand, Bill Murray, Greta Gerwig und so vielen anderen bleiben mit mehreren hinreißend elegischen Pointen noch lange im Gedächtnis. Aber wahr ist eben auch: Hinter dem schönen Schein steckt nicht ganz so viel Substanz wie man es sich auch diesmal von all der aufgefahrenen „Weszentrik“ wieder gewünscht hätte.

„Isle of Dogs – Ataris Reise“ ist seit dem 10. Mai 2018 in den deutschen Kinos zu sehen.

Isle of Dogs – Ataris Reise • USA/D 2018 • Regie: Wes Anderson • Darsteller (Originalstimmen): Bryan Cranston, Frances McDormand, Edward Norton, Scarlett Johansson, Liev Schreiber u.a.

© Fox Searchlight

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