30. September 2018

Apokalyptisch gut

„Shadow of the Tomb Raider“ markiert einen würdigen Abschluss der Reboot-Trilogie um Lara Croft

Lesezeit: 6 min.

Über die verschiedenen Stationen der Figur Lara Croft zwischen popkultureller Ikone, transmedialer Alleskönnerin und wechselhafter Seismographin der Entwicklung des Action-Adventure-Genres ist in den letzten 20 Jahren viel geschrieben worden. Ob sich Lara nun wirklich als Vorreiterin (virtueller) Emanzipationsrepräsentanz anbietet, wurde über ebenso leidenschaftlich wie kontrovers diskutiert wie das dem gegenüber fast schon kleinlich anmutende Auf und Ab der Qualität ihrer jeweiligen Tomb Raider-Ableger.

Während nun speziell der letzte Kinoauftritt der unerschrockenen Jungarchäologin mit Alicia Vikander in der Hauptrolle – statt der zuvor aktiven Angelina Jolie – allerdings trotz vielgepriesener Modernisierung bei Kritik und Publikum eher auf wenig Interesse stieß, erreichte die von Square Enix 2013 gestartete Reboot-Trilogie zumindest die Game-Community weit stärker als es die letzten Auftritte taten und sorgte auch weit ab jeder popkulturellen Implikation für eine echte Belebung der Marke Lara Croft.

Denn die Macher aus den verschiedenen Entwicklerschmieden von Crystal Dynamics und Eidos Montreal verpassten Lara eine waschechte Origin-Story, die sich mit ihrer Mischung aus klassischem Coming-of-Age-Action-Narrativ und zeitgemäßen Game-Standards wie semioffenen Spielwelten inklusive viel Bombast und Komfort zwar sehr deutlich an Überhits wie Uncharted bediente, aber eben mithilfe ihrer Protagonistin dennoch behutsam eigene Akzente hochhielt. Mit Shadow of the Tomb Raider erhielt der Dreiteiler nun also seinen Abschluss (seit Mitte November auf PS4, Xbox One und PC) und macht wie die Vorgänger entsprechend der eben skizzierten Erfolgsformel vieles richtig.

War Lara in Teil 1 noch ein unerfahrenes Küken, das in Windeseile zur allzeit bereiten Killern mutierte und mit der Ermordung ihres Vaters durch eine mächtige Geheimorganisation namens Trinity zunehmend genug Dauermotivation für ihre gelegentlich sehr zweifelhaften Taten an die Hand bekam, konservierte der zweite Teil Rise of the Tomb Raider den eingeschlagenen Entwicklungspfad hin zur selbstsicheren Actionheldin. Spielerisch vermieden beide Teile echte Risiken, boten allerdings jeweils sehr gut produzierte und äußerst massentaugliche 20 Stunden Spielspaß mit viel Erkunden, Craften, Stealth und offenem Gefecht.

Teil 3 macht da nun keine Ausnahme, versteht sich jedoch noch mehr als beide Vorgänger als Fan-Service für jedermann. So lassen sich schon zu Beginn nicht nur der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe sowie der Rätsel, sondern auch gleichermaßen der Anspruch an die nicht gerade seltenen Kletterpassagen nach Wunsch manipulieren und dem eigenen Gusto anpassen. Shadow hat außerdem von früheren, eher kleineren Ungereimtheiten in Sachen Balance gelernt und setzt deutlicher auf die für viele Fans der Reihe seit jeher essentielle Mixtur aus Grabkammer-Räuberei, Abenteuer-Seightseeing und Third-Person-Action, wobei der Action-Anteil über weite Strecken merklich zurückgefahren wurde, um den anderen Elementen endlich wieder mehr Raum zuzugestehen.

Lara ist längst kein Greenhorn mehr und regelrecht besessen davon, Trinity für deren gefährlich geheimbündlerische Taten büßen zu lassen. Dass Hochmut auch in Tomb Raider vor dem Fall kommt, lernt Miss Croft hingegen schon nach wenigen Szenen. Denn nach einem stimmungsvollen Einstieg während des Festes der Toten in einem Dorf in Mexiko, bei dem Lara ihre Erzfeinde verfolgt, löst sie völlig unbedacht bis dummdreist den Weltuntergang aus, indem sie ein altes Artefakt an sich nimmt.

Dieses verheißt in Kombination mit einem Gegenstück große Kräfte, allein droht hingegen die Apokalypse in Form gewaltiger Wetterkatastrophen, die sich nur schwerlich aufhalten lassen. Eine schmissige, allerdings wie bei so vielen stark geskripteten Sequenzen spielerisch eher fade Überschwemmungsszene später, überwältigen die nun am Tod vieler Menschen schuldige Lara erstmals Zweifel ob der möglichen Konsequenzen ihrer Handlungen als Grabräuberin und Trinity-Gegenspielerin.

Mit solchen moralinsauren Bestandsaufnahmen hält sich das Gameplay aber nicht lange auf und schenkt seiner Heldin – wie auch allen anderen Figuren zwischen Freund und Feind – auch nicht wirklich eine charakterliche Tiefe, die über typisch westliches Blockbuster-Einerlei mit Weltretterattitüde, Vaterkomplexen, Rückblicken in die Kindheit und dünnen Reflexionen über Schuld und Selbstbestimmung hinausginge.

Trotz aller Bemühungen um Glaubhaftigkeit und Emotionalität – Lara Croft ist aller hier aufgetürmten Düsternis speziell gegen Ende hin nur im Vergleich zu ihren bisherigen Game-Auftritten gereifter und die kommen eben aus einer Epoche digitaler Unterhaltung, die man heute größtenteils gerade storytechnisch nur noch mit dicker Nostalgiebrille ertragen kann. Das hat Lara allerdings bei weitem nicht exklusiv und man darf mit Blick auf Uncharted, God of War und Co. nicht vergessen, dass man es meist nur mit höchst berechnend inszenierten Storylines zu tun hat, die für sich betrachtet meist nur dramaturgische Stangenware darstellen. Ausnahmen wie The Last of Us bestätigen da die Regel.

Dass Shadow aber dennoch locker im oberen Action Adventure-Bereich mitspielt und zu den besten Genretiteln des Jahres gehört, verdankt der Titel eben den Zutaten, die gute Games eben auch ohne herausragendes Storytelling tatsächlich zu solchen werden lassen: einer grandios präsentierten und bis in die letzten Schattierungen höchst lebendigen wie abwechslungsreichen Spielwelt, von der man trotz geradliniger Dramaturgie geradezu überwältigt und zum Weiterexplorieren eingeladen wird. Ob atmosphärisches Dschungelfiepen oder detailverliebt pittoreske Flora und Fauna – was die Macher hier auf den Bildschirm zaubern, ist nicht nur technisch à la bonne heure!

Mit Pfeil und Bogen gegen wuchtige Pumas zu kämpfen, durch erratisch ausladende Schluchten zu schwingen oder sich in einer peruanischen Stadt kleinere optionale Aufträge abzuholen, macht in Summe ebenso Spaß wie die vielen entwickelbaren Skills unserer Heldin und die verschiedenen taktischen Optionen im Guerillakampf gegen Trinity-Soldaten auszuprobieren. Speziell die ungemein intensiven Unterwasser-Sequenzen, in denen Lara um jedes Sauerstoffloch froh sein muss, sorgen für feinstes Gaming-Adrenalin und auch die mit zunehmender Spieldauer schaurigen Horror-Elemente gliedern sich überraschend gut in das zuvor Erlebte ein.

Dazu die endlich wieder richtig integrierten Grabräuber-Einlagen sorgen mit gut konzipierten Rätseln und einem entschleunigten Ablauf dafür, dass man dieses Tomb Raider schon ob seiner Vielfalt nicht so schnell zu den Akten legt (was aufgrund mehrerer angekündigter DLCs ohnehin nicht der Fall sein wird). Da sich die unterschiedlichen Elemente sinnvoll aneinanderreihen, ohne dass zu viel Action oder Gegenstände-Sammeln langweilig werden, und die Performance keine Schwächen zeigt, gibt es praktisch kaum etwas zu meckern. Spielerisch ist Shadow ein rundes, austariertes und für Einsteiger wie Profis gleichermaßen optimal feinjustierbares Highlight ohne gekünstelte Längen.

Kleine Fußnote am Rande: Besonders eine Sache haben findige Kritiker nach Release neben der dünnen Charakterentwicklung Laras noch unter Beschuss genommen: so sehr wir die Spielwelt Perus lieben, so ungenau ist sie offensichtlich recherchiert und teilweise gerade biologisch verfälscht worden. Wer also beispielsweise gewisse Vogelarten im Spiel, die eigentlich in Natura nicht in Peru vorzufinden sind, als Kritikpunkt ernstnimmt, könnte sein Weltbild verzerrt sehen. Als ob irgendein Mainstream-Produkt mit Schwerpunkt Unterhaltung und ohne in diese Richtung dezidiert formulierten Anspruch tatsächlich als korrektes Wiedergabemedium der Realität fungieren müsste oder könnte. Was für eine alberne wie unnötige Vorstellung.

Fazit

Sicher, man kann dem Schlussakkord der Reboot-Trilogie vorwerfen, das Action Adventure-Rad nicht mal im Ansatz neu erfunden und letztlich nur auf hohem Niveau Bisheriges verfeinert zu haben. Aber genau das sollte man gerade in diesem Fall eher positiv sehen. Denn Eidos Montreal gelingt ein nahezu perfekt ausgereifter Fan- und Blockbuster-Service, der mit einer fantastisch präsentierten Spielwelt, viel Abwechslung und einer gelungenen Kombination aus Erkundung, Action und Rätseln fesselt, in der sich lineare Passagen mit halboffenen Szenerien vermischen. Viel Sammlerei und optionale Missionen erweitern zusätzlich die gut 20-stündige Kampagne, so dass Shadow of the Tomb Raider (für PS4, Xbox One und PC) auch ohne überraschende bzw. charakterlich tiefgreifende Story absolut überzeugt.

Eine Hoffnung bleibt aber mit diesem Titel noch unerfüllt und weiter verbunden. Wenn man Lara Croft mit all ihren innerhalb der Trilogie verhandelten Brüchen und inneren Kämpfen in der Zukunft als eine in sich konsequent weiter erzählbare Figur begreifen und dabei vielleicht noch mehr Mut etwa zur genderpolitischen Kontroverse beweisen würde, könnte aus ihr vielleicht tatsächlich (wieder) mehr werden als nur eine leider doch recht austauschbare Avatarin. Denn auch wenn sich Gaming in den letzten Jahren dank mehrerer Akteurinnen wie Lara schon viel getan hat – da geht noch eine ganze Menge mehr!

Shadow of the Tomb Raider • Eidos Montreal/Square Enix • Action-Adventure

Abb. © Eidos Montreal/Square Enix

 

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