Im Fight Club der Gegenwart
Chuck Palahniuks Anti-Utopie „Adjustment Day – Tag der Abrechnung“
Seit er 1996 seinen Debütroman „Fight Club“ veröffentlichte, der von Regisseur David Fincher in der Adaption mit Brad Pitt und Edward Norton kurz vor dem Jahrtausendwechsel zum ewigen Filmmeisterwerk erhoben wurde, schreibt Chuck Palahniuk gegen den Wahnsinn der modernen Gesellschaft an. Da dieser immer verrücktere, unglaublichere Blüten treibt, hat Palahniuk alle Hände voll zu tun, um mit der Dimension der realen Abgründe und Abarten mitzuhalten. „Adjustment Day – Tag der Abrechnung“, der neueste Roman des 1962 geborenes Amerikaners, ist nun sogar eine grelle Dystopie geworden, und zwar eine Anti-Utopie im klassischen Sinn. Seit Anfang Dezember liegt die deutsche Übersetzung von Manfred Sanders im Festa Verlag vor.
Der Roman beginnt mit einer folgenschweren Erkenntnis: Die Generation der Millennials hat zu viele privilegierte, machthungrige junge Männer hervorgebracht, die das Gleichgewicht der Zivilisation bedrohen. Also zettelt die US-Regierung einen Krieg an, der letzten Endes zwei Millionen zwangseingezogene Problemmänner an der Front beseitigen soll. Doch diese neuerliche Manipulation und Dreistigkeit durch Politik und Massenmedien bringt das Fass zum Überlaufen. Während im Senat die letzten Vorbereitungen für die Unterzeichnung der Kriegserklärung getroffen werden, rotten sich die Frustrierten, die Betrogenen und die Angepissten zusammen. Befeuert wird der gewalttätige Umsturz aber nicht nur durch Unzufriedenheit mit der ständigen Beeinflussung, der Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens oder dem forcierten Kampf der Rassen und Klassen, sondern auch von einem mysteriösen Buch voller Lehren für eine andere, ehrlichere Welt – und von einer demokratischen Abschussliste im Internet, der zufolge abgetrennte Ohren in Macht umgemünzt werden können …
„Adjustment Day – Tag der Abrechnung“, obwohl man eher von einer Anpassung reden sollte, ist so drastisch und krass, wie man das von Chuck Palahniuk erwartet. Der zynische, bissige Kultautor wirft mal wieder alles, was er am heutigen Amerika, ach was, an der heutigen Welt furchtbar findet, in einen Mixer und drückt voller Schadenfreude auf den roten Knopf, bis es nur so spritzt. Politiker, Journalisten, Akademiker, Proletarier, Rechte, Linke, Heteros, Homosexuelle, Weiße, Schwarze, Eliten, Hinterwäldler, Kämpfer für Soziale Gerechtigkeit, Hassende – Palahniuk schießt auf alles und trifft dank erheblicher Streuweite viel (einiges geht aber auch daneben), während er seine Dystopie vorantreibt und Amerika im Buch schließlich sogar in drei nach Sexualität und Ethnien getrennte Reiche unterteilt. Man kann dabei nur hoffen, dass auch wirklich jeder Leser erkennt, wie viel Satire in diesem ungewöhnlichen Roman steckt.
Das breite Panorama des gesellschafskonformen Irrsinns und der erzwungenen Veränderungen, das Palahniuk in seinem jüngsten Werk mit groben Werkzeugen herausarbeitet, geht außerdem zu Lasten von Plot und Figuren. Einen wirklichen Anker bietet das Ensemble nicht, aber den will Palahniuk einem auch gar nicht geben, denn ihm geht es um die Totale, das übergeordnete Bild, die Aufnahme des großen Ganzen. In der Konsequenz hat sein literarisch-dystopisches Mosaik ansprechende und scharfsinnige sowie stumpfe und weniger reizvolle Stellen. Ob es einem gefällt, dass Palahniuk sich selbst zitiert und verunglimpft, ist dagegen reine Geschmackssache. Eigentlich sollte man dem alternden Provokateur, der früher einmal als Prophet galt und ab Januar zunächst in den USA eine weitere „Fight Club“-Fortsetzung in Comic-Form präsentiert, ein paar Meta-Späßchen gönnen, selbst wenn er seinen Zenit als Provokateur und Anprangerer überschritten zu haben scheint.
Eines ist aber auf jeden Fall sicher: Ein Buch wie „Adjustment Day – Tag der Abrechnung“ hat man das ganze Jahr 2018 noch nicht zu lesen bekommen, und einen solch überdrehten und bösen dystopischen Rundumschlag vielleicht sogar noch nie.
Chuck Palahniuk: Adjustment Day – Tag der Abrechnung • Festa, Leipzig 2018 • 510 Seiten • Hardcover: 22,99 Euro
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