19. April 2019 2 Likes

Der Datensammler in Dir

„Osmosis“ - Liebe in Zeiten der App – sehenswerte Sci-Fi aus Frankreich

Lesezeit: 3 min.

Die Liebe ist eines der großen Mysterien unserer Zeit, dem, häufig angeheizt von Bildern aus „Shades of Grey“, „After Passion“ und anderem Dummfug, immer noch viel zu viele Menschen hinterher rennen, oft vergeblich.

Den ganzen zeitintensiven Stress könnte man sich mit einer passenden App eigentlich sparen, einfach den entsprechenden Button klicken und ZACK – hier ist das perfekte Gegenstück! Das ist der Ansatzpunkt der genialen Geschwister Paul und Esther Vanhove, die gemeinsam an der App Osmosis werkeln, welche die Suche nach der ganz großen Liebe um einiges leichter machen soll. Ein implantierter Chip misst alle Begierden, Wünsche und Regungen und gleicht die gesammelten Erkenntnisse mit einer Datenbank ab, die dann den Traumpartner ausspuckt. Theoretisch ist die Nummer bereits abschussbereit, aber letzte Tests sind noch in Gange und verlaufen, wie so oft bei letzten Tests, nicht ganz so wie gewünscht. Zudem fangen die Investoren an, sich in die Geschäfte einzumischen und natürlich warten noch weitere Probleme in den acht Episoden der Serie von Audrey Fouché, die als Drehbuchautorin unter anderem bereits mehrere Episoden zur ungewöhnlichen und wirklich sehenswerten Zombie-Serie „The Returned“ beisteuerte.

Die Idee, dass sich das bis heute nicht richtig erforschte schönste Gefühl der Welt berechnen lässt, ist natürlich astreine Science-Fiction, wird aber noch nicht mal für einen Tech-Thriller so wirklich genutzt, sondern dient vielmehr als Auslöser für ein zutiefst menschelndes Drama, in dem es nicht darum geht, ob eine solche App überhaupt möglich ist (weswegen Fragen wie zum Beispiel, wieso die Partizipanten ihre Gegenstücke ausschließlich innerhalb Frankreichs finden, oder aufgrund welcher Basis Gefühle überhaupt gemessen werden, ungeklärt bleiben), sondern ob sie möglich sein sollte. Was passiert, wenn uns ein Computerprogramm anzeigt, wer der perfekte Liebeskandidat für uns ist? Widerspricht das nicht einem menschlichen Grundbedürfnis, sich selbst entscheiden zu können, wer zu einem passt? Und was ist mit dem Thema Datenmissbrauch, immerhin werden hier Daten gesammelt, von denen selbst Facebook nur träumen kann?

„Osmosis“ stellt eine ganze Reihe von Fragen, verweigert sich dabei aber der Technikpanik der britischen, vor allem in einer Folge („Hang the DJ“) nicht unähnlichen,Serie „Black Mirror“, sondern stellt durch fein ausdifferenzierte Charakter-Porträts eher das Verhältnis zwischen Technik und Mensch in den Mittelpunkt. Nicht die Technik ist Schuld, sondern es kommt drauf an, was der Mensch mit ihr macht. So wird zum Beispiel gerade bei den Vanhove-Geschwistern die nahe liegende Option, die beiden als machtgierige Datensammler zu zeichnen, zu Gunsten von Vielfarbigkeit vorsichtig umschifft: Die beiden sind keine selbstlosen Weltverbesserer, aber eben auch keine skrupellose Internet-Desperados und tragen zudem große persönliche Päckchen mit sich rum.

Das ist von hierzulande völlig unbekannten Darstellern überwiegend gut gespielt und wird in einem angenehm ruhigen, grüblerischen Tonfall erzählt, der die Produktion nur bedingt popcorntauglich macht und aus diesem Grund auch schon für reihenweise mürrische Zuschauerstimmen gesorgt hat. Aber gerade diese verhältnismäßig eigensinnige Dynamik, die dem Inhalt Zeit gibt zu atmen, lässt „Osmosis“ im Überraschungsmomente- und Cliffhanger-Zirkus deutlich aufleuchten. Was man ankreiden kann ist eine gewisse Unentschlossenheit. Dass der Fokus auf den Figuren und nicht auf der überaus interessanten Grundidee liegt mag ja durchaus angehen, dennoch gibt es immer wieder kleinere Schlenker in Richtung Thriller ohne je wirklich spannend zu werden, da dramaturgisch zu unterentwickelt, weshalb das Ganze zuweilen etwas vor sich hin wabert.

Trotzdem: Alles in allem ist „Osmosis“ sehenswert, die nächste Dystopie purzelt bestimmt schon Morgen vom US-Fließband, bis dahin kann’s nicht schaden wenn man mit diesem inhaltlich fruchtbaren, mit schick-unterkühlten Bildern ausgestatteten französischen Sci-Fi-Vertreter zur Abwechslung mal ein paar etwas weniger stromlinienförmige Stunden verbringt.

„Osmosis“ ist seit dem 29.03.2019 auf Netflix abrufbar!

Osmosis (Frankreich 2019) • Regie: Audrey Fouché • Darsteller: Agathe Bonitzer, Hugo Becker, Manoel Dupont, Stephane Pitti, Luana Silva, Yuming Hey, Fabien Ducommun

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