12. September 2019

Wunderkinderfolter

Grüße nach Hawkins: Stephen Kings neuer Roman „Das Institut“

Lesezeit: 3 min.

Wer Stephen King (im Shop) auf Twitter folgt, weiß ein paar Dinge über den amerikanischen Bestsellerautor. Dass er US-Präsident Donald Trump ums Verrecken nicht leiden kann, zum Beispiel – oder dass der König der Spannungsliteratur und der mainstreamtauglichen Genre-Pageturner zu den Fans von Netflix’ „Stranger Things“ gehört. Beides verwundert nicht, und im Fall von „Stranger Things“ ist es nun mal unbestreitbar so, dass sich die Hit-Serie fleißig an Motiven und Stimmungen aus Kings erfolgreichsten, fast mag man sagen klassischsten Werken bedient. „Stranger Things schauen ist, als würde man Steve Kings Greatest Hits sehen“, twitterte King 2016 zum Release der ersten Season und fügte hinzu: „Das meine ich positiv.“ Kein Einspruch, am allerwenigsten von den Duffer Brothers, den Schöpfern des Netflix-Erfolgs, der diesen Sommer seine dritte Staffel sah. Es geht also allemal in Ordnung, dass Stephen King sich im Jahr seines 72. Geburtstags und auf den Seiten seines 61. Romans „Das Institut“ dem mysteriösen Geschehen im Städtchen Hawkins in „Stranger Things“ innerhalb seines eigenen Werkes nähert, das selten um popkulturelle Verweise verlegen war.

Ironischerweise lässt King in „Das Institut“ vieles von dem weg, was „Stranger Things“ aus seinem Schaffen entlehnt und emuliert, und konzentriert sich auf die Vorgänge im titelgebenden Institut, das stark an die Regierungseinrichtung in Hawkins erinnert, wo Elfi und andere Kinder mit übernatürlichen Fähigkeiten getestet und abgerichtet werden. Auch bei King unterzieht man isolierten Kids mit paranormalen Fähigkeiten grausamen Tests, die bei mehr als einer Gelegenheit blanke Folter sind. An diesem Ort landet Luke Ellis, der als geniales Wunderkind mit zwölf das MIT besuchen soll, eines Nachts jedoch von Agenten aus seinem Zuhause entführt und in die dubiose Einrichtung in einem Waldstück in Maine gebracht wird. King widmet den Vorgängen im abgeriegelten Institut, wo Luke Schreckliches durchleidet, aber auch ein paar Freundschaften mit anderen Telepathen und Telekinesen schließt, fast die Hälfte der über 750 Seiten seines Romans. Eingerahmt werden Lukes Erlebnisse von der Geschichte des Ex-Cops Tim Jamieson, den es über Umwege oder viel mehr Abwege in die verschlafene US-Kleinstadt DuPray verschlägt, die nach den ersten 70 Seiten allerdings erst dann wieder eine Rolle spielt, wenn Shootout und Finale anstehen …

Stephen King ist Stephen King, deshalb kann er Strukturen anwenden und Längen ausnutzen, die andere Autoren nicht an ihrem Lektor vorbeibekämen. Doch selbst bei Kings Erfahrung und Können kommt er bei der Abfolge an Experimenten und Gräueln im Institut einige Male in den Bereich, wo es zu viel zu werden droht. Seine vielen treuen Anhänger werden dennoch wieder jede Seite mit den übernatürlichen, nichtsdestotrotz ganz natürlich wirkenden Kids genießen. Schade nur, dass die durchschnittlichen, aber mutigen Kleinstadttypen, die King einmal mehr scheinbar mühelos und trotz aller Klischees zum Leben erweckt, ein paar Hundert Seiten warten müssen, bis ihr großer Auftritt kommt. Dafür stößt der produktive Mr. King mit diesem Roman interessanterweise auf den boomenden Young Adult-Sektor vor und erfüllt alles, was Figuren, Sprache und Story in diesem Segment brauchen.

„Das Institut“ ist nicht der beste Roman, den der Altmeister in den letzten Jahren veröffentlicht hat – aber genau der richtige Stephen King-Roman für die Ära Stranger Things, die es ohne seine ein halbes Jahrhundert umspannende Karriere nicht gäbe.

Stephen King: Das Institut • Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt • Heyne, München 2019 • 768 Seiten • E-Book: 19,99 Euro

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