14. November 2022 1 Likes

J. M. Miro: Ganz gewöhnliche Monster

Ein Mutanten-Schmöker zwischen Charles Dickens und den X-Men

Lesezeit: 3 min.

Im Jahr 1882 reist die schlagkräftige Ex-Pinkerton-Detektivin Alice Quicke mit ihrem abgebrühten Kollegen Frank Coulton aus England nach Amerika. Dort soll sie für den wohlhabenden Dr. Berghast, der in Schottland ein mysteriöses Institut betreibt, mehrere Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten finden, so genannte Talente. Manche dieser über die ganze Welt verteilten Kinder leuchten blau und können fremde Wunden heilen, andere feste Waffen in ihrem Körper verstecken und sich obendrein von jeder Verletzung erholen, was sie praktisch unsterblich macht. Doch Quicke und Coulton, der schon wesentlich länger dabei ist und z. B. bereits in Japan aktiv war, sind nicht die Einzigen, die von den Talenten wissen, welche auf gewisse Weise zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod stehen.

Ein früherer Verbündeter des Instituts, heute nur noch eine Gestalt aus schwarzem Rauch in einem langen Mantel und unter einem großen Hut, macht ebenfalls gnadenlos Jagd auf die Talente und alle, die sich ihm dabei in den Weg stellen. Denn Gut und Böse definieren sich selbst oft anders, gerade wenn so viel Macht im Spiel ist wie im Fall der jungen Talente. Alice Quicke stehen daher einige böse Überraschungen bevor, da sie den jungen Marlowe um jedem Preis beschützen will, der in diesem Konflikt voller Monster, Wunder und Finsternis eine Schlüsselrolle innehat …

Keine Frage: Der kanadische Autor J. M. Miro legt mit „Ganz gewöhnliche Monster“ (im Shop), der Übersetzung von „Ordinary Monsters“, einen der Schmöker des literarischen Jahresendspurts 2022 vor. Ein Buch, das einem gelesen oder gehört viele fesselnde Stunden voller Unterhaltung schenkt, und das sich auch als Weihnachtsgeschenk sehr gut machen dürfte, wenn man die Begeisterung weitergeben will. Der Auftaktband der „Dunkle Talente“-Serie, die 2024 mit „Bringer of Dust“ fortgesetzt werden soll, liest sich wie eine süffige, opulente X-Men-Variante im Gewand einer historischen Abenteuergeschichte mit Horror-Elementen – und ist eine in vielerlei Hinsicht fantastische Geschichte, die u. a. das viktorianische England, das einstige Japan, das frühere Österreich und den wilden Westen miteinander verbindet.

Während der 800-Seiten-Lektüre – ein echter Schmöker, wie gesagt – fühlt man sich an Werke von Stephen King, Ransom Riggs und Seanan McGuire erinnert. Angesichts des viktorianischen Settings sowie J. M. Miros Fabulierlust, die übrigens in seiner Schulzeit mit den „Erdsee“-Romanen von Ursula K. Le Guin geweckt wurde, muss man sogar immer mal wieder an Charles Dickens denken. Und da Miro unter seinem Realnamen Steven Price z. B. den äußerst stimmungsvollen viktorianischen Krimi „Die Frau in der Themse“ geschrieben hat, wundert einen die dichte Atmosphäre seines neuesten Romans kein bisschen. Story und Settings saugen eine förmlich ein. Miro schafft es, seine historischen Locations sofort im Kopfkino Gestalt annehmen zu lassen, und bevölkert sie trotz aller Mutantenkräfte und Ungeheuer auch durchgehend mit glaubwürdigen, interessanten Figuren und Konflikten, die nach und nach ihre gesamte Dimension offenbaren. Dazu kommen coole Monster und Kreaturen, und selbst Clockpunk-Knochen-Botenvögel.

Miros „Ganz gewöhnliche Monster“ überzeugt daher als fantastischer Roman und als erstes Kapitel einer eigenständigen historischen Mutanten-Saga, der man schon jetzt eine multimediale Zukunft vorhersagen möchte.

J. M. Miro: Ganz gewöhnliche Monster – Dunkle Talente • Roman • Aus dem Amerikanischen von Thomas Salter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 800 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook und Hörbuch Download • Preis des Hardcovers: € 24,00 • im Shop

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