11. Oktober 2019

Mach die Welt, wie sie dir gefällt

Das malerische Abenteuer „Concrete Genie“ erobert kleine wie große Künstlerherzen im Sturm

Lesezeit: 5 min.

Erinnert sich noch jemand an das von Gamer-Guru Warren Spector (Deus Ex) maßgeblich mitgestaltete Epic Mickey? In dem 2010 erstmals für Wii erschienenen und sogar mit einer Fortsetzung bedachten Disney-Abenteuer bestand der spielerische Reiz darin, mithilfe des Controllers einen Pinsel nachzuahmen und damit Umgebungen und Gegenstände anzumalen. Dieses Prinzip wurde inhaltlich verknüpft mit der Belebung einer von bösen Mächten in Beschlag gehaltenen Welt, die mittels der Zauberkräfte des Malers Mickey wieder zu alter Schönheit aufblüht. Genau diesem Prinzip folgt nun auch das vom bisher weitgehend unbekannten Studio Pixelopus produzierte PS4-Exclusive Concrete Genie, das seit dem 8. Oktober erhältlich ist und ebenfalls den Künstler in uns anspricht.

Anders als bei Epic Mickey, schlüpfen wir nicht in die Haut der weltberühmten Maus, sondern in die des schüchternen Teenagers Ash, der in einer ziemlich verwahrlosten wie verlassenen Stadt seinen Tagträumen folgt. Die hält der begabte Nachwuchszeichner in einem Malbuch fest. Ob freundliche Ungeheuer, magische Landschaften oder romantisches Sternenfirmament: nichts bleibt der Fantasie des Jungen fern, wobei Ashs Kreativität nicht jedem zu gefallen scheint. Denn schon während des äußerst stimmungsvollen Intros, wird Ashs Buch von einer Bande Rabauken entrissen, die nach einer Tracht Prügel nicht nur Seiten herausreißen, sondern ihn in eine Bahn einsperren, die den hoffnungslos unterlegenen Jungen zu einem gruseligen Leuchtturm bringt.

Dieses Ereignis markiert allerdings einen ungeahnt positiven Wendepunkt, denn an diesem vermeintlich unwirklichen Ort erwacht eine seiner Monster-Karikaturen namens Luna plötzlich zum Leben und zeigt seinem Schöpfer auf, wie er mithilfe seines Pinsels, ein wenig Zauberfarbe und der Hilfe weiterer ihn nun begleitenden magischen Helfer (die sogenannten Dschinns) gegen die Dunkelheit ankämpfen kann, die von der Stadt Besitz ergriffen hat. Dazu muss Ash allerdings innerhalb der einzelnen Viertel ausgiebig seinem Hobby frönen, kleinere Rätsel lösen, sich vor den Rabauken mittels simpler Stealth-Techniken in Acht nehmen und im späteren Verlauf gar gegen fantastische Feinde antreten, wobei jeder der genannten Aspekte direkt mit der malerischen Kernmechanik des Spiels verwoben ist.

Das funktioniert alles erstaunlich intuitiv, zumal uns ein ausführliches Tutorial und optionale Hilfestellungen unter die Arme greifen. Mithilfe der Sensorsteuerung des PS4-Pads können wir die zahlreichen Wände der Stadt anvisieren und zuvor eingesammelte Muster von Motiven wie Bäumen, Gräsern, Schmetterlingen und zig anderweitigen Objekten via Tastendruck an Ort und Stelle auftragen. Das Umschalten zwischen den Motiven ist kein Problem und je länger wir die entsprechende Maltaste drücken und unseren virtuellen Pinselstrich über die Wände wandern lassen desto opulenter wird unsere Streetart.

Wie bei jedem guten Spielprinzip, das sich an eine möglichst breite Masse an Spielern richtet, ist echtes Können nicht wirklich nötig, um voranzukommen. Mit ein wenig Übung hat man den Dreh schnell raus und da es für Aufgaben wie die Erleuchtung der Stadtviertel meist nur irgendetwas „Gemaltes“ braucht, wird niemand künstlerisch überfordert. Wer sich allerdings Mühe gibt, wird mit vielen Motiven belohnt und kann durchaus den Ehrgeiz entwickeln, Straßenzüge zu einem übergreifenden Kunstwerk auszubauen und eine Lichtstimmung zu erwecken, die selbst im ohnehin meist pittoresken Indie-Sektor in der obersten Liga angesiedelt ist.

Gerade der leicht melancholische Grundton der eindringlichen, aber nicht plump plakativen Story, die um Themen wie Mobbing, Einsamkeit und Umweltschutz kreist, passt perfekt zu diesem Spielprinzip. Steht Ash speziell zu Beginn seinen Peinigern verständnis- wie schutzlos gegenüber, entspinnt das Storytelling zunehmend auch andere Sichtweisen und lässt die zunächst scheinbar klaren Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen.

Bereits die erste halbe Stunde von Concrete Genie entfesselt so viel Charme und liebevolle Verspieltheit, dass man das Gamepad gar nicht mehr weglegen mag. Ein unwiderstehliches Highlight markieren dabei die unheimlich knuffigen Dschinn, die einem sofort ans Herz wachsen müssen. Einmal dank unserer Kräfte an eine Wand gemalt, entwickeln die niedlichen Wesen ein heiteres Eigenleben und wollen abseits der Rätselaufgaben sogar mit uns spielen, wenn sie beispielsweise für uns Singen oder uns auffordern, ihre Lieblingsmotive für sie zu malen. Letzteres ist aber auch nötig, um von unseren Helferlein stets mit Zauberfarbe versorgt zu werden, die wir an bestimmten Stellen voller Finsternis zur Aufhellung benötigen.

Jede der Dschinn-Klassen erfüllt dabei einen speziellen Zweck und kann sich nur über direkt miteinander verbundene Wände mit uns durch die Areale mitbewegen. Das führt zu kleineren Kopfnüssen, wenn wir etwa Wege für die Dschinns, die etwa von dunkler Magie versperrt sind, erst freimalen müssen, um auf ihre Kräfte wie Feuer, Wind oder Elektrizität zurückgreifen zu können, mit deren Hilfe sich verschlossene Holztüren verbrennen oder Stromversorgungen wiederherstellen lassen. Am witzigsten ist jedoch, den Dschinn einfach nur bei ihrem lustigen Treiben zuzusehen und sich wie ein kleines Kind über ihre Albernheiten zu amüsieren. Ganz klar: Pixelopus, die Dschinn habt ihr großartig umgesetzt!

Wie schon angedeutet, greifen die Gameplay-Elemente in der rund 6-7 Stunden dauernden Kampagne stimmig ineinander. Müssen wir in den ersten Stunden die Stadt verschönern und darauf achten, alle erloschenen Lichtquellen wieder zum Strahlen zu bringen, ohne von den Rowdys erwischt zu werden, stehen gegen Ende vor allem die Kämpfe gegen Ungeheuer auf dem Programm, in denen unser Pinsel andere Facetten einbringt als zuvor. So verwandelt sich das Rätsel-, Mal- und Schleich-Gameplay zu einer Art Shooter, bei dem wir Farbe verschießen, Gegnern ausweichen und sogar behände über den Boden gleiten – schick gemacht und dank einstellbarem Action-Schwierigkeitsgrad (wie das gesamte Abenteuer) nicht überfordernd.

Wir können uns bei alldem auf Ashs Fähigkeiten wie Hüpfen, Rennen, Klettern und sogar das aktive Anlocken unserer Widersacher verlassen, wobei eine übersichtliche Karte zusätzliche Orientierung garantiert. Die geht ansonsten manchmal in den etwas zu ähnlich gehaltenen Arealen leicht verloren; allerdings auch nur zu Anfang, bevor wir uns an unser Werk gemacht haben, das dann auch passenderweise in den eingeflochtenen Zwischensequenzen originalgetreu zu bestaunen ist. Apropos Cutscenes: Die erweisen sich schon aufgrund verschiedener Grafikstile als weiterer Glücksgriff der Macher und regen zusätzlich zum Schwärmen an.

Viel zu meckern gibt es bei diesem Paket also kaum. Technisch läuft alles wie geschmiert, die (deutschen/englischen) Sprecher machen einen soliden Job und der Soundtrack setzt dann und wann passende Akzente, ohne sich aber wirklich in den Vordergrund zu tricksen. Etwas mehr Abwechslung hätte dem Gameplay jedoch vor allem vor dem Switch ins Action-Fach schon gutgetan und leider vergehen zumindest manchmal einige Minuten, bis man trotz Karte und Tipps überhaupt versteht, worin die nächste Aufgabe besteht und wie sie grundsätzlich anzugehen ist.

Noch ein Wort zu den Zusatz-Features: Da die Macher Concrete Genie außerdem einen Modus „Freies Malen“ spendiert haben, in dem man sich ohne Story und Co. austoben kann, liefert das Action-Adventure nach Beendigung der Story wenig Anreiz, es noch einmal von vorne zu beginnen. Auch der ebenfalls optional beigefügte VR-Modus fällt, u.a. schon mangels gesteigerter Technik-Power, in die Kategorie „nette Zugabe ohne echten Mehrwert“.

Fazit

Leicht melancholischer Action-Adventure-Mix mit ansprechendem Design und malerischem Gameplay, den sich Indie-Fans (schon wegen der Dschinn) näher anschauen sollten.

Concrete Genie • Pixelopus/Sony Interactive Entertainment • Action-Adventure • PS4

Abb. © Pixelopus/Sony Interactive Entertainment

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