31. Oktober 2019

Dunkle Geheimnisse

Eine neue Leseprobe aus John Marrs' Near-Future-Bestseller „The One“

Lesezeit: 3 min.

Gibt es etwas Schöneres als frisch verliebt zu sein? Die Aufregung, die Schmetterlinge im Bauch, das Gefühl, dass einem die ganze Welt zu Füßen liegt? Dass die Liebe auch ihre … nun ja … Tücken hat, zeigt John Marrs‘ in seinem Near-Future-Roman „The One“ (im Shop).

 

2

Christopher

 

Christopher rutschte so lange auf dem Sessel hin und her, bis er bequem saß.

Er legte die im rechten Winkel gebeugten Arme auf die Lehnen, atmete tief ein und roch den Duft des Lederbezugs. An der Qualität hatte sie nicht gespart, dachte er. Der Geruch und die Weichheit des Materials ließen ahnen, dass der Sessel nicht aus einem x-beliebigen Möbelladen stammte.

Während sie in der Küche nebenan geblieben war, sah sich Christopher im Wohnzimmer um. Die Wohnung lag im Parterre eines ausgezeichnet restaurierten viktorianischen Gebäudes, das, wie ein Glasfenster über der Eingangstür verriet, früher einmal ein Kloster beherbergt hatte. Christopher bewunderte ihren Geschmack, was Deko-Artikel aus Keramik betraf. Die Stücke lagen auf Regalen, die um den offenen Kamin herum in die Wand eingelassen waren. Ihre literarischen Vorlieben ließen dagegen sehr zu wünschen übrig. Missbilligend las er auf den Rücken der Taschenbücher Namen wie James Patterson, Jackie Collins oder J. K. Rowling.

Auf dem wuchtigen Couchtisch war genau in der Mitte ein mit Wildleder bespanntes, rechteckiges Tablett platziert. Daneben lagen zwei Fernbedienungen und drum herum in exakter Anordnung vier passende Tischsets. Ihr Sinn für Symmetrie beruhigte Christopher.

Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und stieß dabei auf ein Stück Pistazie, das sich zwischen seinem seitlichen Schneidezahn und dem Eckzahn verkeilt hatte. Als es sich nicht lösen wollte, versuchte er es mit dem Fingernagel, und als auch das nichts half, nahm er sich vor, in ihrem Badezimmer nach Zahnseide zu suchen, bevor er die Wohnung verließ. Kaum etwas brachte ihn so sehr aus dem Gleichgewicht wie festsitzende Essensreste. Einmal war er während eines Dates aufgestanden und gegangen, weil seiner Verabredung ein Fitzelchen Grünkohl zwischen den Zähnen gesteckt hatte.

Ein Vibrieren in der Hosentasche kitzelte ihn an der Leiste. Kein ganz unangenehmes Gefühl. Meist achtete Christopher sorgfältig darauf, sein Telefon auszuschalten, wenn dies angebracht war, und er verabscheute Menschen, die ihm gegenüber nicht dieselbe Höflichkeit an den Tag legten. Heute jedoch hatte er eine Ausnahme gemacht.

Er zog sein Smartphone hervor und las die Nachricht, eine E-Mail von Match Your DNA. Vor ein paar Monaten hatte er aus einer Laune heraus eine Speichelprobe eingeschickt, aber noch hatte sich kein Match gefunden. Bis jetzt. Nun wurde er gefragt, ob er gegen Bezahlung die Kontaktdaten der Person erhalten wollte. Will ich das?, fragte er sich. Will ich das wirklich? Er legte das Handy weg und versuchte sich vorzustellen, wie sein Match wohl aussah, befand dann aber, dass es unangemessen war, über eine Frau nachzudenken, während er gerade noch bei einer anderen war.

Er stand auf und ging in die Küche, wo er sie nur wenige Minuten zuvor zurückgelassen hatte. Sie lag auf dem kalten Schieferboden, den Eisendraht noch um den Hals. Sie blutete nicht mehr, nur ein paar letzte Tropfen hatten den Kragen ihrer Bluse gesprenkelt.

Christopher zog eine digitale Polaroid-Kamera aus der Jackentasche, machte zwei identische Aufnahmen ihres Gesichtes und wartete, bis sie entwickelt waren. Dann steckte er die Fotos in einen rückenverstärkten A5-Umschlag und verstaute ihn in seiner Jackentasche.

Er stopfte seine Utensilien in den Rucksack und verließ die Wohnung. Erst als er aus der Finsternis des Gartens heraustrat, zog er die Überschuhe aus Plastik und die Sturmhaube aus.

 

John Marrs: „The One – Finde dein perfektes Match“ ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen von Felix Mayer ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 ∙ 496 Seiten ∙ Preis des E-Books € 4,99 (im Shop)

 

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