27. Februar 2020 1 Likes

Telekinese und Pickel

Die neue Netflix-Serie „I Am Not Okay With This“

Lesezeit: 3 min.

Vor fast zehn Jahren veröffentlichte der amerikanische Alternative-Comic-Künstler Charles Forsman seinen Comic „The End of the F***ing World“. Zwischen 2017 und 2019 wurde daraus eine Fernsehserie, in die u. a. der Produzent und Regisseur Jonathan Entwistle massiv involviert war. Das brutale Teenager-Roadmovie, dessen zwei Staffeln hierzulande auf Netflix stehen, überzeugte als kompromissloses, erfrischend inszeniertes kleines Serien-Highlight. Nun setzt Netflix im Content-Krieg gegen Amazon, Apple, Disney und Co. auf die nächste Forsman-Bildergeschichte und adaptiert seinen Comic „I Am Not Okay With This“. Die erste erneut von Jonthan Entwistle geprägte Staffel, die sieben Episoden umfasst, steht seit 27. Februar online und lässt sich bequem an einem Abend bingen.

Protagonistin und Teenagerin Sydney Novak (Sophia Lillis aus den jüngsten „Es“-Verfilmungen nach Stephen King (im Shop) lebt in einer typischen, etwas langweiligen und schmuddeligen US-Kleinstadt. Nach dem Selbstmord ihres Vater streitet Syd am laufenden Band mit ihrer Mutter, kümmert sich um ihren coolen kleinen Bruder und versucht mit Schule und Pubertät klarzukommen. Eines Tages entdeckt sie, dass sie anscheinend die Fähigkeit zur Telekinese hat. Wenn der Hulk wütend wird, zerlegt er als grüne Bestie seine Umgebung – wenn Syd in negativen Emotionen ertrinkt, lässt sie Nasen bluten, Regale umfallen oder reihenweise Bäume entwurzeln. Das macht die Dinge erheblich komplizierter, da es für Syd auf der High School einzig darum geht, nicht aufzufallen. Denn obwohl die hübsche Dina (Sofia Bryant) Syd als beste Freundin zur Seite steht und der schräge Nachbarsjunge Stanley (Wyatt Oleff aus „Guardians of the Galaxy“) sich sogar um die graue Maus bemüht, ist Syd doch eher die klassische Außenseiterin, die sich schnell unwohl fühlt …


Herzschmerz auf der Bowlingbahn ist ja okay …


… telekinetisches Chaos im Supermarkt aber nicht. „I Am Not Okay With This“, Netflix

„I Am Not Okay With This“ sah als schwarz-weißer Comic 2017 wie eine Mischung aus „Archie“ und „Popeye“ aus. Die Netflix-Interpretation lehnt sich stilistisch lieber an aktuelle Serienerfolge an: Natürlich „The End of the F***ing World“, aber auch „Stranger Things“, „Riverdale“, „Sex Education“ und „Daybreak“. Die Serie spielt in der heutigen Zeit, doch bemüht man sich sehr um nostalgisches Retro-Feeling, das man zugleich selbstironisch kommentiert – „Riverdale“ lässt grüßen. Die rotzige Ich-Erzählerin erinnert wenig überraschend an „The End of the F***ing World“ sowie an „Daybreak“, kommt nach der ersten Folge jedoch leider nicht mehr oft genug zum Einsatz. Außerdem kann sich „I Am Not Okay With This“ nicht entscheiden, ob es nun primär ein Coming-of-Age-Dramady wie „Sex Education“ oder eine Mystery-Serie wie „Stranger Things“ sein möchte – das Mischungsverhältnis stimmt nicht immer, und manch eine der sieben kurzen Folgen hat den einen oder anderen Hänger. Trotzdem gelingen viele Szenen, während die neue Show von Shawn Levy – „dem Produzenten von Stranger Things“, wie Netlix es mit ebenso viel Verzweiflung wie Hoffnung ankündigte – ein paar richtig gute Elfi-Momente bereithält. Zumal Sophia Lillis und Wyatt Oleff beachtlich performen: Besonders am Anfang ist die Serie dank ihrer Chemie und Leistung herrlich awkward, was bereits „The End of the F***ing World“ gut stand.

Der Mix von „I Am Not Okay With This“ reicht zum Auftakt noch nicht für die große Liebe in der Dimension der erfolgreichen Vorgänger und Vorbilder – aber immerhin für liebenswert, wenn man die Serienpaten mag oder einst z. B. Brian Woods und Becky Cloonans „Demo“-Comics abgefeiert hat. Die erste Season endet mit einem großen Knall und einem Cliffhanger. Fortsetzung folgt, Netflix? Das fände man schon okay.

Abbildungen: © Netflix

I Am Not Okay With This – Staffel 1 • (USA/2020) • Regie: Jonathan Entwistle • Drehbuch: Jonathan Entwistle, Christy Hall u. a. • Darsteller: Sophia Lillis, Wyatt Oleff, Sofia Bryant, Kathleen Rose Perkins • Laufzeit: 7 Episoden mit je ca. 30 Min.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.