30. April 2020 1 Likes

Spezialist

Zum 1. Mai: Eine Gratis-Kurzgeschichte von Robert Sheckley exklusiv auf diezukunft.de

Lesezeit: 28 min.

Ein interstellares Frachtschiff gerät in einen schweren Photonensturm und verliert ein Mitglied der hochspezialisierten Mannschaft, den Treiber. Ohne ihn kann das Schiff nicht mehr auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigen. Die Crew des Frachters beschließt, einen Umweg in Kauf zu nehmen, um auf einem Planeten einen neuen Treiber zu rekrutieren. Dieser Planet ist die Erde, und wie bei einem Autor wie Robert Sheckley nicht anders zu erwarten, geht das Rekrutieren zwar nicht reibungslos über die Bühne, dafür aber umso amüsanter.

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Spezialist

Der Photonensturm brach ohne jede Warnung über das Schiff herein. Er brandete hinter einem Cluster Roter Riesen hervor. Auge hatte kaum noch Zeit, die anderen durch Sprecher in der letzten Sekunde zu warnen, da war das Energiegewitter auch schon heran.

Es war erst Sprechers dritte große Fahrt und sein erster Lichtsturm. Einen Augenblick lang fühlte er schmerzhafte Furcht, als das Schiff unter dem Ansturm der Wellenfront, die es voll erwischte, schlingerte und gierte. Dann verschwand die Furcht ebenso plötzlich und an ihre Stelle trat der Pulsschlag einer fast freudigen Erregung.

Warum sollte er sich fürchten, fragte er sich – hatte man ihn nicht gerade für diese Art von Notfall besonders ausgebildet?

Er hatte sich mit Nährer unterhalten, als der Sturm über sie hereinbrach, und die Verbindung abrupt abbrechen müssen. Es blieb nur zu hoffen, dass Nährer alles gut überstand, denn dies war seine erste große Reise.

Schnell zog Sprecher die drahtähnlichen Fasern ein, die den größten Teil seines Körpers ausmachten und bis in den letzten Teil des Schiffes reichten, lediglich die Verbindungen mit Auge, Maschine und Wänden ließ er so, wie sie waren. Der Rest der Mannschaft sollte zusehen, wie er ohne ihn zurechtkam. Er musste sich konzentrieren.

Auge hatte seinen tellerähnlichen Körper flach an eine der Wände gedrückt und eines seiner Sehorgane ragte aus dem Schiff hinaus. Zur besseren Konzentration waren die anderen in den Körper zurückgezogen.

Durch Auges Sehorgan beobachtete Sprecher den Sturm und übersetzte Auges rein visuelle Mitteilungen in eine Richtungsangabe für Maschine, der das Schiff wendete und mit dem Bug gegen die Wellen richtete. Gleichzeitig übertrug Sprecher für die Wände Richtung und Geschwindigkeit. Die Wände versteiften sich entsprechend, um die Schockwellen abzufangen.

Die Zusammenarbeit verlief reibungslos wie immer. Auge maß die Wellen, Sprecher gab die Werte an Maschine und Wände weiter, Maschine trieb das Schiff mit dem Bug voran in die Wellenfronten und die Wände stärkten sich für den Aufprall.

Sprecher vergaß alle Furcht, die eben noch in ihm hatte aufsteigen wollen. Er fand gar keine Zeit mehr dazu; als Nachrichtensystem des Schiffes musste er so schnell wie möglich die Kommunikation zwischen den anderen Teilen abwickeln, Informationen übersetzen, sortieren und weiterleiten, alle Angaben koordinieren und Handlungsanweisungen geben.

Nach wenigen Minuten war der Sturm vorbei.

»Das war’s«, sagte Sprecher. »Wollen mal sehen, ob es Schäden gegeben hat.« Seine Kommunikationsfäden waren während des Sturms leicht in Unordnung geraten. Jetzt entwirrte er sie, schickte sie wieder durch das ganze Schiff und schloss jeden von ihnen an das Netz an. »Maschine?«

»Mir geht es gut«, sagte Maschine. Der gewiefte alte Knabe hatte während des Sturms sofort die Schutzwände herabgelassen und damit die Atomexplosionen in seinem Magen gedämpft. Kein Sturm konnte einen erfahrenen Raumfahrer wie ihn überrumpeln.

»Wände?«

Die Wände meldeten sich eine nach der anderen und das nahm einige Zeit in Anspruch. Es waren ungefähr eintausend, dünne rechteckige Burschen, die die gesamte Haut des Schiffes bildeten. Während des Sturms hatten sie selbstverständlich ihre Nähte verstärkt und so das Schiff widerstandsfähiger gemacht. Doch ein paar von ihnen hatten dabei etwas abbekommen.

Doktor meldete, dass bei ihm auch alles in Ordnung sei. Er entfernte Sprechers Kommunikationsfaden aus seinem Kopf, wodurch er sich vorübergehend aus dem Bordsystem ausschaltete, und ging zu den verletzten Wänden, um sie zu behandeln. Doktor bestand zum größten Teil aus Händen und hatte den Sturm überstanden, indem er sich an einen der Akkumulatoren geklammert hatte.

»Beeilen wir uns ein bisschen«, meinte Sprecher, dem eingefallen war, dass sie immer noch nicht ihren derzeitigen kosmischen Standort bestimmt hatten. Er verband sich mit den vier Akkumulatoren. »Und wie geht es euch?«, fragte er.

Er bekam keine Antwort. Die Akkumulatoren schliefen. Sie hatten während des Sturms ihre Empfänger weit geöffnet und sich bis zum Bersten mit Energie vollgesaugt. Sprecher stupste sie mit seinen Fühlerfäden an, aber sie rührten sich nicht.

»Lass mich mal«, sagte Nährer. Der Sturm hatte ihm ziemlich übel mitgespielt, bis es ihm endlich gelungen war, seine Saugnäpfe an einer der Wände zu befestigen, aber sein Selbstbewusstsein hatte darunter nicht im mindesten gelitten. Er war das einzige Mitglied der Mannschaft, das niemals ärztliche Hilfe notwendig haben würde – sein Körper heilte alle Wunden von selbst.

Eilig hangelte er sich auf seinem Dutzend Tentakeln hinüber zu den vier Akkumulatoren und trat dem erstbesten von ihnen in die Seite. Die große konische Speicherzelle öffnete ein Auge und klappte es wieder zu. Nährer gab ihr einen zweiten Fußtritt. Selbst die Wirkung des ersten blieb aus. Also griff er nach dem Sicherheitsventil des Burschen und ließ einen Teil der frisch gespeicherten Energie ab.

»Lass das!«, sagte der Akkumulator.

»Dann wach endlich auf und sag mir, ob euch etwas passiert ist«, erwiderte Nährer.

Der Akkumulator erklärte übellaunig, dass man ja wohl sehen könne, wie gut sie den Sturm überstanden hatten. Während der ganzen Zeit seien sie fest an der Fußbodenwand verankert gewesen.

Der Rest der Inspektion war rasch erledigt. Denker ging es gut und Auge war noch ganz euphorisch über die Schönheit des Sturms. Es gab nur einen Verlust zu beklagen.

Treiber war tot. Als Zweibeiner hatte er die schlechtesten Überlebenschancen des gesamten Teams gehabt. Der Sturm hatte ihn mitten in einem Gang überrascht. Dabei wurde er gegen eine der versteiften Wände geschleudert und brach sich mehrere Knochen. Die Verletzungen erwiesen sich als zu schwer, als dass Doktor ihm noch hätte helfen können.

Sie alle schwiegen eine Weile. Es war immer sehr bedrückend, wenn ein Teil des Schiffes starb. Das Schiff war ein Zusammenschluss aus vielen dieser Teile, die alle gemeinsam auch die Crew bildeten. Der Verlust eines Kameraden war ein schwerer Schlag für alle.

In diesem Fall aber erwiesen sich die Folgen als besonders übel. Sie hatten gerade Fracht in einem Hafen gelöscht, der mehrere Tausend Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt lag. Niemand kannte ihre derzeitige Position.

Auge kroch zu einer der Wände und streckte eines seiner Sehorgane in den Weltraum hinaus. Die Wände ließen es durch und dichteten gleichzeitig das dabei entstehende Loch ab. Auges Sehorgan wand sich ganz um das Schiff herum, so dass er den ganzen umliegenden Raumsektor abtasten konnte. Sprecher empfing das Bild und gab es weiter an Denker.

Denker lag in einer Ecke – ein großer formloser Protoplasmaklumpen. Doch in ihm schlummerten die Erinnerungen all seiner raumfahrenden Ahnen. Er untersuchte das Bild der Umgebung, verglich es blitzschnell mit allen anderen ihm bekannten und erklärte: »Keine galaktisch erschlossenen Planeten in Reichweite.«

Sprecher übersetzte das Ergebnis für die anderen. Es war so, wie sie alle insgeheim befürchtet hatten.

Auge berechnete mit Denkers Unterstützung, dass sie mehrere Hundert Lichtjahre von ihrem Kurs abgekommen waren. Sie befanden sich irgendwo an der Peripherie der Milchstraße.

Jedes Besatzungsmitglied wusste, was das zu bedeuten hatte. Ohne einen Treiber, dessen Aufgabe es war, das Schiff auf ein Vielfaches der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, würden sie nie mehr nach Hause kommen. Die Heimreise würde ohne einen Treiber länger dauern, als die meisten von ihnen leben würden.

»Was schlägst du vor?«, erkundigte sich Sprecher bei Denker.

Für den pedantischen Denker war die Frage zu vage. Er bat, sie neu formuliert zu bekommen.

»Welche Wege stehen uns offen«, versuchte es Sprecher noch einmal, »einen galaktischen Planeten zu erreichen?«

Denker benötigte mehrere Minuten, um alle in seinen Zellen gespeicherten Möglichkeiten durchzuarbeiten. Mittlerweile hatte Doktor die verletzten Wände behandelt und bat um etwas zu essen.

»In ein paar Minuten essen wir alle zusammen«, sagte Sprecher und zuckte nervös mit den Kommunikationsfäden. Obwohl er das zweitjüngste Mitglied der Mannschaft war – direkt nach Nährer –, ruhte ein großer Teil der Verantwortung für das Schiff auf ihm. Er musste die anderen koordinieren und den Weg ihres gemeinsamen Handelns bestimmen.

Eine der Wände schlug vor, sie sollten sich erst einmal richtig betrinken. Diese unsinnige Lösung des Problems wurde sofort von allen abgelehnt. Sie war typisch für die Wände. Wände waren großartige Arbeiter und gute Kameraden, aber ansonsten eher einfältige Burschen. Wenn sie nach Hause kamen, würden sie wahrscheinlich wieder ihre ganze Heuer in kürzester Zeit verjuxen.

»Verlust des Treibers schließt längeren Flug des Schiffes mit Überlichtgeschwindigkeit aus und beschneidet unsere Navigationsfähigkeit«, begann Denker ohne Einleitung. »Der nächste galaktische Planet ist viertausendfünf Lichtjahre entfernt.«

Sprecher übersetzte alles simultan für die anderen Crewmitglieder.

»Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Erstens: Das Schiff kann versuchen, mit Hilfe der atomaren Energie von Maschine den nächsten galaktisch erschlossenen Planeten zu erreichen. Das wird circa zweihundert Jahre dauern. Zu diesem Zeitpunkt wird sich vermutlich nur noch Maschine am Leben befinden, alle anderen haben dafür keine ausreichende Lebensdauer. Zweitens: Wir versuchen in der näheren Umgebung einen Planeten mit einfachen Treibern zu finden, nehmen einen der dortigen Treiber an Bord und versuchen seine Gabe so auszubilden, dass er das Schiff zurück in die zivilisatorisch erschlossenen Bereiche der Galaxis bringen kann.«

Denker schwieg. Er hatte alles gesagt, was er zu dem vorliegenden Problem in seinen und den Erinnerungen seiner Vorfahren hatte finden können.

Sie stimmten ab und entschieden sich ohne Gegenstimme für Denkers zweiten Vorschlag. Im Grunde hatten sie auch keine andere Wahl. Es war die einzige Chance, die Heimat überhaupt je wiederzusehen.

»Also gut«, sagte Sprecher. »Essen wir jetzt. Ich glaube, wir haben es alle nötig.«

Der Körper des toten Treiber wurde Maschine in den Mund geschoben, der ihn sich ohne Zögern einverleibte, indem er seine Atome in Energie umwandelte. Maschine war das einzige Besatzungsmitglied, das sich direkt von Atomenergie ernährte.

Für die anderen ging Nährer an die Arbeit und lud sich bei einem der Akkumulatoren auf. Dann verwandelte er die aufgenommene Energie in die jeweils von den einzelnen Besatzungsmitgliedern benötigte Nahrung.

Auge lebte ausschließlich von komplexen Chlorophyllketten. Nährer produzierte sie für ihn und gab dann Sprecher seine Kohlenhydrate und den Wänden ihre Chlorverbindungen. Für Doktor stellte er die Kopie einer Silikatfrucht her, die in dessen Heimatwelt wuchs.

Endlich war jeder satt und das Schiff wieder aufgeräumt. Die Akkumulatoren schliefen friedlich in ihrer Ecke. Auge hatte sein Sehorgan so weit wie möglich ausgefahren und draußen auf Teleskopsicht umgestellt. Selbst in ihrer derzeitigen kritischen Lage konnte er der Versuchung nicht widerstehen, seine Gedichte fortzusetzen. Er kündigte an, dass er an einer neuen Ballade arbeite, die er »Peripherer Schimmer« getauft habe. Keiner wollte sie hören und so gab er sie Denker ein, der alles speicherte, ob gut oder schlecht, falsch oder richtig, sinnvoll oder nutzlos.

Maschine schlief nie. Bis zum Bersten mit Treiber gefüllt, jagte er das Schiff mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum.

Die Wände stritten sich, wer während des letzten Urlaubs am betrunkensten gewesen war.

Sprecher gönnte sich ein wenig Ruhe. Er löste sich von den Wänden und streckte seinen kleinen runden Körper auf dem Netzwerk seiner Fäden aus.

Flüchtig dachte er an Treiber. Es war seltsam. Treiber hatten alle gern gemocht, doch jetzt war er schon vergessen. Nicht etwa aus Gleichgültigkeit. Der Grund lag einfach darin, dass das ganze Schiff eine Einheit bildete. Der Verlust eines Teiles wurde bedauert, aber entscheidend war ausschließlich der Fortbestand des Schiffes als Zusammenspiel aller.

Das Schiff jagte durch die Sonnensysteme der galaktischen Peripherie.

Denker hatte mit Hilfe einer Suchspirale errechnet, dass die Chancen, einen Treiberplaneten zu finden, eins zu vier standen. Nach einer Woche stießen sie auf eine Welt, die von primitiven Wänden bewohnt war. Sie flogen tief über die Oberfläche und konnten die ledrigen, rechteckigen Burschen deutlich erkennen, die in der Sonne lagen, über die Felsen krochen oder sich lang ausgestreckt von einer leichten Brise schaukeln ließen.

Die Wände des Schiffes seufzten sehnsüchtig. Es war dort unten genau wie zu Hause.

Und die Wände des Planeten wussten nichts von ihrer großartigen Bestimmung – teilzunehmen an dem umfassenden Zusammenwirken aller Intelligenzen des großen Sternennebels –, denn sie waren noch nicht von einer galaktischen Kontaktgruppe besucht worden.

Der Spiralarm der Milchstraße, an dem sie sich befanden, beherbergte eine Menge toter Welten und auch solche, die noch zu jung für die Entwicklung von Leben waren.

Dann fanden sie einen Planeten mit Sprechern, die ihre spinnwebartigen Kommunikationsfäden über einen halben Kontinent ausgebreitet hatten. Sprecher starrte sie durch Auge erwartungsvoll an. Eine Welle von Selbstmitleid erfasste ihn. Seine Heimat fiel ihm ein, seine Familie, seine Freunde. Er dachte an den Baum, den er kaufen wollte, wenn er wieder heimkam.

Einen kurzen Moment lang fragte er sich, was er überhaupt hier verloren hatte, als Teil eines Schiffes in einer abgelegenen Ecke der Galaxis.

Er schüttelte die Stimmung ab. Er hatte seine Aufgabe. Wenn sie lange genug suchten, würden sie auf jeden Fall einen Treiberplaneten finden. Das hoffte er jedenfalls.

Eine Zeit lang stießen sie nur auf öde Welten ohne Leben, bis sie einen Planeten voll primitiver Maschinen entdeckten, die in einem radioaktiven Metallozean schwammen.

»Eine lohnende Gegend«, sagte Nährer zu Sprecher. »Das Zentrum sollte hier mal eine Kontaktgruppe herschicken.«

»Das werden sie wahrscheinlich auch tun, wenn wir es zurück schaffen«, erwiderte Sprecher.

Sie standen sich sehr nahe – noch über die allumfassende Freundschaft des ganzen Schiffes hinaus. Nicht nur, weil sie die beiden Jüngsten waren. Ihre Funktionen ähnelten einander und das förderte eine gewisse psychische Verbundenheit. Sprecher verwandelte Sprache, Nährer Nahrung. Außerdem ähnelten sie sich auch körperlich. Sprecher war ein Zentralkörper mit Fäden nach allen Seiten, Nährer ein Zentralkörper mit Tentakeln anstelle der Fäden.

Sprecher glaubte von Nährer, dass dieser sich nach ihm selbst am meisten unter der ganzen Besatzung seines individuellen Egos bewusst war. Bei den anderen wunderte es ihn immer, wie sie es überhaupt noch schafften, ein eigenes Bewusstsein zu haben.

Noch mehr Sonnen, noch mehr Planeten. Maschine fing an, sich zu überhitzen. Gewöhnlich wurde Maschine nur für kurze Start- und Landemanöver benutzt und für Kurskorrekturen innerhalb eines Planetensystems. Jetzt war er schon wochenlang ununterbrochen an der Arbeit – mit Über- und Unterlichtgeschwindigkeit. Langsam schwanden seine Kräfte.

Nährer installierte mit Doktors Hilfe eine zusätzliche Kühlanlage. Sie war nur provisorisch und sah auch so aus, aber für den Augenblick musste sie reichen. Die Kühlflüssigkeit produzierte Nährer durch ein Neuarrangement von Stickstoff-, Wasserstoff- und Sauerstoffatomen. Doktor untersuchte Maschine und diagnostizierte ein großes Erholungsbedürfnis. Der tapfere alte Kerl würde kaum noch länger als eine Woche durchhalten.

Die Suche ging weiter, doch die Stimmung im Schiff wurde immer gedrückter. Sie waren sich alle im Klaren darüber, dass Treiber relativ selten vorkamen im Gegensatz zu den fruchtbaren Maschinen oder Wänden.

Die Haut der Wände wurde pockennarbig von interstellarem Staub. Wenn sie wieder nach Hause kämen, würden sie sich alle behandeln lassen müssen, jammerten sie. Sprecher beruhigte sie und versprach, dass die Reederei für alles aufkommen würde.

Selbst Auge wurde vom ununterbrochenen Starren in den Raum ganz blutunterlaufen.

Dann tauchten sie wieder einmal in die Atmosphäre eines neuen Planeten hinab. Seine Charakteristika wurden Denker übermittelt, der sie mit den in ihm gespeicherten Daten verglich.

Noch näher, und sie konnten die ersten Gestalten am Boden erkennen.

Treiber! Unentwickelte, aber richtige Treiber!

Sie zogen das Schiff sofort hoch und kehrten erst einmal in den Raum zurück, um dort über ihre nächsten Schritte zu beraten. Nährer sorgte für dreiundzwanzig verschiedene Arten von berauschenden Getränken, mit denen sie auf ihr Glück anstießen.

Das Schiff war drei Tage lang außer Funktion.

»Alle wieder auf dem Damm?«, fragte Sprecher noch ein bisschen zittrig. Er hatte einen Kater, der ihm in allen Kommunikationsfäden brannte. Unmengen mussten das gewesen sein, die er in sich hineingeschüttet hatte. Schwach erinnerte er sich daran, wie er Maschine mit seinen Fäden umarmt und ihn eingeladen hatte, seinen Baum mit ihm zu teilen, wenn sie erst zurück seien.

Der Gedanke daran ließ ihn schaudern.

Die übrige Mannschaft machte ebenfalls noch einen ziemlich mitgenommenen Eindruck. Die Wände ließen Luft in den Raum entweichen; sie waren einfach noch zu wackelig, um ihre Nähte richtig zu versiegeln. Doktor war ohnmächtig.

Aber am schlimmsten hatte es Nährer erwischt. Da sein Körper sich auf jede Nahrung außer atomarer eingestellt hatte, hatte er jedes der von ihm hergestellten Getränke erst einmal selbst probiert, ob es nun Jod, reiner Sauerstoff oder ein komplizierter Ester gewesen war. Es ging ihm entsprechend miserabel. Das gesunde Blau seiner Tentakel zeigte jetzt überall gelbliche Flecken und der ganze Organismus arbeitete wie wild, um die Reste der Rauschmittel abzubauen, an denen er sich vergiftet hatte. Ein schmerzhafter Regenerationsprozess.

Die einzig Nüchternen waren Maschine und Denker. Denker trank nichts, was für einen Raumfahrer selten, für einen Denker aber typisch war. Maschine konnte nicht trinken.

Sie hörten alle zu, als Denker jetzt mit einem Bericht über einige erstaunliche Beobachtungen auf den Bildern Auges begann. Die Bilder stammten von der Oberfläche des rettenden Planeten. Sie zeigten deutlich metallische Konstruktionen, die Denker zu der beunruhigenden Schlussfolgerung zwangen, man habe es dort unten mit einer mechanischen Zivilisation zu tun.

»Unmöglich«, sagten drei der Wände und die übrige Mannschaft schien geneigt, ihnen Recht zu geben. Alles Metall, was sie jemals gesehen hatten, war in der Erde vergraben gewesen oder hatte in rostigen Klumpen herumgelegen, höchstens als Futter für Maschinen zu gebrauchen.

»Willst du damit sagen, dass die da unten Dinge aus Metall herstellen?«, fasste Sprecher nach. »Aus totem Zeugs? Wozu?«

»Nichts können sie damit machen«, erklärte Nährer nachdrücklich. »Es würde ihnen doch alles immerzu zusammenbrechen. Ich meine, Metall weiß ja nicht, wann es schwächer wird.«

Aber Denkers Schlussfolgerung war doch richtig gewesen. Auge vergrößerte neue Bilder und alle konnten sich selbst davon überzeugen, dass die Treiber Gebäude, Fahrzeuge und andere Gegenstände aus toter Materie konstruiert hatten.

Der Grund dafür ließ sich nicht so ohne weiteres angeben. Aber es war kein gutes Zeichen. Trotzdem, das Schlimmste hatten sie erst einmal hinter sich – sie hatten einen Treiberplaneten gefunden. Jetzt mussten sie nur noch versuchen, einen der Treiber anzuheuern, was nicht so schwierig sein konnte. Sprecher wusste, dass Zusammenarbeit das Fundament der galaktischen Zivilisation war – selbst unter einfachsten Lebensformen.

Sie beschlossen, in einer der weniger dicht besiedelten Regionen zu landen. Selbstverständlich rechneten sie nicht mit einem unfreundlichen Empfang, doch es war Aufgabe der speziell dafür ausgebildeten Kontaktgruppe, mit einer neu entdeckten Population Kontakt aufzunehmen. Sie brauchten im Augenblick ja nur den Kontakt zu einem Einzelwesen.

So suchten sie sich einen relativ dünn besiedelten Landstrich heraus und schwebten im Tiefflug über das Gebiet, während es auf ihrer Seite des Planeten Nacht war.

Fast auf Anhieb gelang es ihnen, einen einzelnen Treiber zu lokalisieren.

Auge stellte sich auf Nachtsicht ein und sie verfolgten neugierig das Tun des Treibers. Nach einer Weile streckte er sich neben einem kleinen Feuer aus. Denker erklärte ihnen, dass es sich dabei um die allseits bekannte Ruhestellung von Treibern handele.

Kurz vor Morgengrauen landeten sie und die Wände öffneten sich. Nährer, Sprecher und Doktor gingen nach draußen.

Nährer trat zu dem Treiber und tippte ihm an die Schulter. Sprecher folgte mit einem Kommunikationsfaden.

Der Treiber öffnete seine Sehorgane, blinzelte mit ihnen und machte dann eine Bewegung mit seinem Nahrungsorgan. Er sprang auf seine Füße und begann zu rennen.

Die drei Besatzungsmitglieder waren verblüfft. Der Treiber hatte nicht einmal abgewartet, was sie eigentlich von ihm wollten!

Sprecher streckte einen seiner Fäden aus und packte den Treiber, der sich schon fünfzehn Meter weit weg befand, am Bein. Der Treiber fiel hin.

»Geht nicht zu rau mit ihm um«, meinte Nährer. »Vielleicht hat ihn unser plötzliches Erscheinen durcheinandergebracht.« Er zuckte mit einem Tentakel. Die Idee, dass ein Treiber – mit seinen vielfältigen unspezialisierten Organen eine der merkwürdigsten Lebensformen der Galaxis – durch das Aussehen von jemand anderem erschreckt werden könnte, war zu komisch.

Nährer und Doktor liefen zu dem gestürzten Treiber und transportierten ihn gemeinsam in das Schiff.

Die Wände versiegelten sich. Man ließ den Treiber frei und bereitete sich auf das Gespräch mit ihm vor.

Sobald der Treiber sich bewegen konnte, sprang er auf und rannte zu der Stelle, an der die Wände sich geschlossen hatten. Er hämmerte wild dagegen. Sein Nahrungsorgan stand weit offen und vibrierte.

»Lass das sein«, sagte die Wand vor ihm. Sie beulte sich ihm entgegen und stieß ihn um. Der Treiber sprang sofort wieder auf und wollte weglaufen.

»Haltet ihn auf!«, befahl Sprecher. »Er könnte sich verletzen.«

Einer der Akkumulatoren wachte gerade genug auf, um sich dem Treiber in den Weg zu schieben. Der Treiber stürzte darüber, kam wieder hoch und lief weiter.

Sprecher hatte seine Fäden inzwischen wieder überallhin ausgestreckt und er fing den Treiber im Bug ein. Der Treiber begann an den Fäden zu reißen und Sprecher ließ ihn schnell wieder los.

»Schließ ihn an dein Netz an!«, rief Nährer. »Vielleicht können wir so mit ihm ins Gespräch kommen.«

Sprecher streckte einen seiner Fäden nach dem Kopf des Treibers aus, wobei er damit in der universalen Geste der Verständigung vor dessen Sehorganen hin und her wedelte. Doch der Treiber reagierte genauso überraschend und unbegreiflich wie vorher. Er sprang zur Seite und fuchtelte wild mit einem Stück Metall herum, das er in der Hand hielt.

»Was glaubst du wohl, hat er damit vor?«, fragte Nährer. Der Treiber begann mit dem Stück Metall auf die nächste Wand einzuschlagen. Sie versteifte sich instinktiv, und das Metallstück zerbrach.

»Lasst ihn in Frieden«, sagte Sprecher. »Geben wir ihm erst einmal Zeit, sich zu beruhigen.«

Sprecher beriet sich mit Denker, aber sie kamen zu keinem Entschluss, was sie mit dem Treiber anfangen sollten. Er wollte in keine Kommunikation eintreten. Jedes Mal, wenn ihm Sprecher einen seiner Fäden entgegenstreckte, geriet der Treiber in fürchterliche Panik. Momentan stand es unentschieden.

Denker sprach sich gegen den Plan aus, einen anderen Treiber auf dem Planeten zu suchen. Er hielt das Benehmen ihres Treibers für typisch. Die Suche nach einem anderen würde nur zu denselben Problemen führen. Außerdem durfte ein Planet offiziell ja eigentlich nur von einer Kontaktgruppe besucht werden.

Wenn sie sich nicht mit dem Treiber verständigen konnten, würde es ihnen auch nicht mit einem anderen aus diesem Treibervolk gelingen.

»Ich glaube, ich weiß, woher die Schwierigkeiten rühren«, sagte Auge und schwang sich auf einen Akkumulator. »Diese Treiber hier haben eine mechanische Zivilisation entwickelt. Denkt mal eine Weile darüber nach, wie sie die wohl errichtet haben. Sie gebrauchten, so wie Doktor, ihre Finger, um Metall zu formen. Sie benutzen ihre Augen, so wie ich meine Sehorgane. Und vermutlich noch eine Menge anderer Organe auf ähnliche Weise.« Er machte eine effektvolle Pause. »Die Treiber sind unspezialisiert!«

Sie diskutierten diese Idee mehrere Stunden lang. Die Wände ließen sich nicht davon abbringen, dass kein intelligentes Wesen unspezialisiert sein könnte. In der ganzen Galaxis gab es dafür nicht ein Beispiel. Aber der Beweis stand vor ihnen – die Städte der Treiber, ihre Fahrzeuge … Der Treiber an Bord, der sicher repräsentativ für alle war, schien für eine Unmenge unterschiedlicher Arbeiten ausgerüstet zu sein.

Für alles, nur nicht dafür, ein Schiff zu treiben!

Denker fiel schließlich eine teilweise Erklärung ein. »Wir haben es hier nicht mit einem unterentwickelten Planeten zu tun. Er ist schon relativ alt und hätte schon vor Jahrtausenden in die galaktische Zivilisation aufgenommen werden müssen. Da das aus unbekannten Gründen nicht geschehen ist, wurden die Treiber ihres Geburtsrechtes beraubt. Ihre große Fähigkeit, ihre Spezialität, war, etwas zu treiben. Aber sie hatten nichts zum Treiben. So kam es nicht von ungefähr, dass sie eine abnorme Kultur entwickelten. Wie diese Kultur im Einzelnen aussieht, können wir nur vermuten. Aber alle Anzeichen sprechen für die Annahme – die Treiber hier sind unkooperativ.« Denker hatte es an sich, die erschütterndsten Feststellungen mit der harmlosesten Selbstverständlichkeit vorzutragen. »Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit«, fuhr er fort, »dass diese Treiber gar nichts mit uns zu tun haben wollen. In diesem Fall stünde unsere Chance für eine Rückkehr eins zu zweihundertdreiundachtzig, denn genauso groß sind die Aussichten, einen zweiten Treiberplaneten zu finden.«

»Wir können aber nicht sicher sein, ob wir ihn nicht doch noch zur Zusammenarbeit überreden können«, sagte Sprecher, »bevor wir nicht direkt mit ihm kommuniziert haben.« Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf gehen, dass es intelligente Lebewesen geben sollte, die mit anderen intelligenten Lebewesen nichts zu tun haben wollten.

»Aber wie bekommen wir ihn dazu?«, fragte Nährer.

Sie fassten einen Entschluss. Doktor ging langsam auf den Treiber zu, der misstrauisch zurückwich. In der Zwischenzeit hatte Sprecher einen seiner Fäden durch die Schiffswand hinter dem Treiber geschoben.

Der Treiber drückte sich an die Wand und Sprecher schob ihm schnell den Faden in den Hinterkopf. Direkt ins Kommunikationszentrum des Hirns zur Anschlussstelle.

Der Treiber brach zusammen.

 

Als er wieder zu sich kam, mussten Nährer und Sprecher seine Gliedmaßen festhalten, damit er sich den Kommunikationsfaden nicht herausriss.

Sprecher bemühte sich inzwischen, die Sprache des Treibers herauszufinden. Das war nicht allzu schwer. Alle Treibersprachen gehörten derselben Familie an und die seine bildete da keine Ausnahme. Sprecher fand genug Gedankenfetzen, um ein Sprachgerüst daran zu entwickeln.

Er machte einen ersten Versuch der Verständigung.

Der Treiber schwieg.

»Ich glaube, er ist hungrig«, meinte Nährer. Sie erinnerten sich daran, dass der Treiber mittlerweile schon fast zwei Tage an Bord war, ohne etwas zu essen bekommen zu haben. Nährer produzierte eine Standardtreibernahrung und bot sie ihm an.

»Mein Gott! Ein Steak!«, sagte der Treiber.

Die Mannschaft raunte ihre Begeisterung durch Sprechers Kommunikationsnetz. Der Treiber hatte seine ersten Worte gesagt!

Sprecher analysierte die Worte und durchforstete sein Gedächtnis. Er kannte fast zweihundert Treibersprachen und ein Vielfaches an Unterdialekten. Er stellte fest, dass dieser Treiber eine Kreuzung zwischen zwei recht bekannten Treibersprachen benutzte.

Nachdem er gegessen hatte, schaute sich der Treiber um. Sprecher übertrug seine Gedanken den übrigen Besatzungsmitgliedern.

Der Treiber hatte eine seltsame Art, das Schiff zu sehen. Für ihn wirkte es wie ein Aufruhr von Farben. Die Wände bewegten sich wellenförmig. Vor ihm saß ein Etwas, das einer riesigen Spinne ähnelte, von deren schwarzgrünem Körper Fäden durch das ganze Schiff liefen bis in den Kopf jedes Wesens an Bord. Auge sah er als ein merkwürdiges nacktes kleines Tier, eine Kreuzung zwischen einem sogenannten Kaninchen und einem Eidotter.

Sprecher faszinierten diese neuen Perspektiven. Sie eröffneten ihm zum ersten Mal einen Teil der Gedankenwelt von Treibern. Er hatte die Dinge nie zuvor so gesehen, aber jetzt, nachdem der Treiber es ihm zeigte, war Auge wirklich ein ziemlich komisch aussehender Bursche.

Sie konnten endlich mit dem Gespräch beginnen.

»Was für Viecher seid ihr bloß?«, fragte der Treiber. Er wirkte jetzt viel ruhiger als in den vergangenen Tagen. »Warum habt ihr mich gefangen? Oder spinne ich einfach?«

»Nein«, erklärte ihm Sprecher, »dein Geisteszustand ist nicht wesentlich von der Norm deiner Population abweichend, wenn du das meinst. Wir sind ein galaktisches Handelsschiff, das ein Sturm weit vom Kurs abgetrieben hat. Dabei ist unser Treiber getötet worden.«

»Na schön. Aber was hat das mit mir zu tun?«

»Wir möchten gerne, dass du unser neuer Treiber wirst«, sagte Sprecher.

Der Treiber überlegte gründlich, nachdem Sprecher ihm die Situation verständlich gemacht hatte. Sprecher spürte deutlich den Widerstreit der Gedanken, die sich im Kopf des Treibers jagten; er war sich noch immer nicht klar, ob er es mit der Realität zu tun hatte oder ob alles nur ein Traum war. Aber schließlich rang der Treiber sich zu dem Entschluss durch, einstweilen davon auszugehen, dass er nicht verrückt war.

»Also hört mal, Jungs«, sagte er. »Ich weiß wirklich nicht, wer ihr seid und was das alles soll. Ich muss aber bald hier raus. Zurzeit bin ich nur beurlaubt, und wenn die Armee nicht bald etwas von mir hört, dann gibt es eine Menge Ärger.«

Sprecher bat den Treiber um eine Erläuterung des Begriffs »Armee« und gab sie dann an Denker weiter.

»Diese Treiber bekämpfen sich gegenseitig«, lautete Denkers Schlussfolgerung.

»Aber warum?«, fragte Sprecher. Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass Denker mit seiner Vermutung wohl Recht hatte. Die Treiber schienen das Prinzip der Zusammenarbeit überhaupt nicht zu kennen.

»Ich würde euch Typen ja echt gern helfen«, sagte der Treiber. »Aber ich begreife nicht, wie ihr auf den Gedanken kommen konntet, dass ich etwas von der Größe eures Schiffes auch nur einen Millimeter von der Stelle bekomme. Dafür brauchtet ihr schon eine ganze Panzerdivision.«

»Billigst du diese Kriege?«, fragte Sprecher eine Frage, die zu stellen Denker ihn gebeten hatte.

»Niemand mag Kriege – jedenfalls nicht die, die dabei ihren Kopf hinhalten müssen.«

»Warum führt ihr sie dann?«

Der Treiber machte eine Mundbewegung, die Auge aufnahm und an Denker weiterleitete. »Es heißt töten oder getötet werden. Ihr Jungs kennt wohl keine Kriege, was?«

»Bei uns gibt es so etwas nicht«, bestätigte Sprecher.

»Da habt ihr Glück«, sagte der Treiber bitter. »Bei uns schon. Jede Menge.«

»Ja«, sagte Sprecher. Denker hatte ihm inzwischen eine ausführliche Erklärung geliefert. »Würdest du gerne dafür sorgen, dass diese Kriege aufhören?«

»Aber natürlich.«

»Dann komm mit uns. Werde unser Treiber.«

Der Treiber stand auf und ging zu einem der Akkumulatoren. Er setzte sich darauf und schlang seine unteren Gliedmaßen auf seltsame Art untereinander.

»Wie soll das gehen, dass ich alle Kriege beenden kann?«, wollte der Treiber wissen. »Selbst wenn ich zu den großen Tieren ginge und denen erzählen würde, was hier …«

»Das brauchst du gar nicht«, unterbrach ihn Sprecher. »Du musst lediglich mit uns kommen. Treibe unser Schiff zurück zu unserer nächsten Basis. Das Zentrum wird euch dann eine Kontaktgruppe schicken und damit sind alle Kriege vorbei.«

»Den Teufel werde ich tun«, erwiderte der Treiber. »Ihr Burschen seid hier gestrandet und hängt fest, was? So soll es auch bleiben. Ich werde jedenfalls keinen Finger rühren, damit irgendwelche Monster die Erde in ihre Gewalt bekommen.«

Verwirrt versuchte Sprecher die letzten Sätze zu verstehen. Hatte er irgendetwas Falsches gesagt? War es möglich, dass er einen Fehler bei der Übersetzung gemacht hatte?

»Ich dachte, du wolltest die Kriege beenden?«, sagte Sprecher vorsichtig.

»Sicher will ich das. Aber ich will nicht, dass irgendjemand Fremder unsere Kriege für uns beendet. Ich bin kein Verräter an den Meinen. Lieber kämpfe ich.«

»Keiner will euch zwingen, mit euren Kriegen aufzuhören. Ihr werdet bloß einfach von selber damit Schluss machen, weil ihr keinen Grund mehr zum Kämpfen haben werdet.«

»Weißt du denn, warum wir Krieg führen?«

»Das ist doch klar.«

»Ja? Dann erklär’s mir mal.«

»Ihr Treiber seid von der Entwicklung in der restlichen Galaxis abgeschnitten«, sagte Sprecher. »Eure große Begabung, eure Spezialität, das Antreiben von Schiffen, schlummert immer noch in euch – aber ihr habt nichts mehr zum Antreiben. Demgemäß fehlt es euch an einer echten Aufgabe. Ihr spielt mit Dingen – Metall, toten Gegenständen –, aber was immer ihr damit anfangt, es kann euch nie wirklich befriedigen. Man hat euch eure wahre Berufung genommen und jetzt bekämpft ihr euch aus Verzweiflung gegenseitig. Wenn ihr erst einmal den euch zustehenden Platz in der galaktischen Gemeinschaft der Völker gefunden habt – und ich versichere dir, dass es ein sehr bedeutender Platz ist –, werdet ihr mit euren Kämpfen aufhören. Warum solltet ihr auch kämpfen, was abartig genug ist, wenn ihr treiben könnt? Außerdem werdet ihr bald eure mechanische Zivilisation abschaffen, weil ihr merken werdet, dass ihr sie nicht mehr braucht.«

Der Treiber schüttelte den Kopf, was Sprecher für eine Geste der Verwirrung hielt. »Was ist denn dieses Treiben?«

Sprecher erklärte es ihm, so gut er konnte. Da die Arbeit nicht zu seinem eigentlichen Gebiet gehörte, hatte er nur eine recht allgemeine Vorstellung davon, was ein Treiber machte.

»Du willst mir also sagen, dass dies die Arbeit ist, die jeder Mensch meines Planeten verrichten sollte?«

»So ist es«, sagte Sprecher. »Es ist eure große Spezialität.«

Der Treiber dachte lange Minuten darüber nach. »Ich glaube, was ihr braucht, ist ein Psychologe oder ein Physiker, oder noch besser, beides in einem, aber niemanden wie mich. Ich bin ein angehender Architekt. So etwas wie diese Arbeit könnte ich nie tun. Und abgesehen davon – nun, das lässt sich schwer erklären.«

Aber Sprecher hatte Treibers Einwände schon als Gedanken aufgenommen. Er sah das Erinnerungsbild eines weiblichen Treibers. Nein, von zweien, dreien. Und er empfing ein Gefühl der Einsamkeit und des Verlorenseins. Der Treiber steckte voller Zweifel. Und er hatte Angst.

»Wenn wir die bekannten Gebiete der Galaxis erreichen«, sagte Sprecher und hoffte dabei, nichts Falsches zu tun, »wirst du wieder mit anderen Treibern zusammentreffen. Auch mit weiblichen. Ihr Treiber seht alle gleich aus. Es sollte dir also nicht schwerfallen, dich mit jemandem anzufreunden. Und was Einsamkeit an Bord betrifft – die gibt es nicht. Du verstehst unsere Gemeinschaft noch nicht. Niemand ist einsam, der zu einem Schiff gehört.«

Der Treiber versuchte längere Zeit, sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass er dort draußen andere Treiber treffen würde. Sprecher konnte nicht verstehen, warum es so erstaunlich für ihn war, dass es noch andere Treiber gab. Die ganze Galaxis war mit Treibern gefüllt wie mit Nährern und Sprechern und den anderen Arten, die sich in der Evolution ständig wiederholten.

»Ich kann mir einfach nicht vorstellen«, sagte der Treiber schließlich, »dass es für irgendjemanden die Möglichkeit geben soll, unsere Kriege zu beenden. Woher soll ich wissen, dass ihr mich nicht belügt?«

Sprecher hatte das Gefühl, als hätte man ihm die Fäden zerrissen. Denker musste Recht haben, als er vermutete, dass diese Treiber unkooperativ waren. Bedeutete das jetzt das Ende seiner Karriere? Sollten er und die Mannschaft den Rest ihres Lebens irgendwo durch den Raum irrend verbringen müssen, weil sie hier an eine Horde von schwachsinnigen Treibern geraten waren?

Selbst bei dieser Vorstellung war Sprecher noch in der Lage, tiefes Mitleid für die Treiber zu empfinden. Es musste ein grauenvolles Leben für sie sein. Zweifel, Unsicherheit, Misstrauen gegen alles und jeden! Wenn diese Treiber nicht bald ihren Platz in der galaktischen Gemeinschaft finden würden, dann rotteten sie sich gegenseitig aus, so viel stand fest. Ihre Eingliederung war längst überfällig.

»Was kann ich tun, um dich zu überzeugen?«, fragte Sprecher.

Verzweifelt ließ er den Treiber über das Kommunikationsnetz an den Gedanken aller anderen Besatzungsmitglieder teilhaben. Er zeigte ihm die gutmütige Grobheit von Maschine, den leichtsinnigen Humor der Wände; er ließ ihn ein wenig von Auges poetischen Anwandlungen mitempfinden und eröffnete ihm Nährers freundliches Wesen. Dann ließ er ihn auch an sich selbst teilhaben, zeigte ihm ein Bild seines Heimatplaneten, seiner Familie und des Baumes, den er nach ihrer Rückkehr kaufen wollte.

Die Bilder erzählten die Geschichte des ganzen Schiffes, zeigten die unterschiedlichen Ursprünge seiner einzelnen Bestandteile, die verschiedenartige Ethik dieser Teile – und das gemeinsame Band, das sie alle zusammenhielt: die galaktische Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Der Treiber ließ all das schweigend auf sich einwirken.

Dann schüttelte er nach einer Weile den Kopf. Die Gedanken, die diese Geste begleiteten, waren unsicher und verwirrt – aber negativ.

Sprecher bat die Wände, sich zu öffnen. Sie taten es und der Treiber sah erstaunt den Weg in die Freiheit vor sich.

»Du kannst gehen«, sagte Sprecher. »Zieh einfach meinen Kommunikationsfaden aus deinem Kopf und geh.«

»Und was macht ihr dann?«

»Wir werden versuchen, einen anderen Treiberplaneten zu finden.«

»Welchen? Mars? Venus?« Der Treiber blickte auf die Öffnung und dann zurück auf die Mannschaft. Er zögerte. Sein Gesicht spiegelte alle seine inneren Zweifel wider. »Alles, was du mir gezeigt hast, ist wahr?«

Eine Antwort war nicht nötig.

»Na gut«, sagte der Treiber plötzlich. »Ich komme mit. Ich bin ein verdammter Idiot, aber ich komme mit. Das wollt ihr doch – wenn ich dich richtig verstanden habe.«

Sprecher merkte, dass der innere Kampf den Treiber so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, dass er den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hatte. Er glaubte einfach in einem Traum zu sein, in dem alle Entscheidungen leicht fielen, weil sie keine echten Entscheidungen waren.

»Es gibt da nur ein winziges Problem«, sagte der Treiber mit hysterischer Überdrehtheit. »Jungs, ich habe keine Ahnung, wie dieses verdammte Treiben geht. Ihr habt mir da etwas von Überlichtgeschwindigkeit erzählt und ich schaffe nicht mal achtzig Kilometer in der Stunde.«

»Du kannst das schon«, versicherte Sprecher, der sich aber plötzlich selbst nicht mehr ganz sicher war. Er kannte die angeborenen Fähigkeiten eines Treibers, aber bei einem Burschen wie diesem hier …

»Versuch es einfach.«

»Einverstanden«, stimmte der Treiber zu. »Vielleicht werde ich dabei ja sogar wach.«

Die Wände versiegelten das Schiff zum Start, während der Treiber vor sich hin murmelte.

»Komisch«, sagte er zu sich selbst, »ich dachte, ein Campingurlaub sei die beste Möglichkeit, einmal so richtig auszuspannen, doch alles, was ich davon habe, sind Alpträume.«

Maschine schoss das Schiff in den Raum. Die Wände verhärteten sich und Auge führte sie sicher aus der Atmosphäre des Treiberplaneten.

»Wir sind jetzt im freien Weltraum«, sagte Sprecher. Nachdem er sich Treibers Selbstgespräche hatte anhören müssen, konnte er nur hoffen, dass der arme Mann noch bei Verstand war. »Auge und Denker werden dir die Richtung angeben, ich übersetze sie dir und du treibst uns dort hin.«

»Du spinnst. Ihr seid alle komplett verrückt«, murmelte Treiber. »Ihr habt euch im Planeten vertan. Ich wünschte, der verdammte Alptraum wäre endlich vorbei.«

»Du bist jetzt in unsere Gemeinschaft integriert«, sendete Sprecher verzweifelt. »Das da ist deine Richtung! Treib das Schiff! Treib!«

Der Treiber tat einen Augenblick lang gar nichts. Er wachte langsam aus seiner Fantasievorstellung auf und begriff, dass das hier alles andere als ein Traum war. Er fühlte das Schiff, ihre Zusammengehörigkeit: Auge an Denker, Denker an Sprecher, Sprecher an Treiber, alle mit den Wänden verbunden und untereinander.

»Was ist das? Was geht nur in mir vor?«, fragte Treiber. Er spürte das Einswerden mit der Mannschaft, die Wärme, die Nähe und die Vertrautheit, wie es sie nur an Bord eines Raumschiffes gab.

Er trieb.

Nichts geschah.

»Versuch’s nochmal«, bat Sprecher. »Bitte.«

Treiber durchforschte seinen Geist. Er fand einen tiefen Brunnen voller Zweifel und Furcht. Er blickte hinein und sein eigenes gequältes Gesicht sah ihm entgegen.

Denker erklärte es ihm, gab ihm die Erleuchtung.

Jahrhundertelang hatten die Treiber gegen die Ängste und Zweifel kämpfen müssen. Ein Treiber besiegte die Ängste, tötete die Zweifel und wurde – ein Treiber.

Das war die Kraft der Treiber!

Mensch … Spezialist … Treiber – er wurde ein Teil der Mannschaft, gab sich ihr hin, verschmolz mit ihr, umarmte im Geist Denker und Sprecher.

Und plötzlich schoss das Schiff vorwärts, achtmal schneller als das Licht. Es hielt Kurs und beschleunigte, es wurde schneller und schneller.

 

Robert Sheckley: Spezialist ● Erzählung ● aus dem Amerikanischen von Michael Görden ● Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 ● E-Only ● € 0,99 ● im Shop

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