15. Juni 2020 3 Likes

Too dark to see

Das Horror-Adventure „Those Who Remain“ im Test

Lesezeit: 5 min.

Das Leben kann schon echt hart sein. Da betrügt man seine Ehefrau, verschuldet einen tödlichen Unfall und muss daraufhin letztlich gleich mit zweifacher Belastung auf dem Schuldenkonto klarkommen. So passiert es Protagonist Edward, der zu Beginn des psychologisch motivierten Horror-Adventures Those Who Remain (seit Ende Mai für gut 20 Euro auf PS4, Xbox One, Switch und PC erhältlich) mit Hochprozentigem plus Waffe in der Hand kurz vor dem Exitus steht, ehe er sich doch noch aufrafft, mit seiner Geliebten für klare Trennungsverhältnisse zu sorgen. Doch schon Edwards Ankunft im Motel, wo er seine Bald-Ex treffen soll, gestaltet sich höchst unerquicklich. Niemand ist irgendwo zu sehen und die Beleuchtung scheint kollektiv den Geist aufgegeben zu haben. Als dann auch noch sein Wagen gestohlen wird und Edward den Weg ins nahe gelegene Städtchen Dormont zu Fuß durch die Nacht antreten muss, stehen alle Zeichen auf Alptraum.

Denn der Ehebrecher wird plötzlich permanent von geisterhaften Gestalten aus der Dunkelheit beobachtet, die ihm nur dann nicht sofort das Leben nehmen, solange er sich innerhalb einer Lichtquelle aufhält und ihnen nicht zu nahekommt. Das ist natürlich bei Nacht einfacher gesagt als getan und so besteht ein Großteil unserer spielerischen Anstrengungen darin, Edward in den Straßen als auch verschiedenen Gebäuden wie Bibliotheken, Kirchen, Tankstellen oder Polizeistationen mit Licht zu versorgen und dabei zu stets bedrohlich anschwellendem Sound herauszufinden, was sich in Dormont und mit dessen gruseligen Einwohnern zugetragen hat.

Während wir verstreute Dokumente aufstöbern und mehr über den mysteriösen Todesfall eines jungen Mädchens in Erfahrung bringen, dessen grausames Schicksal weite Kreise in der Bevölkerung gezogen hat, nimmt das Geschehen immer bizarrere Formen an. Da wäre etwa eine monströse Figur, die fast schon wie Nemesis in Resident Evil 3 beharrlich Jagd auf uns macht, der Geist des verstorbenen Mädchens, der uns Hinweise gibt, und ein skurriler Maskenmann, der Edward – ein bisschen wie in Saw – auf perfide Art zum Richter über einige Einwohner erklärt, denen wir ihre Sünden verzeihen oder sie ins ewige Verderben entsenden können.

Wie aus all dem ersichtlich wird, baut das von Camel 101 entwickelte Adventure stark auf eine alptraumhafte Kulisse, die uns tief in die Wahrnehmung von Edward und dessen Verständnis von Schuld und Sühne eintauchen lässt. So lassen es die Macher nicht aus, mit Referenzen zu Serien wie Stranger Things und Twin Peaks, Survival-Horror-Klassikern wie Silent Hill oder gleich mehreren Bezügen zu Stephen King-Romanen hausieren zu gehen, die sich trotz einer nicht allzu originellen Story zu einem gruseligen Ganzen fügen. Unser Held kann sich gegen Angriffe nicht zur Wehr setzen und überhaupt besteht unser Aktionsrepertoire nur darin, zu gehen, zu rennen und Gegenstände aufheben und wegwerfen zu können.

Ein Inventar gibt es ebenso wenig wie richtig fordernde Kopfnüsse, da sich die Rätsel meist im Finden von Items wie Schlüsseln oder Werkzeugen erschöpfen und selbst die im späteren Verlauf sehr klassischen Verschiebe- und Reihenfolgeaufgaben kein Denken über mehrere Ecken erfordern. Selbst das bald eingeführte Wechselspiel zwischen vermeintlicher Realität und einem mythischen Paralleluniversum, in dem etwa die Gesetze der Physik aufgehoben scheinen und welches wir mithilfe von glühenden Portalen betreten und verlassen dürfen, bietet über Stunden eher optischen denn spielerischen Tiefgang. Wenn wir etwa gegen Anfang in der Parallelwelt ein Auto von Bewuchs mittels direkt danebenliegender Pumpe befreien und einen herumfliegenden Holzuntersatz aus dem Weg schieben müssen, wirkt dies spielerisch ähnlich aufgesetzt wie die abrupten Szenenwechsel, die immerhin das Mysteryflair des Titels unterstreichen.

Das lässt sich auch über die Fluchtpassagen sagen, die immerhin im Vergleich zu den komplett starren Bewohnern, die uns in der Dunkelheit auflauern, für etwas Abwechslung beim Herumsuchen in den Gebieten sorgen. Erwischt uns ein mobiler oder starrer Gegner, ist es gleichsam mit uns vorbei. Allerdings sind die Rücksetzpunkte meist solide gesetzt und das ohnehin nicht häufige Katz-und-Maus-Spielchen bleibt trotz kaum vorhersehbarer Gegner-KI weitgehend fair. Das möchte man doch eigentlich meinen, es bei aller Kritik mit annehmbaren 5-7 Stunden Gruselspaß zu tun zu haben. Doch leider stellt sich Those Who Remain anhand einiger arg gravierender Mängel selbst so manches weitere Bein und gerät trotz steigender Intensität der Inszenierung ins Trudeln.

Hauptkritikpunkt ist die Technik, deren bestenfalls durchwachsene Qualität handfeste Auswirkungen auf den Spielspaß hat. Das Adventure ist schlicht viel zu dunkel designt und erschwert jede Orientierung bis zum Äußersten. Ständig rennt man mit Edward in Egoperspektive weitgehend planlos durch verwinkelte Gebäude und Zimmer, ohne genug erkennen oder sich gezielt umschauen zu können. Speziell in der ersten Stunde droht der häufige Tod durch das simple Betreten eines Raumes, in dem unsere Peiniger auf uns warten und in dem wir den Lichtschalter nicht gleich finden. Richtig schlimm wird die Dunkelheit aber gerade dann, wenn wir wirklich nur nach einem Item ohne weiteren Hinweis suchen oder eben fliehen müssen.

Dass bei so viel Finsternis die Grafik nicht allzu gut wegkommt, versteht sich fast von selbst. Die weiß aber auch mit mehr Durchblick nicht zu gefallen und nervt in unserer PS4-Version mit vielen Rucklern, aufpoppenden Texturen und hölzernen Figurenanimationen, die sich dann trotz professioneller Sprecher (wie bei Edward die deutsche Synchronstimme von Benedict Cumberbatch) negativ auf die Gesamtstimmung auswirken – von vielen inhaltlichen Unsinnigkeiten wie frei herumliegenden Speisen oder unerklärlicherweise verschwundenen Feuerzeugen ganz zu schweigen.

Die Steuerung trägt dank gepflegtem Panzerfeeling ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass wir uns sowohl bei schnelleren Bewegungen als auch dem Anvisieren von Aktionspunkten bei Schubladen oder Türen nicht allzu wohl fühlen. Hier hätte mehr Feintuning und Budget wahrhaft etwas bewirkt und zur Frustvermeidung beigetragen. Selbst direkt vor uns liegende Lösungen entgehen uns so viel zu leicht und kosten unnötig Zeit, die der Titel eben leider nicht mit aufwändigen Cutscenes und anderem Budenzauber überspielt. Da sich die Dramaturgie im Mittelteil wie ein Abklappern von Behörden anfühlt, droht Those Who Remain sogar viele Spieler zu verlieren, ehe die letzte Stunde tatsächlich nochmal Fahrt aufnimmt und man wissen will, wie sich die Bruchstücke ineinanderfügen.

Sicher, frühere Indie-Kollegen wie Outlast, Soma oder Layers of Fear haben die Horror-Adventure-Latte höher gelegt als Those Who Remain, sodass es der Titel trotz seiner Referenzen gerade als „Nachzügler“ schwer hat, sich noch vollends zu behaupten. Dennoch hat Edwards Reise zündende Momente und Motive wie die starrende Bevölkerung, die über die Story hinweg funktionieren und Sinn ergeben. Am Ende wartet dann, je nach Edwards Urteil über die Bewohner, eines von mehreren Enden auf uns, welches das Geschehen ordentlich abrundet. Es bleibt die These: Mit deutlich besserer Technik und mehr Eigenständigkeit wäre hier ein richtig guter Mindtrip drin gewesen.

Fazit

Stellenweise fesselndes, wenn auch sehr epigonales Horror-Erlebnis, bei dem leider gerade die schwache Technik zu Abzügen beim Spielspaß führt

Those Who Remain • Camel 101 • Horror-Adventure • PS4/Xbox One/Switch/PC

Abb. © Wired Productions

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