27. Juni 2020 2 Likes

Von Zombies, Robotern und Marderhunden

Nippon Connection – das 20. Japanische Filmfestival

Lesezeit: 5 min.

Auch in diesem Jahr fand in Frankfurt wie gewohnt das japanische Filmfestival Nippon Connection statt. Doch, halt, das stimmt so ja gar nicht. Da das Corona-Monster uns alle höhnisch lachend fest in seinem Würggriff hält, mussten die so herrlich enthusiastischen Japanfans – bedauerlicherweise ausgerechnet zum 20. Jubiläum – Konzessionen eingehen und so wurde das Festival im Internet veranstaltet. Festival? Im Internet? Jupp! Man loggte sich zwischen dem 9. und 14. Juni auf einer Plattform ein und konnte haufenweise neue Filme gucken oder via Livestream dem gewohnt üppigen und abwechslungsreichen Rahmenprogramm (von Baby-Shiatsu über Comedy bis hin zu Gin-Workshops war alles dabei, was Japan nur irgendwie hergibt) beiwohnen. Das war grundsätzlich eine feine Sache, die mit der von den Frankfurtern bekannten Liebe zum Thema umgesetzt wurde. Dennoch: Man kann nur hoffen, dass Captain Drosten das Virenungeheuer möglichst bald zur Hölle schickt, denn es ist und bleibt doch einfach das höchste der Gefühle direkt vor Ort zu sein, die unmittelbaren Reaktionen des Publikums mitzuerleben und in geselliger Runde mit acht Bier den soeben gesehen Film abzufeiern oder mit 12 wieder aus den Kopf zu spülen.

Aber nun zum Leinwandgeschehen – was wurde an Sci-Fi-Kost serviert?


„Beautiful, Goodbye“

Einer der schönsten Filme war für mich mit Abstand „Beautiful, Goodbye“ von Eichii Imamura. Es ist doch immer und immer wieder erstaunlich, was die Japaner aus dem längst dreimal gekillten Zombiegenre noch rauspressen. Erzählt wird von einem stotternden Blogger, der im Affekt einen Mann erstochen hat und auf seiner Flucht auf eine junge Frau trifft, die von ihrem gewalttätigen Freund umgebracht, via auf Youtube (!) gefundenem Ritual wieder zum Leben erweckt wurde und nun als Mensch-/Zombie-Zwischending unterwegs ist. Was sich auf dem Papier anhört wie die nächste nach Kultfilm-Status lechzende Blendgranate der Woche, entpuppt sich als zutiefst entspanntes, minimalistisches Roadmovie, das mit tollen bis mächtigen Bildern, einem fantastischen und wohlüberlegten Soundtrack und einem grandiosen Hauptdarsteller-Duo auftrumpft. Die Horror-Elemente spielen eine eher untergeordnete Rolle, „Beautiful, Goodbye“ ist vielmehr eine Außenseiterballade, die nicht nur von Menschen erzählt, die auf dieser Welt nichts mehr verloren haben, sondern ebenso von tiefen Sehnsüchten, für die selbst der Tod kein Hindernis darstellt. Aus der Zweckgemeinschaft erwächst Freundschaft und aus der Freundschaft tiefe Verbundenheit, Liebe in ihrer reinsten Form. Und welche Bilder Imamura dafür findet, muss man selbst gesehen haben.


„Kinta and Ginji“

Definitiv nicht gesehen haben muss man „Kinta and Ginji“, aber falls je die Option einer Zweitsichtung besteht, werd ich nicht nein sagen, denn die maximale Publikumsverachtung, die die beiden Regisseure Takuya Dairiki und Takashi Miura hier abfeuern hat mir irgendwie ja schon schwer imponiert. Worum geht’s? Ehrlich: Keine Ahnung. Kinta und Ginji sind alte Freunde, latschen über Felder und durch Wälder und schwafeln über alles Mögliche (über die Haustiere von Rocky, das Nashorn eines Freundes, Nüsse…). Ab und zu wird einfach nur im Gras rum gelegen. Ach ja, bei den beiden handelt es sich um einen Roboter und einen Marderhund, für deren Darstellung sich die beiden Regisseure in selbst zusammengekleisterte Kostüme geschmissen haben, weswegen das ganze Treiben in langen statischen Einstellungen gefilmt ist, auch Japaner können nicht alles gleichzeitig. Das Ganze mutet in etwa wie eine Mischung aus Harmony Korines Zuschauer-Attacke „Trash Humpers“ (2009) und Helge Schneiders absurdesten Momenten an und ist dank der merkwürdig abgegriffen wirkenden, stellenweise leicht irrealen Ästhetik nicht ohne Atmosphäre, dennoch: Rantrauen sollte sich wirklich nur Zuschauer mit Hang zur Selbstgeißelung.


„Hello World“

Als deutlich zu amerikanisch entpuppte sich der Anime „Hello World“ von Tomohiko Ito, in dem sich alles um den schüchternen Oberschüler Naomi im Jahr 2027 dreht, der eines Tages auf einen mysteriösen Mann trifft, der behauptet Naomis zehn Jahre älteres Ich zu sein. Der Zeitreisende will seine große Liebe Ruri retten, denn die wird in drei Monaten bei einem tödlichen Unfall ums Leben kommen und sein junges Ich soll ihn dabei retten. Was nicht uncharmant anfängt (sehr sympathisch, dass eine Lanze für das gute alte Buch gebrochen wird), wird mit zunehmender Laufzeit immer mehr vom Hollywood-Mechanismen gefressen: Noch ein Twist und noch ein Twist und noch ein Erklärung und noch ein Erklärung (konfus bleibt’s trotzdem) und natürlich immer mehr Action und Krawall. Beim Abspann bleibt nur eins zurück: Erschöpfung. Dann wirklich lieber noch mal „Kinta and Ginji“. Im Zweifelsfall besser neben der Kappe und langweilig als aalglatt und nervig.

Im Wesentlichen war’s das mit den Sci-Fi-Stoffen. Wer wollte konnte in der Reihe „Best of Nippon Connection“ noch Sion Sonos absolut sehenswerten „Whispering Star“ von 2015 genießen, da Sono aber einer der ganz wenigen japanischen Filmkünstler ist, der hierzulande einen gewissen Status genießt und die wunderschön gefilmten Schwarz-Weiß-Trip seit einigen Monaten bei uns auf VOD und Scheibe zu haben ist, geh ich mal davon aus, dass den alle Interessenten bereits kennen. Falls doch nicht: Gucken!


„Little Miss Period“

Doch der Laden soll nicht abgeschlossen werden, ohne noch kurz weitere Highlights außerhalb unseres Genres erwähnt zu haben. Wer einen gnadenlosen Tritt in den Magen will, sollte sich den dichtgewebten, aber viehisch brutalen Stalker-Thriller „Under Your Bed“ (Regie: Mari Asato) auf die Wunschliste setzen, dessen Hauptdarstellerin für ihren furchtlosen Einsatz hoffentlich eine mehr als üppige Gage bekommen hat. Beeindruckend, aber man kann stellenweise wirklich kaum noch hinschauen. Die Dokumentation „An Ant Strikes Back“ (Regie: Tokachi Tsuchiya) erzählt vom erfolgreichen Kampf eines jungen Mannes gegen eine skrupellose Ausbeuterfirma. Wird garantiert nie auf Tönnies‘ Watchlist landen. In „Little Miss Period“ (Regie: Shunsuke Shinada) ist die weibliche Periode ein herzförmiges Wesen mit dem Namen „Little Miss P“ und bringt mit ihren monatlichen Besuchen zusätzlichen Wirbel in das ohnehin schon stressige Leben der jungen Redakteurin Aoko. Ich kann Phrasen wie „So etwas kann nur aus Japan kommen!“ eigentlich nicht so leiden, aber so etwas kann wohl wirklich nur aus Japan kommen. Jedenfalls ziemlich drollig. Das Mobbing-Drama „Forgiven Children“ (Regie: Eisuke Naito) sorgte für Kontroversen, da Naito einfache Antworten auf schwierige Fragen komplett verweigert und auf ein Ende zusteuert, das mit amerikanischen oder deutschen Socialporn gefütterten Zuschauer wohl ziemlich quer liegen dürfte. In meinen Augen natürlich ein dickes Plus.

Drei Fleißbienchen gibt’s für den Umstand, dass man sich mittlerweile so einiges vom Begleitprogramm auf dem Youtube-Kanal der Nippon Connection angucken kann – ein Vorbeischauen lohnt sich definitiv!

Schön war’s jedenfalls! Doch Captain, bitte, bitte mach das Viech endlich platt!

Abb. ganz oben: „Beautiful Goodbye“

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