30. Oktober 2021 1 Likes

Süße Babys! Mörderische Kinder! Fiese Moskitos! Extrem rallige Zombies!

Science-Fiction auf dem Fantasy Filmfest 2021

Lesezeit: 7 min.

Das 35. Fantasy Filmfest wartete erneut mit einem kunterbunten Programm auf, das jedem etwas zu bieten hatte. Leider konnten aus Zeitgründen nicht alle sci-fi-relevanten Titel gesichtet werden, dafür wurden mit „The Sadness“ und „The Innocents“ zwei Jahreshighlights mitgenommen.

Die Filme im Einzelnen:

 


„Brain Freeze“

1. Brain Freeze (Kanada 2021)

Worum geht’s? Der Winter ist doch kein Grund, aufs Golfspielen zu verzichten! Zumindest nicht für die Reichen und Schön-Operierten, deren Protzvillen eine ganze Insel in Beschlag nehmen. Eine neue Chemikalie lässt den lästigen Schnee verdampfen und verleiht dem Rasen ein saftiges Grün. Neben dem Klima wandelt sich aber noch etwas: Wer dem Wunderdünger ausgesetzt ist, mutiert zum blutdurstigen Zombie. Die Isolation wird zur Todesfalle, denn der Festlandpöbel riegelt die rettende Brücke ab. Auch André sitzt fest und muss bald darauf sich und seine kleine Schwester vor der mutierten Bevölkerung in Sicherheit bringen …

Lohnt sich? Nein. Leider. Das eigens fürs Festival gedrehte Intro-Video von Regisseur Julien Knafo, in dem dieser seine Grußbotschaft an das Publikum per Google-Translate-Computerstimme übermittelte, war so witzig und charmant, dass die Vorfreude auf den Film wuchs. Doch: Die als Zombiekomödie angekündigte Produktion entpuppte sich nicht nur als überraschend ernst, sondern ebenso als ein Film, der unbedingt was aussagen will, aber leider nichts zu sagen hat, was nicht zuvor schon in zig Filmen Thema war. Wir wissen, dass Konzerne nichts Gutes auf der Welt bewirken, wir wissen, dass die Reichen alle verlottert sind, wir wissen, das Populisten nichts von Wissenschaft halten. Und man brauch’s uns echt nicht so überdeutlich noch mal um die Ohren hauen. Leider geht auch die Zombie-Action nicht über den Standard hinaus. In Erinnerung bleibt nur ein kleines, von zwei Babys gespieltes, Baby, das von Knafo auf wirklich zauberhafte, sehr süße Art und Weise in Szene gesetzt wurde.

 


„The Sadness“

2. The Sadness (Taiwan 2021)

Worum geht’s? In Taiwan breitet sich eine aggressive Mutation des neuartigen Alvin-Virus aus, doch das Land ist gespalten, wie es mit der Pandemie umgehen soll. Während die Regierung den Ernst der Lage herunterspielt, müssen die Menschen auf den Straßen um ihr Leben kämpfen, denn die Mutation sorgt für immer mehr sadistische, sexuell enthemmte Monster, die die Stadt in ein regelrechtes Blutbad verwandeln. Mord, Folter, Vergewaltigung und andere Gewaltexzesse nehmen eine verstörende Eigendynamik an. Inmitten des grausamen Gemetzels setzt der junge Junzhe alles daran, seine Freundin Kai Ting zu finden, die er am Morgen noch am anderen Ende Taipehs zu ihrer Arbeit gebracht hat. Auf der Suche nacheinander müssen sie bis zum Äußersten gehen, um eine Chance auf das Überleben zu haben.

Lohnt sich? Ich hab zwar erst etwas mit mir gerungen, aber: Ja, der ist schon sehenswert – vor allem im Kino auf angemessener Leinwand und aggressiver Soundbeschallung (leider wurde beim Screening entgegen dem Wunsch des Regisseurs leiser gedreht), denn es ist wirklich selten, dass ein Film dermaßen aus allen Rohren in den Zuschauerraum ballert. Klar, man kennt’s: In regelmäßigen Abständen taucht ein Film auf, der mal wieder heftig über die Stränge schlägt und dementsprechend, meist vor allem bei etwas jugendlicheren Zuschauern, jede Menge Aufmerksamkeit auf sich zieht – was wirklich erinnerungswürdiges ist da aber selten dabei. Ein kleines Kind, das mit Kacke um sich wirft, ist zwar widerlich, bleibt aber halt nur ein kleines Kind, so richtig ernst nimmt man’s nicht.

Auch das Debüt des in Taiwan lebenden Kanadiers Rob Jabbaz hofft stellenweise etwas zu offensichtlich auf Festivalhype (was glänzend geklappt hat), man muss „The Sadness“ aber zugestehen: Obwohl man sich sicherlich heftig drüber streiten kann, ob nun wirklich jeder obszöne Einfall nötig war, schafft Jabazz etwas, das dem mittlerweile zum keimfreien, aalglatten Mainstream verkommenen Zombiegenre völlig abhandengekommen ist: Er behauptet nicht nur, dass eine Welt zusammenbricht, er vermittelt – und das nicht zuletzt mit Hilfe der Exzessivität und Grenzenlosigkeit der gezeigten Gewalt – tatsächlich ein Gefühl dafür, wie es ist, wenn nichts mehr so ist, wie es zuvor war, wenn kein Baustein der Normalität mehr auf dem anderen bleibt, wenn die Menschheit in Richtung Abgrund schlittert. Als weiterer geschickter Schachzug erweist sich, dass die Apokalypse aus männlicher und weiblicher Sicht erzählt wird. Das Drehbuch macht dabei, ohne auf MeToo-Pädagogik zu setzen, keinen Hehl draus, dass es Männer einfacher haben. Seine bedauernswerte Heldin sieht sich fortwährend mit – dank dem Virus – nun völlig ungezügelter toxischer Maskulität konfrontiert und da „The Sadness“ anders als Genrekollegen nicht vor sexueller Gewalt zurückschreckt, wird es in diesen Passagen besonders ungemütlich. Leider geht dem wirklich unglaublich infernalischen Treiben im letzten Drittel etwas die Puste aus, was vor allem daran liegt, dass ein arg theatralischer gespielter Nebencharakter auftaucht, dem etwas zuviel Raum eingeräumt wird – hier werden Erklärungen nachgereicht, auf die man nicht unbedingt gewartet hat. Aber dennoch: War schon schön mal wieder einen Film zu sehen, der’s so richtig wissen will. Aber mal so richtig.

 


„The Innocents“

3. The Innocents (Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien 2021)

Worum geht’s? Die kleine Ida und ihre ältere Schwester Anna haben gemeinsam mit ihren Eltern einen Apartmentkomplex bezogen. Anna ist Autistin, und Ida muss daher früher Verantwortung übernehmen, als man es für ein Kind ihres Alters erwarten würde. Sie sehnt sich nach Kontakt zu Gleichaltrigen und lernt Ben kennen. Sie freunden sich an. Nachdem die beiden den Keller der Anlage erkundet haben, geschehen allerdings seltsame Dinge …

Lohnt sich? Aber so was von. Eskil Vogt (Drehbuchautor von „Thelma“) meinte in einer Grußbotschaft ans Publikum, dass er durch seine neue Rolle als Vater zu „The Innocents“ inspiriert wurde – man möchte beim Abspann wirklich nicht wissen, was der Mann mit seinem Nachwuchs bisher so alles erlebt hat. Holla, die Waldfee! Jedenfalls taucht die Mischung aus Horrorfilm, Drama und X-Men auf unheimlich einfühlsame Art tief in die Welt der von absolut superben Kinderdarstellern gespielten Protagonisten ein und schreckt dabei vor den weniger angenehmen Seiten nicht zurück, denn Kinder sind nun mal nicht nur putzig, sondern schmeißen auch schon mal im Treppenhaus Katzen vom obersten Stockwerk, einfach nur so, um zu sehen, was passiert. „The Innocents“ vermeidet aber genretypische Dämonisierungen. Es gibt hier keine klassischen Horrorfilm-Kinder, selbst Ben, der sich bald als Antagonist entpuppt, ist im Prinzip durchaus klar, was er anrichtet, allerdings mündet seine emotionale Unreife in immer grausamere Taten. Das Grauen ist hier durch und durch fest im Alltag verankert, was dem Geschehen Tiefenwirkung und Nachhall gibt. Die ruhig inszenierte Geschichte spielt in einer gewöhnlichen Sozialsiedlung, meist am hellichten Tag, nimmt sich viel Zeit und dreht sich gar nicht mal so sehr um die besonderen Fähigkeiten der Kinder, die weder groß thematisiert – es wird kein einziges Mal mit den Erwachsenen drüber gesprochen – und schon gar nicht erklärt werden. Was aber nachfühlbar ist, denn in dieser Welt, die da aufgefächert wird, haben wir schließlich alle mal gewohnt und hatten ganz selbstverständlich spezielle Fähigkeiten, von denen die Erwachsenen nichts wussten. Ein wunderbarer Kinderfilm für Erwachsene, der ab dem 28. April 2022 verdientermaßen bei uns im Kino zu sehen sein wird.

 


„Mosquito State“

4. Mosquito State (Polen/USA 2020)

Worum geht’s? Es ist Sommer 2007, und an der Wall Street ist man überzeugt, die Zukunft vorhersagen zu können. Daten sind die wertvollste Währung der Welt und Analysten, die sie möglichst gewinnbringend auswerten können, sind gefragt. Einer von ihnen ist Richard Boca, dessen von ihm entwickelter Algorithmus ihn reich gemacht hat. Seine fast obsessive Faszination für fliegende Insekten und insbesondere sein Studium des Verhaltens der Bienen hat ihn das Analysemodell „Honeybee“ entwickeln lassen, mit dem Entwicklungen auf den Finanzmärkten vorhergesagt werden können. Nach einem Traum beschließt er, ein neues analytisches Modell zu entwickeln, nach dem Vorbild von Mückenschwärmen anstelle von Bienen. Boca erkennt, dass die Wall Street in dieser außer Kontrolle geratenen Welt in eine Phase eingetreten ist, die den gesamten Markt destabilisieren könnte …

Lohnt sich? Leider nicht so wirklich. Ähnliches Problem wie bei „Brain Freeze“. „Mosquito State“ ist letztendlich eine Mischung aus Cronenbergs „Die Fliege“ (1986) und etwas arg schlichter Kapitalismuskritik (Mosquitos gleich Blutsauger gleich Wall Street), die sicherlich hervorragend gefilmt, gut getrickst und ganz gut gespielt ist, sich aber arg viel Mühe gibt, irgendwie relevant zu sein, dafür allerdings nicht das entsprechende Ass im Ärmel hat. Ich bin sicher, dass der Film des polnischen Regisseurs Filip Jan Rymsza ganz viele euphorische Kritiken bekommen hat und noch kriegen wird, die mit Begriffen wie „Körperkino“ um sich schmeißen, aber spätestens wenn „Der Leiermann“ aus Schuberts „Winterreise“ im Hintergrund läuft, ist da für mich der Ofen aus. Mit Filmen ist es da wie im echten Leben: Wer permanent betont, wie schlau er ist, scheut die Wahrheit.

Große Abb. ganz oben: The Innocents.

Vom 31.10. bis zum 07.11.2021 gastiert das Festival noch in Hamburg, Köln und München. Hartgesottene sollten sich unbedingt „The Sadness“ ansehen – denn der deutsche Verleih Capelight ist mit diesem Titel bereits durch die FSK gefallen. Man ist zwar in Revision gegangen, ich würde aber nicht drauf wetten, dass das die die Lage groß ändern wird beziehungsweise der geplante Kinostart nächstes Jahr tatsächlich realisiert werden kann.

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