29. Januar 2022

Weitaus mehr als „Schlachthof Fünf“

Stefan Pinternagels Buch zu Kurt Vonnegut Jr. bietet eine souveräne Werkübersicht

Lesezeit: 3 min.

Kurt Vonnegut Jr. hat es von Anfang an jedem schwer gemacht, ihn in gängige Schubladen zu stecken. Gewiss, zur Science-Fiction lassen sich nicht wenige seiner Arbeiten zählen, aber typische Genrevertreter werden sie dadurch noch lange nicht. Stattdessen pendelt Vonnegut beständig zwischen „heiterer Ironie und beklemmender Brutalität“ und hat ein Werk vorgelegt, dessen satirischer Antimilitarismus ihn zeitweise zu einer Kultfigur werden ließ. In Deutschland ist er mittlerweile halb vergessen und daher neu zu entdecken. Bereits 2005 wurde von Stefan T. Pinternagel (1965–2009) eine entsprechende Monographie vorgelegt, die jetzt – inhaltlich behutsam ergänzt und im Erscheinungsbild deutlich verbessert – neu erscheinen konnte.

Das vermutlich literarisch prägendste Ereignis in Vonneguts Leben war die Bombardierung Dresdens in der Nacht auf den 14. Februar 1945. Als Kind deutschstämmiger Eltern am 11. November 1922 in Indianapolis geboren, engagiert sich der US-Amerikaner zunächst bei der Schülerzeitung und studiert später Biochemie. Im Zweiten Weltkrieg meldet er sich freiwillig zur Armee, gelangt Ende 1944 nach Frankreich und gerät dort in deutsche Kriegsgefangenschaft; nach erfolgter Deportation wird er in Dresden interniert. Die Zerstörung der Stadt und die nachfolgenden Aufräumarbeiten werden Jahrzehnte später die Grundlagen zu seinem Welterfolg „Slaughterhouse-Five“ (1969; dt. „Schlachthof Fünf“) bilden. Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg: Nach Kriegsende heiratet Vonnegut, studiert – ohne Abschluss – Anthropologie und arbeitet schließlich im PR-Bereich bei General Electric.

Doch bereits 1949 versteht er sich primär als Schriftsteller, kann im Folgejahr seine erste SF-Erzählung verkaufen und lebt ab 1951 als freier Autor. 1952 erscheint die Dystopie „Player Piano“ (dt. „Das höllische System“), ein formal konventionell gehaltener Anerkennungserfolg: „Der Text glänzt bereits mit Sarkasmus und Witz, ist aber sprachlich noch nicht so ausgeprägt und pointiert“, wie Pinternagel anmerkt. Deutlich mehr Aufmerksamkeit erhält „The Sirens of Titan“ (1959; dt. „Die Sirenen des Titan“), eine satirische Raum-Zeit-Odyssee, bei der sich die Menschheitsgeschichte als Kniff entpuppt, um einem notgelandeten Wesen vom Planeten Trafalmadore die Heimkehr zu ermöglichen. Der Roman erhält 1960 eine Hugo-Nominierung. Diese Ehre wird auch „Cat’s Cradle“ (1963; dt. „Katzenwiege“) zuteil, einem weiteren Hauptwerk, bei dem Vonnegut endgültig zu der ihm eigenen Form findet: Kurze Kapitel, flüssige Schreibweise und eine Story, die sich als „Seitenhieb auf den Kalten Krieg, blinden Wissenschaftsfanatismus und Politik“ lesen lässt. Und: Das Buch „endet mit dem Untergang der Welt, so wie wir sie kennen“.

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Nach dem Erscheinen des Antikriegsromans „Slaughterhouse-Five“ wird Vonnegut, dem die Verfilmung 1972 durch George Roy Hill den Durchbruch bringt, zum „Sinnbild von schwarzem Humor und Pazifismus“ und zu einem viel diskutierten Autor der amerikanischen Gegenwartskultur. Dies führt sogar so weit, dass Philip José Farmer (im Shop) unter dem Namen der Vonnegut-Figur Kilgore Trout – einem SF-Lohnschreiber – den Roman „Venus on the Half-Shell“ (1975; dt. „Geburt der Venus“) veröffentlicht; angeblich als Ausdruck tiefer Bewunderung. Der solchermaßen Geehrte vermutet zwar primär finanzielle Interessen, bleibt aber gelassen. Vonnegut – dessen Leben immer wieder in schwierige Fahrwasser gerät und von Schicksalsschlägen überschattet wird – publiziert weiter Romane, Kurzgeschichten und Essays, bis er mit dem SF-Roman „Timequake“ (1997; dt. „Zeitbeben“) sein Werk abschließt. Am 11. April 2007 ist er in New York gestorben.

Pinternagels Buch kommt Pionierstatus zu und sollte in der Neuauflage eigentlich eine deutschsprachige Werkausgabe Vonneguts begleiten, die 2018 vom Golkonda Verlag angekündigt und dann fallengelassen wurde; was schade ist, da die Bücher des US-Amerikaners ebenso bemerkenswert wie durchgehend vergriffen sind. Die Monographie in der Reihe SF Personality könnte zwar in analytischer Hinsicht tiefschürfender sein, gibt aber einen souveränen Überblick zu Vonneguts Schaffen und gewichtet klug zwischen den relevanten und weniger bedeutsamen Schriften. Sie wird durch Ausführungen zu späten Veröffentlichungen (Christoph Hoffmann) und einer wie immer exakten Bibliographie (Joachim Körber) ergänzt.

Stefan T. Pinternagel: Kurt Vonnegut Jr. und die Science Fiction • SF Personality 17 • Memoranda • 200 Seiten • € 14,90 • E-Book € 7,99

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