25. November 2021

„Pankow ’95“ - Science-Fiction-Exzentrik aus alten Zeiten

Für Fans des ganz, ganz, gaaaaanz Besonderen

Lesezeit: 3 min.

Das Kölner Label Rapid Eye Movies war in der Vergangenheit sicherlich für so manch besonderes Filmerlebnis gut, aber einen Brocken wie „Pankow’95“ auszubuddeln und auch noch ins Kino zu bringen, nötigt eine extra große Portion Respekt ab. Der 1983 gedrehte zweite Film des Ungarn Gábor Altorjay dürfte höchstwahrscheinlich im Entstehungsjahr bereits für Stirnrunzeln gesorgt haben, wirkt 2021 aber nur noch wie aus einer Paralleldimension geplumpst.

Altorjays Science-Fiction-Extravaganz wirft einen Blick in die Zukunft, in diesem Fall nach 1995. Die Wiedervereinigung hat nie stattgefunden: Die BRD ist verarmt, sechs Millionen sind ohne Arbeit und versuchen irgendwie rauszukommen. Die DDR ist zu einem totalen Überwachungsstaat geworden, der Aufmüpfige in der Nervenklinik des Bezirkskrankenhauses Berlin-Pankow entsorgt, wo Dr. Frisch und seine beiden Pfleger Bethermann und Pieck sich um den Serotonin-Spiegel der Insassen und den „Bodenbelastungsanzeiger“ kümmern. Einer der Patienten heißt Johann Wolfgang Amadeus Zart (Udo Kier) und hat sich auf die Erforschung musikalischer Strömungen in der Jugendkultur spezialisiert. Doch Zart wurde ein Mord untergeschoben, um ihn loszuwerden. Seitdem dämmert er in seiner Zelle von einem Medikamentenrausch zum Nächsten vor sich hin, während Frisch versucht ihm eine psychische Störung einzureden. Weiterhin finden sich in der Klinik der selbsternannte „Frauenforscher“ Lajos und Angelo, Sohn eines entflohenen argentinischen Generals. Zu ihnen gesellt sich etwas später Armin (Tom Dokoupil), ein grün angelaufenes Ex-Retortenbaby, das eigentlich erst 13 Jahre alt ist, aber wie ein Erwachsener aussieht und schwangere Frauen anfällt. Allerdings kann er seinen Serotonin-Spiegel selbst kontrollieren und bringt deswegen Frischs System gehörig ins Wanken …

Auf zwei Zeitebenen schildert der Film die Erlebnisse in der Nervenklinik und die Flucht aus ihr – mit größtenteils wilden, überkandidelten Schauspiel, völlig wahnsinnigen Frisuren, Gesangseinlagen, greller Videoästhetik, Synthi-Musik und einem Schäferhund, der beim Sex zusieht. Erinnern tut das in seiner theaterhaftigkeit, seinem collagartigen Aufbau und der ruppigen Ästhetik etwas an die frühen Werke von Christopher Schlingensief, aber ohne dessen scharfen, provokativen Witz und rebellischer Haltung. Obwohl „Pankow ‚95“ gegen Totalitarismus gerichtet und durch und durch vom Geist der Veränderung, des Aufbruchs durchzogen ist (auf einer Mauer verkündet ein Graffiti: „30 Jahre Mauer — Wir werden langsam sauer“), den Blick nach vorne gerichtet hat, kommt dass bunte Treiben insgesamt etwas zu selbstgefällig daher, meist gibt’s einfach Irrsinns um des Irrsinns willen. Was aber auch eine Antwort auf die vorherrschende Tendenzen im deutschen Film zu dieser Zeit sein gewesen könnte, es ist zumindest nicht uninteressant, dass im gleichen Jahr mit „Sunshine Raggae auf Ibiza“ Karls Dalls anarchistischer Protest-Humor leinwandtauglich gemacht wurde. Wer weiß.

Jederfalls: Mit zunehmender Laufzeit anstrengend werdende Kost, aber allein schon aufgrund der Besetzung faszinierend, bei der besonders einer für ungläubig geweitete Augen sorgen wird: Nicht allzu viele dürften Dieter Thomas Heck, die einstige Allzweck-Moderatorenmaschine des ZDF, je als sinistren Irrenhaus-Aufseher mit mittelgescheitelter Pomadenfrisur und Pelzkragen erlebt haben.

„Pankow ’95” läuft ab dem 25.11.2021 im Kino (in vielen Kinos im Doppel mit Altorjays ersten Film „Tscherwonez“)

Pankow ’95 (Deutschland 1983) • Regie: Gábor Altorjay • Darsteller: Udo Kier, Christine Kaufmann, Dieter Thomas Heck, Tom Dokoupil, Angelo Galizia, Rene Durand, Magdalena Montezuma

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.