2. April 2022

„Apollo 10 ½ - Eine Kindheit im Weltraumzeitalter

Der neue Film von Richard Linklater („A Scanner Darkly“) auf Netflix

Lesezeit: 3 min.

Den amerikanischen Filmemacher Richard Linklater kennt man für die „Before“-Trilogie (jüngst in „Rabbits“ (im Shop) immer mal wieder einbezogen), „School of Rock“ und „Bernadette“, und natürlich die eher experimentellen Animationsfilme „Waking Life“ und „Scanner Darkly“, letzteres sogar die Adaption eines Romans von Philip K. Dick (im Shop). Auf Netflix steht seit 1. April Linklaters neuer Film „Apollo 10 ½ – Eine Kindheit im Weltraumzeitalter“ online, und ja, der 1960 geborene US-Regisseur hat es wieder getan: Einen digitalen Film mit viel Computertechnik und flächigen Animationen erschaffen, und dazu selbst die realen, hauptsächlich vor Green Screen eingefangene Schauspielleistungen von Neuling Milo Coy, Glen Powell („Hidden Figures“), Zach Levi („Shazam!“) und Lee Eddy („Cruel Summer“) nachträglich zu einem Teil des animierten Looks gemacht.

Die Geschichte des technisch also wieder ordentlich trickreichen Streifens behandelt die 1960er und das Raumfahrt-Fieber in dieser sehr speziellen Phase der amerikanischen Gesellschaft – eine Zeit, als die Menschen in den USA trotz Vietnamkrieg glaubten, alles sei möglich, und die meiste Science-Fiction würde bald wahr werden. Dummerweise haben die Genies bei der NASA, Hauptverantwortliche im Wettrennen zum Mond, die Mondfähre etwas zu klein gebaut, und jetzt muss für den finalen Test ein Kind vor der „richtigen“ Apollo 11-Mission insgeheim auf den Erdtrabanten geschickt werden, um das teure Gerät zu testen. Die Wahl fällt auf den jungen Stan, der mit seiner großen, typisch amerikanischen Familie in der raketenverrückten Vorstadt von Houston lebt. Während alle denken, Stan sei im Sommercamp, kriegt er einen Astronauten-Crashkurs und fliegt vor Buzz Aldrin und Co. zum Mond.

Der Film beginnt mit einer kurzen Szene auf dem Schulhof, und dann wird der zehnjährige Stan auch schon von zwei NASA-Angestellten rekrutiert, und das Training beginnt – und man freut sich darüber, wie flott „Apollo 10 ½“ loslegt, und was das wohl für ein Spaß wird. Aber dann, unser junger Astronaut in Ausbildung sitzt gerade kübelnd im Simulator, wird doch zurückgerudert, und es gibt eine episodische Dreiviertelstunde über das Leben in der texanischen Retorten-Vorstadt Ende der 1960er. Treffsicher, nicht ohne Charme oder Witz, augenzwinkernd-kritisch und mit re-animiertem Original-Material aus dem TV, u. a. einem Auftritt von Arthur C. Clarke (im Shop). Dieser Doku-artige Einschub, der wie der Rest des Films von Stans erwachsener Erzählstimme (im Original Jack Black) begleitet wird, dauert jedoch satte 45 Minuten und nimmt damit immerhin fast die Hälfte der gesamten Laufzeit in Anspruch. Ein überzogener, dramaturgisch auch noch wenig einfallsreicher Dump an Nostalgie und Atmosphäre, der Stimmung und Spannung ziemlich killt. Gerade weil genügend andere Werke gezeigt haben und immer wieder zeigen, dass man das unterhaltsamer lösen, besser in eine packende Geschichte integrieren kann. Ungefähr zur Halbzeit geht es mit dem Astronauten-Training weiter. Nur kurz, denn Stans Ausbildung sowie die Mondfahrten von Apollo 10 ½ und 11 rücken wieder lediglich für ein paar Minuten in den Vordergrund, bevor es mit dem episodischen Kaleidoskop des suburbanen Familienlebens der Apollo-Jahre weitergeht, als Krieg und Weltraum Alltag wurden.

Über Sinn und Zweck des „Übermalens und Animierens“ kann man sicher streiten, die aufwendig erzeugte Ästhetik der Linklater-Trickfilme hat aber ihren Reiz und auf SF-Fans schon vor Jahren bei „Scanner Darkly“ Eindruck gemacht. Die Dramaturgie von „Apollo 10 ½“ begeistert weit weniger– der Prämisse einer spaßigen Alternate History der Raumfahrt steht das Bestreben gegenüber, dem Lebensgefühl und Zeitgeist der amerikanischen 1960er ein Denkmal zu setzen und eine bunte Nostalgie-Rakete zu zünden. Dagegen gibt es prinzipiell nichts einzuwenden, und auf dieser Mission haben Linklater und „Apollo 10 ½“ durchaus Erfolg. Ein wirklich unterhaltsamer, mit seiner Story und seinen Figuren überzeugender Film sieht allerdings anders aus. Und am Ende wird die eh schon vernachlässigte tolle Ausgangsidee auch noch an eine Pointe verfüttert …

Apollo 10 ½ – Eine Kindheit im Weltraumzeitalter • USA, 2022 • 98 Min. • Regie & Drehbuch: Richard Linklater • Cast: Milo Coy, Zach Levi, Glen Powell, Lee Eddy, Bill Wise

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.