Mit der Draisine in die Zone
Auf dem Weg zu „Stalker“: „Die Wunschmaschine“ von Arkadi und Boris Strugatzki
Drei Männer, die sich in eine verbotene Zone begeben, um dort unter Lebensgefahr zu einem Ort zu gelangen, der die Erfüllung geheimer Wünsche verspricht – wem dieses Szenario bekannt vorkommt, hat entweder den legendären SF-Film „Stalker“ (1979) von Andrei Tarkowski gesehen oder kennt mit „Picknick am Wegesrand“ die literarische Vorlage der Gebrüder Strugatzki. Doch es war ein weiter Weg, den Roman in ein Drehbuch zu verwandeln – viele Elemente mussten verdichtet und so umgestaltet werden, dass der Regisseur daraus ein eigenständiges Werk formen konnte. Von den Strugatzkis kam dabei jede Unterstützung. Eine der Zwischenstufen wurde nun der aktuellen Neuübersetzung (im Shop) des Romans anbei gegeben: „Die Wunschmaschine“.
„Links vom Bahndamm erstreckt sich bis zum Horizont eine hügelige Ebene, leblos, in grünliches Zwielicht gehüllt. Über dem Horizont flammt ein schauriges Feuer in reiner grüner Spektralfarbe auf: Es ist die Morgendämmerung der Zone, unmenschlich, nicht von dieser Welt.“ – Ein Mann namens Viktor führt einen Wissenschaftler und einen Schriftsteller in ein Gebiet, in dem rätselhafte und nicht selten todbringende außerirdische Artefakte existieren. Das Vordringen ist gefährlich, lauern doch Dinge wie Zeitschleifen und Gravitationsfallen auf unvorsichtige Besucher. Das illegale Vordringen hat zudem nichts mit Forschung zu tun, sondern dient einem konkreten Zweck – dem Auffinden des „Goldenen Kreises“, einem Ort, der wie eine Wunschmaschine funktionieren soll. Der Schriftsteller hofft auf Inspiration, der Wissenschaftler lässt sich zunächst nicht in die Karten schauen. Tiefer und tiefer gerät die Gruppe in die Zone, bedroht von immer neuen Gefahren. Viktor folgt dabei einer Skizze, die von Aasgeier stammt, einem außerordentlich gerissenen, aber auch rücksichtslosen Stalker, der den „Goldenen Kreis“ erreichen konnte. Allerdings hat er sich kurz darauf erhängt. Falls ihm ein Wunsch erfüllt wurde – war es dann vielleicht der falsche?
„Tarkowskis Stalker ist keine Verfilmung des Romans, sondern vielmehr ‚nach Motiven‘ desselben entstanden“, so Elisabeth Bösl und David Drevs in ihrem kenntnisreichen Nachwort. Demnach ließ sich der Regisseur keineswegs Drehbücher, sondern immer neue Variationen in Erzählform vorlegen, die er stets überarbeitete und mit Anmerkungen ergänzte. Die nun veröffentlichte und von Drevs übersetzte Version gilt als die früheste davon. Sie bezieht sich in erster Linie auf das letzte Kapitel des Romans und wirkt in ihrer Darstellung bereits recht filmisch; dazu kommen Elemente, die aus der Adaption bekannt sind – wie etwa die Draisine, mit der der Stalker und seine zwei Kunden in die Zone aufbrechen. Aus der märchenhaften „Goldenen Kugel“ der Vorlage ist hier ein „Goldener Kreis“ geworden, was Tarkowski noch nicht zufriedengestellt hat; wichtiger ist allerdings die Idee, den gesuchten Sehnsuchtsort zu zerstören. Die Bombenexplosion, die die Geschichte abschließt, hat es zwar nicht in den Film geschafft, doch das Motiv an sich wurde übernommen.
Die Wunschmaschine – der SF-Almanach Polaris 10 (1986) enthält eine weitere Fassung – ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem einzigartigen Film, in dem man eine „Reise zum eigenen Selbst“ (Bösl/Drevs) erkennen kann. Dabei macht die Erzählung transparent, wie sich der Stoff in der Bearbeitung gewandelt hat und welche Rolle nicht nur der Stalker, sondern auch das Motiv des außerirdischen Relikts spielt. Hier wäre Rogue Moon (1960, dt. Projekt Luna) von Algis Budrys (im Shop) ebenso zu nennen wie die Gateway-Trilogie (1977–84) (im Shop) von Frederik Pohl – und selbstverständlich Kubricks Meisterwerk 2001 (1968). Es ist das unaufgelöste Rätsel, das nachhallt, und nicht das aufgedeckte Geheimnis.
Arkadi und Boris Strugatzki: Stalker • Roman • Aus dem Russischen von M. David Drevs • Heyne Verlag, München 2021 • 400 Seiten • Erhältlich als Paperback und E-Book • Preis des Paperbacks: 12,99 € (im Shop)
Kommentare