9. Juli 2022 2 Likes

„Ambient Trip Commander“ – Animationsfilmdroge mit maximaler Wirkung

Grandioses Regie-Debüt von Legowelt

Lesezeit: 4 min.

Der niederländische Musiker Danny Wolfers hat seit seinem 2000 erschienen Debüt „Pimpshifter“ nicht nur eine unüberblickbare Flut an verschiedenartiger elektronischer Musik veröffentlicht, sondern sich als absoluter Allrounder entpuppt, der nicht nur Musik fabriziert, sondern auf der ganzen Welt Konzerte gibt, eine eigene Radioshow betreibt, Plug-Ins für Musikprogramme schreibt, C-64-Spiele programmiert, ein eigenes, überaus empfehlenswertes Underground Cyberzine rausgibt und sich als Zeichner und Maler betätigt.

Aber Wolfers ist nicht nur einfach ein Hans Dampf in allen Gassen, sondern – und das ist das Entscheidende – ein Vollblutkünstler, der alles, was er macht, so macht, wie nur er es macht, weshalb in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur ein extrem umfangreiches Gesamtwerk sondern ein kleiner Mikrokosmos entstanden ist, der fühlbar von seinem künstlerischem Geist zusammengehalten wird. Das äußert sich zum Beispiel in Wolfers Vorliebe für alte elektronische Musikinstrumente, die seiner Musik einen ganz bestimmten Sound verleihen. Oder seiner Zuneigung zu alten Homecomputern, er programmiert nicht nur, sondern veröffentlich auch schon mal 8-Bit-Soundtracks zu imaginären Spielen. Oder seinem schrulligen Humor, der sich unter anderem in der Wahl seiner Pseudonyme äußert. Als Legowelt ist Wolfers mit Abstand am Bekanntesten, aber er hat genauso Platten unter Namen wie Franz Falckenhaus, Klaus Weltman, Saab Knutson, The Psychic Stewardess oder Calimex Mental Implant Corp. veröffentlicht. Namen, die er teilweise als eigenständige fiktive Figuren behandelt und mit kleinen Hintergrundstories ausstattet. So erfuhr man zum Beispiel 2004 anhand eines angeblichen Esquire-Berichts, dass es sich bei Klaus Weltman um einen Büchereibetreiber auf der (fiktiven) skandinavischen Insel Fjalmorfeld handelt, der mittels der Musik auf seinem „Cultus Island“-Album versucht hatte, ein norwegisches Seemonster zu fangen – geschrieben wurde der Bericht von Franz Falckenhaus!

Sehr drollig so mancher Songtitel – auf der neuen Platte (dieses Mal unter den Namen Polarius) finden sich Knaller wie „I met my Boyfriend at a Plague Rave“ oder „I shat my Yoga Pants“. Bemerkenswert sind zudem seine Gemälde, die man häufig als Plattencover bestaunen kann: Teilweise erinnern die in hellen, freundlichen Farben gemalten Bilder ein wenig an Kinderbuchillustrationen, motivisch pendelt Wolfers zwischen Alltagssituationen und Fantastik, wobei vor allem dank dem häufigen Verzicht auf Gesichter auch die konventionellen Motive einen gewissen außerweltlichen oder zumindest traumähnlichen Touch haben. Seine bildende Kunst ist zudem unterschwellig oft ein wenig von leichter Melancholie und Verlorenheit durchzogen.

Da ihn seine bisherigen Tätigkeitsfelder offenbar immer noch nicht auszulasten scheinen, hat Wolfers jetzt noch einen – komplett in Eigenregie erstellten – Animationsfilm fertig gestellt. Das im Stil seiner Gemälde gehaltene Mystery-/Sci-Fi-Abenteuer „Ambient Trip Commander“ erzählt von einer jungen Frau namens Samantha Tapferstern, deren Leben in einer mittelgroßen europäischen Stadt reichlich fade ist. Tagsüber arbeitet sie in einem Synthesizer-Laden, abends zockt sie Rollenspiele. Doch eines Abends trudelt die rätselhafte eMail einer Hackergruppe ein, die die Frau nach Lonetal, einem tief in den Schweizer Alpen gelegenem Dorf, einlädt. Tapferstern macht sie auf den Weg und merkt schon bald, dass nicht alles so ganz mit rechten Dingen zugeht.

Der nahezu dialogfreie Film, auf der Tonspur gibt’s fast ausschließlich einen grandiosen Soundtrack zu hören, der teils in die Richtung Ambient geht, teil experimentell daherkommt, ist durch und durch geprägt von seinem Macher. Die Figuren haben keine Gesichter, die Heldin heißt Tapferstern mit Nachnamen, der Bahnhof, von dem sie abfährt, Rätselbach und auf der Speisekarte im Zug gibt es Gerichte wie Zwiebelherrencremewürstchen und Wurzelbaumenschnitzel. Es tauchen verschiedene Synthesizer auf, das Mobiltelefon der Protagonistin ist von Commodore, es spielen allerlei, erfundene, Retro-Computermodelle eine Rolle, es werden 8-Bit-Videospiele gespielt und da ist auch wieder diese außerweltliche, traumähnliche, leicht melancholische-verlorene Atmosphäre, die hier zusätzlich Schlenker in leicht an Lovecraft erinnernde Horrorgefilde macht.

Es gibt zwar einen ungefähren roten Handlungsfaden, allerdings muss man sich diesem unterwerfen, denn Tapferstein fährt, was die düstere und zudem in leicht verschwommenen Bildern umgesetzte Bahnfahrt deutlich macht, an einen Ort, der nach einer eigenen Logik funktioniert – zudem wird das Geschehen immer mal wieder von Traumsequenzen der Protagonistin unterbrochen. Konventionell ist hier nur, dass am Ende mal wieder die Apokalypse ansteht, allerdings auf eine ganz eigene Art.

„Ambient Trip Commander“ ist – dem Titel gemäß – weitaus mehr Trip als maßgeschneiderte Unterhaltung, für Werke wie dieses wurde das schöne Wort „psychedelisch“ erfunden, es ist ein Film für Menschen, die mit offenen Arme auf das Unbekannte zugehen, sich als Zuschauer selbst vergessen können und diese werden von Wolfers reich belohnt.

Das Juwel ist vorerst nur für den Einsatz im Rahmen von Konzerten gedacht: Während dem Screening wird Wolfers live den Soundtrack live spielen, Improvisationen inklusive. Termine werden auf der Homepage (die sich übrigens generell lohnt, es gibt wirklich MASSIG zu entdecken) und den unsozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram) bekannt gegeben. Ob eine Homevideo-Edition erscheinen wird, steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den Sternen. Man kann es nur hoffen.

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