2. August 2022 1 Likes

„Das Humboldt-Tier“ von Flix

Ein deutsches Comic-Abenteuer mit dem Marsupilami im Berlin der 1930er

Lesezeit: 4 min.

Bereits 2018 widmete sich der preisgekrönte Berliner Comic-Künstler Flix („Schöne Töchter“, „Faust“, „held“) den klassischen frankobelgischen Helden Spirou und Fantasio in einem Hommage-Album, das die beiden Ikonen des europäischen Comics ins geteilte Berlin und die DDR führte. Flix’ neues Werk über eine internationale Legende des grafischen Erzählens hat den Titel „Das Humboldt-Tier“ und dreht sich um das Marsupilami, das pelzige leoparden-gemusterte Urwald-Geschöpf mit der Huba!-Catchphrase und dem langen Schwanz, mittels dessen es greift, sich fortbewegt, klettert, springt und kämpft. Das energiegeladene, flinke Marsupilami wurde 1952 in der Geschichte „Eine aufregende Erbschaft“ von Comic-Gott André Franquin in Spirous Abenteuer eingeführt. In den 70 Jahren, die seitdem vergangen sind, sah es viele Gastauftritte in den Panel-Reihen des Pagen, diverse eigene Comics für Jung und Alt, einen Live-Action-Spielfilm, eine Zeichentrickserie, ein Videogame, jede Menge Merchandise und selbst mehrere dem Wundertier gewidmete Sachbücher. 2020 präsentierte man sogar das Konzept für Houba World, einen Vergnügungspark ganz im Zeichen des Marsupilami.

In Flix’ Comic-Neuinterpretation wird das gelbe Dschungel-Fabeltier 1801 vom preußischen Forscher Alexander von Humboldt zwischen Paraguay und Kolumbien – also in Palumbien, logisch – entdeckt. Es gelangt als Teil von Humboldts Expeditions-Schatz nach Europa, wo es 1931 dank Mumien-Magie im winterlichen Berlin plötzlich wieder zum Leben erwacht. In der Hauptstadt schließt das Marsupilami Freundschaft mit der jungen Mimmi. Sie und ihre alleinerziehende Mutter haben es zwischen strengen Hausverwaltern, tratschenden Nachbarinnen und hohen Kohlepreisen nicht leicht. Mimmi kann einen tierischen Freund allemal gebrauchen. Gemeinsam toben das aufgeweckte Mädchen und das von einem höheren Gerechtigkeitssinn geleitete Marsupilami durch die zauberhaft-verschneite Stadt, stellen sie sich so einigen fiesen Mitmenschen und müssen sie dafür sorgen, dass das exotische Wesen aus Palumbien seiner Vaterrolle nachkommen kann …

Ob Humboldts sehr reale Expedition in den vor Leben sprühenden Urwald (von der so viele Dinge aus Südamerika über Paris nach Berlin gelangten, dass es heißt, noch heute seien nicht alle erfasst), das schneebedeckte vorweihnachtliche Berlin der frühen 1930er oder ein sündiger Hauptstadt-Nachtclub jener Ära: Flix’ gezeichnete Kulissen ziehen einen beim Lesen mühelos in die Geschichte – und die Geschichte. Die hat Flix in seinem markanten, auf den ersten Blick zu identifizierenden Stil und mit großem Verständnis des Comic-Handwerks verwirklicht. In jedem Panel gibt es außerdem liebenswerte Details zu entdecken, manchmal auch beiläufige Bild-Gags mit dem Schweif des sturen Marsupilami – in einigen dieser Szenen entfesselt Flix die „anarchistische Herzlichkeit“ des Marsupilami, die er laut eigener Aussage besonders an der Figur schätzt. Am Rande treten in Flix’ Geschichte zudem Spirou, Vater und Sohn aus den gleichnamigen Storys von E.O. Plauen und Naomi Fearns Hasen als Gäste bzw. Easter Eggs auf. Ein bisschen besser versteckt sind die Anspielungen auf Marlene Dietrichs Lied „Unter der Laterne“, „Maus“-Zeichner Art Spiegelman oder das Cover zum ersten „Emil und die Detektive“-Buch von Erich Kästner.

Apropos „Maus“: Adolf Hitler kommt ebenfalls zu einem Cameo, wobei der Aufstieg der Nazis zur Zeit der Weimarer Republik ohnehin an mehreren Stellen im Hintergrund zu spüren und zu sehen ist. Für Dupuis, den Heimatverlag des Marsupilami, war das kein Problem, wie Flix erzählt. „Man mochte den Ansatz, dass ich die Figur ‚historisieren’, sprich in die reale Welt hereinholen wollte“, sagt der Wahlberliner, der 1976 in Münster geboren wurde. Mit seiner „Historisierung“ sorgt Flix dafür, dass sein perfekter Marsupilami-Comic als ein richtiger All-Age-Knüller daherkommt, der zwischen Funny und History mehrere Leseweisen und Ebenen bedient. Die junge Protagonistin Mimmi macht mit ihrer forschen, klugen und einnehmenden Art unterdessen permanent Josi aus Flix’ „Glückskind“-Strips Konkurrenz, was den Charme angeht, und ist eine rundherum tolle Gefährtin für das Marsupilami im Berlin der 1930er. Man merkt seit Jahren, dass Flix sich von seinem eigenen Familienleben leiten lässt. Und während Zidrou und Frank Pé in ihrer starken Marsupilami-Hommage „Die Bestie“ zwei gut doppelt so lange Comics brauchen werden und der Abschlussband noch aussteht, zeigt Flix, dass es auch komprimiert, knackig und perfekt in einem Einzelband mit 72 Seiten hinzukriegen ist.

Dabei wirkt der erfolgreiche deutsche Autor und Zeichner in seinem eigenständigen Marsupilami-Abenteuer in Berlin, das von Langzeit-Fans und Gelegenheits-Lesenden goutiert werden kann, auf jeder Seite echte Comic-Magie. Das begeistert und wird Franquins Schöpfung jederzeit gerecht – und bietet doch stets weit mehr als bloß einen Tribut an das populäre Wundertier des europäischen Comics. Flix’ Marsupilami-Album gehört dieses Jahr zu den absoluten Highlights, die man nicht verpassen darf. Ende Oktober erscheint übrigens noch eine limitierte Deluxe-Ausgabe.

Abb.: © Flix/Dupuis/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022

Flix: Das Humboldt-Tier. Ein Marsupilami-Abenteuer • Carlsen, Hamburg 2022 • 72 Seiten • Hardcover: 16 Euro

 

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