„Missing“ - Siri kann Leben retten
Ein cleverer Thriller über soziale Medien und ein Leben an und mit Monitoren
Immer mehr Zeit verbringen wir Online, vor Monitoren, mit sozialen Medien, in den schier unbegrenzten Welten des Internets. Kein Wunder also, dass Filmemacher schon vor Jahren auf die Idee gekommen sind, Geschichten zu erzählen, die dieses Verhalten spiegeln, vor allem visuell. Als Desktopfilme wurde dieses Mini-Genre bezeichnet, mit „Searching“ hatte Aneesh Chaganty vor ein paar Jahren einen der besten Filme seiner Art gedreht, der nur das zeigte, was auf einem Monitor zu sehen war.
„Missing“, zu dem Chaganty die Story lieferte, während Nicholas D. Johnson und Will Merrick Regie führten, beginnt nun mit einem cleveren Verweis zu „Searching“ variiert dann die Geschichte, ohne sich allzu sklavisch an sein Desktop-Konzept zu halten. War es in „Searching“ ein Vater, der seine Tochter sucht, ist es in „Missing“ eine Tochter, die ihrer Mutter nachspürt.
June (Storm Reid) ist 18 und hat seit dem frühen Tod ihres Vaters James (Tim Griffin) ein gespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter Grace (Nia Long). Die hat nach Jahren wieder einen neuen Partner namens Kevin (Ken Leung), mit dem sie sich nun auf eine Reise nach Kolumbien begibt. Mehr als widerwillig steht June eine Woche später am Flughafen, um ihre Mutter abzuholen – doch sie wartet vergeblich.
Die Telefonnummer des Hotels in Kolumbien herauszufinden fällt leicht, dank Google Translate klappt auch die Kommunikation mit dem nur Spanisch sprechenden Angestellten leidlich gut, doch dies sind nur die ersten Hürden auf der Suche nach der Mutter. Via einer kolumbianischen Version von Craigslist gerät sie an Javi (Joaquim de Almeida), der sie vor Ort unterstützt, auch Webcams der lokalen Touristenhotspots liefern wertvolle Hinweise, doch erst als sie es schafft, in das Onlinekonto von Kevin einzudringen, kommt June langsam an eine heiße Spur.
Eine clevere, verwickelte Geschichte erzählt „Missing“, der auch funktionieren würde, wenn er auf konventionelle Weise erzählt wäre. Doch in Form des Desktopfilms bekommt er zusätzliches Gewicht. Ja, manches Mal muten Junes Fähigkeiten, sich in Windeseile durch das Netz zu bewegen, Passwörter zu erahnen, auf die richtige Fährte zu kommen, fast übernatürlich an. Im Kern jedoch bleibt alles nachvollziehbar und logisch, denn wer kennt das nicht, dass man ein scheinbar besonders originelles und vorgeblich bombensicheres Passwort nicht nur für eine, sondern gleich zwei oder drei Konten benutzt, auch wenn man weiß, dass man genau das nicht tun sollte. Und wie viele Spuren man Online hinterlässt, seien es Bewegunsprofile bei Google Maps, die berufliche Laufbahn bei Facebook, die Geschichte der Suchanfragen bei Google und und und, das weiß man oft, ändert aber dennoch nichts an seinem Onlineverhalten.
Wie schwer es ist, keine Spuren zu hinterlassen, wie fast unmöglich, einen Neuanfang zu starten, keine Online-Geschichte zu haben, auch davon erzählt „Missing“ unter einer rasanten Oberfläche. Erstaunlich gut funktioniert die Geschichte, obwohl sie konsequent nur Monitore zeigt, nur das, was in Facetime-Fenstern, Überwachungskameras aller Art, Benutzeroberflächen jeglicher Couleur. Nur konsequent also, dass es am Ende tatsächlich Apples Siri ist, die für Rettung sorgt.
Missing • USA 2023 • Regie: Nicholas D. Johnson & Will Merrick • Darsteller: Storm Reid, Nia Long, Ken Leung, Tim Griffin, Joaquim de Almeid • Abb. Sony Pictures Germany • ab 23.2. im Kino
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