9. Dezember 2023

„Second Coming: Die Wiederkunft“ von Mark Russell & Richard Pace

Ein Skandal-Comic mit Jesus als Mitbewohner eines Superhelden

Lesezeit: 4 min.

Anno 2013 inszenierte US-Autor Mark Russell zusammen mit dem Cartoonisten Shannon Wheeler die Bibel-Neuerzählung „God Is Disappointed in You“, der sie auch ein ähnlich tickendes Sequel folgen ließen. Seitdem hat sich Russell als Comic-Autor bei diversen US-Verlagen einen Namen gemacht, der alle möglichen Ikonen auf satirische bis subversive, allerdings stets substanzvolle und smarte Weise zu interpretieren vermag – seien es die Familie Feuerstein, Harley Quinn, Snagglepuss, Batman, Power Girl, Red Sonja, Hawkeye oder der Lone Ranger.

Darüber hinaus setzte Russell vor Kurzem den Science-Fiction-Klassiker „Der Incal“ von Jodorowsky und Moebius fort. Im Bereich unabhängiger Comics schuf er indessen eigene Science-Fiction-Comics wie „Not All Robots“ oder „Traveling To Mars“. Außerdem hat der umtriebige Mr. Russell mit dem Zeichner Richard Pace die Panel-Serie „Second Coming: Die Wiederkunft“ umgesetzt, in der sie den gutmütigen Jesus Christus im Hier und Jetzt als WG-Genossen und Weggefährten an die Seite eines klassischen Superhelden stellen, der einige Probleme hat.

Probleme gab es auch mit der Veröffentlichung von „Second Coming“. Im amerikanischen Original sollte der Titel eigentlich als einer der letzten großen, aufsehenerregenden Titel von DC Comics’ legendärem Vertigo-Imprint an den Start gehen, sich also zwischen Meilensteinen wie „Sandman“ und „Preacher“ einreihen im Idealfall. Aufsehen gab es auch zu genüge, wenngleich anders als geplant. Denn nach der ersten Ankündigung im Sommer 2018 machten christliche und konservative Medien in den USA so viel Druck, dass „Second Coming“ letztlich nicht beim Heimatverlag von Superman, Wonder Woman, Batman und Co. erscheinen sollte. Russell und Pace bekamen ihre Rechte zurück, und der kleinere US-Publisher Ahoy Comics nahm sich des Skandals, des Presserummels und des Comics an und brachte „Second Coming“ schließlich heraus. Beim Dantes Verlag ist jetzt der erste Sammelband auf Deutsch herausgekommen.

Zum Auftakt von „Second Coming: Die Wiederkunft“ bittet Gott den von einem andern Planeten stammenden, mit einer menschlichen Reporterin liierten Superhelden Sunstar, den gutherzigen Jesus unter seine Fittiche zu nehmen, damit der sanfte Bursche etwas härter wird. Doch das läuft natürlich anders, als Gott und Sunstar es erwarten, wobei Heilsbringer und Held ideologisch ein kontrastreiches Duo mit interessanter Chemie abgeben, während in erster Linie der kostümierte „Supermann“ scheitert (z. B. beim Kinderkriegen und auch dem einen oder anderen Heldeneinsatz), und Satan sich mit Gott in einem Berliner Café trifft und gegen die göttliche Familie intrigiert …

„Second Coming“ hätte definitiv zu Vertigo gepasst – aber wahrscheinlich eher in die furchtlosen 1990er oder die starken 2000er des Labels. Sei’s drum. Mark Russell nutzt die „blasphemische Prämisse“ seiner Bildergeschichte wie zu erwarten für bissigen Witz und einige freche Gags, nicht zuletzt auf Kosten des Zeitgeistes oder von Superman (und womöglich war es ja sogar ein Vorteil, dass DC nicht involviert war und somit nicht auf die Superbremse treten konnte; Russell hat mit Künstler Mike Allred zwischenzeitlich übrigens den Comic „Superman: Space Age“ realisiert). Und klar, in diesem Band ist obendrein allerhand religiöse Satire enthalten, wann immer z. B. der genervte, eher nachlässige Gott auftaucht, es in den Fastfood-Bereich des Himmels geht oder die Bibel ‚adaptiert’ wird.

Zeichner Richard Pace, getuscht von Kollege Leonard Kirk, nutzt für die kriselnde Gegenwart und die biblischen Flashbacks, unterschiedliche Striche, was an sich gut funktioniert. Hin und wieder ist Pace’ Artwork aber etwas zu nachlässig und untertourig. Dennoch dürfte „Second Coming“ das wichtigste Werk in Pace’ Portfolio sein, der in den 1990ern Dale Keown als Autor an „Pitt“ unterstützte, Mike Mignolas Lovecraft-Hommage „Batman: Schatten über Gotham“ mitverfasste und für Marvel vor einem Vierteljahrhundert ein paar Hefte über die New Warriors oder Wolverine zeichnete.

Trotz ein paar Abstrichen beim Artwork macht „Second Coming: Die Wiederkunft“, mit einem Vorwort von Patton Oswalt und einem Anhang von Übersetzer Jens R. Nielsen versehen, viel richtig. Vor allem, weil Mark Russell das tut, was er am Besten kann, sowie es um Ikonen aller Art geht – und um guten Humor im Verbund mit Gesellschaftskritik. Überdies weiß er nun mal genau, dass es in so einer Bildergeschichte eben nicht auf das Superheldentum, die Kräfte, die Macht oder gar die Göttlichkeit ankommt, oder gar lediglich auf Ennis’schen Schabernack und die Zoten, sondern darauf, was uns Menschen ausmacht, wie wir ticken, fühlen, denken und glauben.

Apropos Wiederkehr: Der zweite deutschsprachige Band ist für Frühjahr 2024 angekündigt.

Abb. © 2019 Mark Russell & Richard Pace/dt. Ausgabe Dantes Verlag

Mark Russell, Richard Pace u. a.: Second Coming: Die Wiederkunft Bd. 1 • Dantes Verlag, Mannheim 2023 • 186 Seiten • Paperback: 22 Euro

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 erscheint bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“.

 

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