1. Juli 2014 1 Likes

Gespiegelte Helden und Surfende Götter

Science-Fiction-Comic-Neuheiten im Juli

Lesezeit: 6 min.

Im Juli biegen sich die Regale wieder vor Novitäten mit Panels und Sprechblasen. Wir haben die Comic-Strandlektüre für den Science-Fiction-Fan unter die Lupe genommen – darunter ein Marvel-SciFi-Klassiker von den Comicgöttern Stan Lee und Moebius, eine bedeutungsvolle Erstveröffentlichung von Revoluzzer Alan Moore, die Manga-Vorlage zu „Edge of Tomorrow” und ein heißer, ungewöhnlicher Superhelden-Tipp mit einem der Helden aus Joss Whedons „Avengers”.

 

Miracleman 1: Der Traum vom Fliegen

Panini, Hardcover, 148 S.

In den 80er Jahren nutzte der britische Comic-Neuerer Alan Moore („Watchmen“) eine betagte britische Superheldenfigur von Englands Comic-Urgestein Mick Anglo, um das stark amerikanische Genre der Superrecken mit erwachsenen Themen und noch viel erwachsener Härte an die Grenzen und weit darüber hinaus zu bringen – und um eben diese Grenzen mit aller Macht zu verschieben. Jetzt endlich werden die „Miracleman“-Geschichten von Moore, die lange zu Apothekerpreisen gehandelt wurden, neu aufgelegt. Der ewige Revoluzzer Moore darf einem Deal mit Marvel zufolge lediglich als „Original-Autor“ bezeichnet und sonst nicht weiter genannt werden – seine Handschrift ist schon im ersten neu kolorierten, zeitlos guten Band, der zunächst als Hardcover und in Kürze auch noch als Softcover auf Deutsch erscheint, trotzdem unverkennbar, während er einem Helden und einem ganzen Genre die Richtung weist. Das macht den ersten Band von „Miracleman“ zur wohl erfreulichsten und wichtigsten ins Deutsche übertragenen Comic-Erstveröffentlichung des Jahres. Besser spät, als nie!

 

Chew – Bulle mit Biss 8: Familienrezept

Cross Cult, Hardcover, 128 S.

„Chew“ von Autor John Layman und Zeichner Rob Guillory begann mit einem SF-Krimi-Setting in einer Welt, in der nach einer verheerenden Pandemie die Zubereitung und der Verzehr von Geflügel verboten sind. Inzwischen hat sich die Serie um den Cop Tony Chu, – einen Chibopathen, der nur in etwas reinbeißen muss, um zu wissen, wie es zu Tode kam – aber gleich mehrere Male stark gewandelt, Autor John Layman viele Bälle in der Luft: Chus Partner ist inzwischen ein Cyborg, die Kirche der Heiligkeit der Ungerührten Dotter sorgt für Ärger, ein ebenfalls chibopathisch veranlagter Vampir tötet sich durch die Reihen der Chibopathen, und Tony ist echt finster drauf, weil der Beißer auch seine Schwester kaltgemacht hat. Im neuesten Band der sicherlich etwas unkonzentrierten, aber herrlich schrägen und verrückten und gut gelaunten Serie geht es sogar ins All, präziser ausgedrückt auf den Planeten Altilis-738. Man weiß eben nie, was Layman und Guillory als nächstes vorhaben, nur, dass es immer verrückter wird – und man vor dem neuesten deutschen Hardcover am besten immer noch mal die vorherigen Sammelbände lesen sollte…

 

Aama 1: Der Geruch von heißem Staub

Reprodukt, Klappenbroschur, 88 S.

Der vielseitige Schweizer Comic-Künstler Frederik Peeters scheut kein Genre, und nun widmet er sich im ersten Album seiner in Frankreich ausgezeichneten Space Opera erstmals der klassischen Science-Fiction. Mit einem Gespür für die US-Meister des frühen SF-Comics erzählt Peeters in überragenden, geradezu illustrativ anmutenden Bildern von einer fernen Zukunft, in der sein Protagonist ohne Erinnerungen erwacht. Zusammen mit ihm, seinem Bruder und einem Roboter-Affen-Bodyguard erkundet der Leser in der Folge Peeters faszinierend fremdartiges Science-Fiction-Universum voller Möglichkeiten und Gefahren. Dabei zeigt der Eidgenosse einmal mehr, dass er einer der derzeit besten Comicschaffenden Europas ist. 

 

JLA: Erde 2

Panini, Softcover, 108 S.

Grant Morrison und Frank Quitely schufen gemeinsam Comic-Bestseller wie „WE3“, „All-Star Superman“ und „Batman & Robin“. Doch auch die Graphic Novel „JLA: Erde“ findet sich im Portfolio der auf ihre Art jeweils unverkennbaren Superstars von der Insel, und im Juli gibt es passend zum aktuellen, thematisch verwandten Event „Forever Evil - Herrschaft des Bösen“ eine überfällige Neuauflage des Comic-Romans. Die Gerechtigkeitsliga um Superman und Batman verschlägt es darin auf die Parallelwelt Erde 2, wo das Crime Syndicat – die bösen Spiegelbilder der Helden aus der DC-Hauptwelt – herrscht und nicht für Gerechtigkeit, sondern Verbrechen sorgt. Nun betreten also echte Helden eine Welt, in der das Böse gewohnheitsgemäß gewinnt. Wie das ausgeht, zeigt das im Grunde schon als kongenial zu bezeichnende Dreamteam Morrison-Quitely in einem seiner besten Werke. Ein gut für sich zu lesender Spaß in superben Bildern!

 

Creepy präsentiert: Bernie Wrightson

Splitter, Hardcover, 144 S.

Seine Illustrationen für Mary Shelleys an der SF-festgemachten Schauer-Klassiker „Frankenstein“ machten ihn ebenso unsterblich wie seine Adaptionen der Werke von Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft: Bernie Wrightson! Nach dem herausragenden Sammelband der Warren-Werke von Richard Corben, präsentiert Splitter jetzt das großformatige Hardcover-Pendant zu Wrightson, dem Meister des Makabren. Wrightson, der u. a. auch „Batman: The Kult“ zeichnete, die Reavers für Joss Whedons „Firefly“-Film-Nachschlag designte und mehrere Male mit Stephen King zusammenarbeitete und z. B. dessen „The Stand“ illustrierte, ist ein Meister der ausdrucksstarken Schatten und lebendigen Schraffuren. In den düsteren Storys dieses schön editierten Bandes ist Wrightsons Können eindrucksvoll zu sehen – in den eben schon erwähnten Comic-Fassungen der Klassiker von Poe oder Lovecraft, in wahrlich schaurigen, heimsuchenden Horror-Comickurzgeschichten wie „Jennifer“ oder in der Science-Fiction-Panelstory „Martian Saga“.

 

All You Need Is Kill

Tokyopop, Softcover, 216 S.

Bei Tokyopop erscheint im Juli nicht nur die illustrierte Romanvorlage zum neuen SF-Blockbuster „Edge of Tomorrow“ mit Tom Cruise, die im japanischen Original erstmals 2004 erschienen ist. Dazu gibt’s gleich noch die Manga-Adaption „All You Need Is Kill“, basierend eben auf Hiroshi Sakurazakas Romans. Die Manga-Fassung stammt von Szenerist Ryosuke Takeuchi und Zeichner Takeshi Obata und wurde zunächst als Fortsetzungsgeschichte in mehreren wöchentlich herauskommenden japanischen Manga-Magazinen veröffentlicht. Wie im 3D-Film, geht es im schwarzweißen Military-Science-Fiction-Manga um den Krieg der Menschen gegen die außerirdischen Mimics, den der Protagonist – im Manga nicht Bill Cage, sondern Keiji Kiriya – in einer Zeitschleife immer und immer wieder bis zu seinem Tod in der Schlacht erlebt… 

 

Hawkeye Megaband 1: Mein Leben als Waffe

Panini, Softcover, 244 S.

In der inhaltlich mutigsten, zeichnerisch innovativsten Marvel-Serie der letzten Jahre zeigen Autor Matt Fraction und Ausnahmezeichner wie David Aja oder Javier Pulido, dass Superheldengeschichten nicht immer gleich aussehen und schon gar nicht dem ewig selben Muster folgen müssen. Nicht einmal, wenn es sich um die neue Solo-Serie des aus den Leinwand-Abenteuern der Avengers bekannten Hawkeye handelt. Fraction und Co. folgen Clint Barton, dem besten Bogenschützen der Welt, der weit abseits der Rächer unterwegs ist – er kriegt es mit Gangstern in seiner Nachbarschaft, mit Freunden und mit Spionage-Missionen für SHIELD. Auch Kate Bishop ist dabei, die junge weibliche Hawkeye, während Clint zugleich einen vierbeinigen Sidekick bekommt. Auf Deutsch gibt es nun den ersten Megaband, der nicht bloß für ein solides Preis-Leistungs-Verhältnis und viele Lesestunden sorgt, sondern als echtes Must-Have gehandelt werden muss, ob man nun auf die letztlich immer SF-verwandten Superhelden, Noir-Krimis oder einfach nur gut gemachte Comics egal welchen Sujets steht.

 

Metronom 4: Psychovirus

Splitter, Hardcover, 56 S.

Zum vierten Mal entführen Autor Éric Corbeyran und Zeichner Grun in die düstere Welt ihrer Science-Fiction-Albenserie „Metronom“. Dort herrscht ein totalitäres Regime, das seit des Auftauchens eines subversiven Märchens in der Post des Präsidenten noch härter gegen Systemgegner und Kritiker der vermeintlichen Demokratie vorgeht. Was u. a. einen anarchistischen Journalisten und die Frau eines Astronauten jedoch nicht davon abhält, die Wahrheit über das Diktat des Lebens aller herauszufinden in diesem nach wie vor recht interessanten dystopischen Szenario des französischen Kreativteams.

 

Silver Surfer: Parabel

Panini, Hardcover, 84 S.

Noch eine Neuauflage, die das Herz jedes Science-Fiction-Comic-Fans höher schlagen lässt: Die legendäre Silver-Surfer-Geschichte vom amerikanischen Superhelden-Allvater Stan Lee und dem französischen Comic-Gott Moebius in neuem Gewand und mit üppigem Kommentar des europäischen Meisters, der auch Werke wie „Der Incal“ und „Blueberry“ mit seiner genialen Linienführung bebilderte. Statt einer weiteren kosmischen Marvel-Geschichte um den einstigen Herold des Weltenverschlingers Galactus schufen Lee und Moebius mit ihrer einzigen Zusammenarbeit Ende der 80er Jahre eine SF-Parabel über die Menschheit. Darüber, dass sie ihr Glaube viel zu leicht ins Verderben führen kann, und dass sie die Wahrheit und ihre Retter nicht immer auf Anhieb sehen mag. Ein bisschen pathetisch, wie im Grunde jede Story mit dem schimmernden Bretterfreak, aber trotzdem absolut lesbar – und durch Moebius’ unnachahmliche Kunst visuell geradezu veredelt und ein echter Genuss.

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