15. Februar 2016 3 Likes 4

Das düstere Flackern

In seinen Geschichten um „Die sterbende Erde“ entwirft Jack Vance eine fantastische Zukunft

Lesezeit: 3 min.

Die Geschichten um die sterbende Erde gehören zu den großen singulären Werken der fantastischen Literatur. Sie sind aber – gerade auch hierzulande – immer noch eher ein Geheimtipp. Etwas für Eingeweihte. Für die echten Kenner. Wenn bei der Nerdparty geprahlt wird, man habe alle „Wüstenplanet“-Bände gelesen, selbst die Heraldik-Passagen in „Game of Thrones“ angebetet und den gesamten Tolkien zehnmal verschlungen (einmal sogar rückwärts), dann kommt bestimmt so ein Oberschlauer daher und sagt verschwörerisch, mit einem Anflug von Arroganz in der Stimme und einem Glitzern in den Augen: „Ja, ja, aber hast du auch Jack Vance gelesen?“ Und dann ist er wieder weg und lässt das brave Herdentier beim Rest der Herde stehen, damit es Tolkien zum elften Mal lesen kann.

Jack Vance: Die sterbende ErdeJack Vance also. „Die sterbende Erde“ (im Shop). Entstanden während des Zweiten Weltkriegs, als Vance bei der US-Handelsmarine war, veröffentlicht 1950, recht früh in der Karriere des 1916 in San Francisco zur Welt gekommenen Autors. Sechs lose zusammenhängende Geschichten, die am Ende der Zeit spielen, auf einer Erde, deren Sonne kurz vor dem Erlöschen ist, in einer Landschaft, die so prall, so üppig, zum Sterben schön und gefährlich ist, dass man sie nie wieder vergisst. Die Wissenschaft ist so weit fortgeschritten, dass sie Magie ähnelt, dass sie Magie ist. Falls es je Wissenschaft war.

Vor dieser Kulisse agieren undurchsichtige, enigmatische, zwielichtige Charaktere, Magier, Wegelagerer, künstliche Menschen, fantastische Wesen. Man könnte ihre Geschichten nacherzählen, den Plot skizzieren und würde damit nichts erreichen. Denn die Plots drehen und winden sich, werden nicht episch breit, sondern märchenhaft kurz gefasst. Motivationen und Strukturen aus dem Einmaleins der „Creative Writing“-Kurse sucht man vergebens, dafür ist ein doppelter Boden allgegenwärtig, der der sterbenden Erde Untiefe verleiht. Alles ist genauso, wie Vance es erzählt, es gibt keinen Grund, das anzuzweifeln. Aber hinter allem, was er erzählt, steckt etwas mehr, etwas kaum zu Fassendes, das hinter der schillernden Fassade lauert. Keine „Ratten im Gemäuer“, kein Twist, keine Moral, sondern vage Ideen, Träume, Illusionen, Dinge, die knapp jenseits der Grenzen des Formulierbaren liegen.

Vance selbst hat die sterbende Erde bis zu seinem Tod im Jahr 2013 immer wieder besucht. In „Eyes of the Overworld“ (1966), „Cugel der Schlaue“ (1983, im Shop) und „Rhialto the Marvellous“ (1984). Er hat zahlreiche andere Autoren inspiriert, darunter Arthur C. Clarkes „Die Stadt und die Sterne“ (im Shop), M. John Harrisons „Viriconium“-Erzählungen, „Der lange Nachmittag der Erde“ von Brian Aldiss oder George R. R. Martins „Die Flamme erlischt“. Vor allem aber Gene Wolfes legendären Zyklus um „Das Buch der Neuen Sonne“ (im Shop).

Und Vance hat berühmte Kollegen, die so glänzende Augen bekommen, wenn sie über ihn sprechen, wie der Oberschlaue im ersten Absatz. Kollegen wie Michael Chabon, Dan Simmons oder Neil Gaiman. Es gibt eine ganze Sammlung von Geschichten („Songs of the Dying Earth“), in der diese Kollegen ihre Geschichten über die sterbende Erde erzählen, darunter Robert Silverberg, Walter Jon Williams, Jeff VanderMeer, Elizabeth Moon, Lucius Shepard, Tad Williams, Tanith Lee, George R.R. Martin – und natürlich Simmons und Gaiman.

Es gibt viel zu entdecken auf dieser Erde im düsteren Glanz einer flackernden Sonne. Und die sechs kurzen Erzählungen dieses jetzt 66 Jahre alten Bandes sind nur der Anfang. Es kann aber gut sein, dass man Tolkien & Co. danach mit anderen Augen betrachtet. Also Vorsicht.
 

Jack Vance: Die sterbende Erde (The Dying Earth) ∙ Episodenroman ∙ Aus dem Amerikanischen von Lore Strassl ∙ Heyne E-Book: 3,99 € (im Shop)

Kommentare

Bild des Benutzers Doctor Flamenco

Der Autor war mir bisher ehrlich gesagt völlig unbekannt, aber "Die sterbende Erde" hört sich extrem vielversprechend an. Wird davon denn auch noch eine Print-Ausgabe erscheinen oder bleibt's beim E-Book?

Bild des Benutzers Die Redaktion

Freut uns! Bislang sind bei Heyne allerdings nur E-Books geplant.

Bild des Benutzers Hans Schilling

Eine Print-Ausgabe ist wohl weniger sinnvoll, da dieses Buch eh schon 2x herausgegeben wurde. 1978 zum 1. Mal und 1983 nochmal, im übrigen von derselben Übersetzerin wie die jetzige E-Book-Ausgabe. Alles bei Heyne.
E.Books sind ja prinzipiell eine gute Sache, aber warum immer nur die eh schon mal als Buch erschienenen Werke und nicht die welche nie eine Übertragung ins Deutsche erleben durften, geebookt werden ist mir ein Rätsel. Gerade hierfür müsste doch ein Markt vorhanden sein. Oder nicht?

Hans Schilling

Bild des Benutzers Die Redaktion

Ein Markt ist hierfür sicherlich vorhanden, wenn auch kein allzu großer. Den Unterschied in der Kalkulation machen hierbei allerdings die Übersetzungskosten. Die lohnen sich zumeist dann, wenn ein Titel auch im Print viele Verkäufe hat. Und da wird die Luft bei vielen alten Klassikern schon dünn ... Heyne versucht deshalb, diese Klassiker wenigstens digital wieder zugänglich zu machen, und so vielleicht auch ein neues Publikum für diese lesenswerte Science-Fiction zu gewinnen.

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