Reale Monster
In seinem Kurzroman „Der Nebel“ lässt Stephen King fantastischen Horror und echte Angst aufeinanderprallen
Stephen Kings Novelle „Der Nebel“, mit über 100 Seiten wahlweise eine seiner längsten Kurzgeschichten oder einer seiner kürzesten Romane (um alle drei Belletristik-Gattungen, die dieser grundsolid-apokalyptische Monsterspaß gleichermaßen bedient, erwähnt zu haben), dreht sich um eine Gruppe von Neuengland-Kleinstädtern, die sich in der Folge eines – je nach Perspektive: extrem misslungenen oder bestialisch erfolgreichen – Militärexperimentes, durch das anscheinend das Tor zu einer anderen Welt geöffnet wurde, vor einem plötzlich das Land verhängenden fetten Dunst und vor allem dem darin hungrig herumkriechenden monströsen Viehzeug in einem Supermarkt verschanzt.
Über die dynamisch-mustergültige Darstellung der Reaktionen einer leidlich geschlossenen Gesellschaft auf äußere Bedrohung in „Howard Hawks trifft Howard Lovecraft“-Manier hinaus führt King auf unaufdringliche Art zwei zivilisationskritische Leitmotive durch seine erzählerische Monsterkatastrophenfilmhommage: die Instabilität von Humanitas und Vernunft angesichts einer alle menschlichen und vernünftigen Standards sprengenden Gefahr sowie die Menge an Bier, die man trinken muss, damit einen auch die plötzliche Präsenz menschenfressender Riesenhummer nicht mehr anficht (das ergäbe übrigens eine ordentliche Schwarte: die vollständige Zitatensammlung zum Thema „Das Motiv des Bierdursts im erzählerischen Werk Stephen Kings“).
King bekommt es in seinem Kurzroman (seit jeher zu Recht ein Fanfavorit) sehr souverän hin, die vom Schlaf der Vernunft geborenen Ungeheuer (unter den Masken der Zivilisation) mit den vom Traum der Vernunft (etwa der Fantasie des Horrorautors) geborenen Ungeheuern spielen zu lassen. Realer und fantastischer Horror werden sauber verfugt, ohne das eine als „Abbildung“, „Reflexion“ oder „Chiffre“ des anderen auszustellen; das Horrorgenre wird ja gerade oft da interessant, wo die Monstren ebenso real sind wie der menschliche Affekt der Angst und nicht nur Bilder für ebendiesen. Frank Darabont, neben Rob Reiner einer der instinktsichersten unter Kings Hollywood-Beauftragten, schuf 2007 eine ansehnliche und bemerkenswert grimmige Filmadaption, wenngleich der Erwachsenenfilmer Darabont Kings unirdische Rieseninsekten auf ausgestellte Weise als Parabel-Material behandelt, während ihr Autor sie mit Respekt und Liebe großzieht. Wo King gesellschaftskritische Spurenelemente verabreicht, um atmosphärische und narrative Stoffwechsel-Funktionen anzutreiben, benutzt Darabont den Monster-Nebel als apokalyptische Bilder aktivierenden Katalysator einer Gesellschaftskritik bzw. Gegenwartsdiagnostik. King interessiert sich aufrichtig für seine Dinger aus einer anderen Welt, Darabont fast ausschließlich für diese unsere. King selbst nannte die von ihm geschätzte Verfilmung bescheiden „das Prequel zu ,Cloverfield‘“, wobei der finale „Nebel“-Sechsbeiner („Es hatte auf der Autobahn Spuren hinterlassen – Spuren, die so tief waren, dass ich nicht auf den Boden sehen konnte“) dem „Cloverfield“-Monster locker auf den Kopp spucken könnte.
Stephen King: Der Nebel • Novelle • Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt • Heyne Verlag • E-Book: 2,99 € (im Shop)
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