28. Oktober 2014 1 Likes

Monströse Gelehrsamkeit

Die beste und schönste kommentierte Lovecraft-Werkauswahl, die es je gab

Lesezeit: 2 min.

Nicht jedes Buch schafft es, sich von Menschen wie Neil Gaiman, Peter Straub, Joyce Carol Oates und Harlan Ellison euphorisch bewerben und dann auch noch von Alan Moore das Vorwort schreiben zu lassen. Es erscheinen auch nicht alle Tage Klassiker-Neueditionen, die dafür sorgen, dass man einen halben Regalmeter vorheriger Ausgaben getrost zum Antiquariat tragen kann. Der von Leslie S. Klinger besorgte „The New Annotated H.P. Lovecraft“ ist ein solcher Fall.


Auf Alan Moores treffsichere Einleitung zum „most important author of weird fiction that the world has ever seen“ folgen Ausführungen Klingers zur Geschichte der fantastischen Literatur vor Lovecraft, zu Lovecrafts Biografie, seiner literarischen Karriere, zum ideellen Kern seines Werks (sogenannter Cthulhu-Mythos; mechanistisch-materialistisch-nihilistische Philosophie) sowie zu seinem Nachwirken. Daran an schließt eine üppige und so gut wie wasserdichte Auswahl von 22 Erzählungen Lovecrafts (alle längeren Sachen, d.h. die Novellen und Kurzromane, sind dabei; es fehlen einige wenige emblematisch-kanonische Berühmtheiten wie „Der Außenseiter“ oder „Die Ratten im Gemäuer“). Das Bonusmaterial besteht aus sieben Appendizes – spaßigeren wie einer Chronologie der in Lovecrafts Erzählwerk geschilderten Ereignisse, einer Personenliste der Angestellten der Miskatonic-Universität (die fiktive Hochschule im fiktiven Arkham) und einer Genealogie der Großen Alten; seriösen wie einem Werkregister oder einem kurzen Abriss über die (reichlich späte) postume Einflussnahme Lovecrafts auf die populäre Kultur –, und als Rausschmeißer fungiert eine umfangreiche Bibliografie.


Den breit und lesefreundlich gesetzten Quellen folgt am jeweils äußeren Rand der großformatigen Seiten eine Kommentarspalte, die nicht nur für textuelle Anmerkungen, sondern auch für erhellendes Zusatzmaterial visueller Natur (Illustrationen aus den Erstveröffentlichungen in Pulp-Magazinen wie Weird Tales, Fotografien, Handschriftenfaksimiles etc.) genutzt wird. Bezüglich der letzteren Kommentarfunktion vermisst man „Pickmans Model“ (die Geschichte eines Monstermalers in der Tradition Goyas und Füsslis) dann doch unter leichten Schmerzen, denn da hätte Klinger sicher einiges an Bildreferenzen zusammentragen können. Der Herausgeber beschenkt einen jedenfalls mit unerschöpflicher, bisweilen launig-trockenhumoriger und vor allem lebhafter Gelehrsamkeit, die an keiner Stelle ins philologisch-kritisch allzu Pedantische und Staubige verfällt, sondern auf volle Distanz unterhält wie ein schlau, rasant und witzig gesprochener Audiokommentar. Und das wirft nicht zuletzt ein zwangsläufig verblüffend breites Licht auf die enorme Kopfesfülle des autodidaktischen Allesfressers aus Providence, Rhode Island.


Als großer amerikanischer „man of letters“ wird H.P. Lovecraft erst seit den 1990er Jahren wahrgenommen; seitdem widmen sich unzählige Neuausgaben, Essays, Studien und sonstige Bewunderungsbekundungen seinem nicht gerade winzigkleinen, aber doch sehr überschaubaren literarischen Werk. Wer mag bzw. es ganz genau wissen will, kann sich noch S.T. Joshis zweibändige, 1176 Seiten starke Lovecraft-Biografie „I Am Providence“ neben The New Annotated H.P. Lovecraft ins Regal stellen, aber dann hat man nahezu alles, was man braucht. Echt jetzt.

The New Annotated H.P. Lovecraft. Edited with a Foreword and Notes by Leslie S. Klinger. Introduction by Alan Moore • Liveright, New York/London 2014 • 852 Seiten · $ 39,95 • Sprache: Englisch

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