21. Oktober 2016

Genial frustrierend

Das Strategie-Highlight „XCOM 2“ im Test

Lesezeit: 8 min.

Gleich vorweg: Wenn es in diesem Jahr einen Action-Strategie-Titel gibt, den man sich speziell auf Konsole nicht entgehen lassen sollte, dann XCOM 2! Mit der Fortsetzung des gelungenen Vorgängers XCOM: Enemy Unknown schicken Publisher 2K und Entwickler Firaxis alle Fans knackiger Rundenstrategie in den Guerillakampf gegen eine mit allen Wassern gewaschene Alienübermacht, die nur mit taktischem Planungsgeschick und Nerven aus Drahtseilen zurückgeschlagen werden kann. Ursprünglich erschien XCOM 2 bereits zu Jahresanfang für den PC, ehe jüngst auch Besitzer einer PS4 oder Xbox One mit einer Portierung bedacht wurden. In doppelter Hinsicht keine Selbstverständlichkeit, da gute Strategietitel auf Konsole ebenso rar sind wie  Portierungen, die auf (steuerungs-)technische Unterschiede beider Plattformen adäquat Rücksicht nehmen.

Bevor es allerdings überhaupt in die erste Schlacht mithilfe eines stimmungsvollen Tutorial-Levels geht, könnte es zunächst lange Gesichter bei Kennern des Vorgängers geben: Anstatt vielleicht die Rache der eigentlich besiegten Invasoren zu erwarten, empfängt uns ein ganzer Propaganda-Apparat in Form einer Armee, wehenden Fahnen und einem Anführer, der vor laufenden Kameras alle Klischees der politischen Rhetorik bemüht, um die Bevölkerung von einer erdrückend offensichtlichen Tatsache abzulenken: Die Aliens sind Teil einer Nationalregierung (genannt ADVENT), die zumindest nach außen hin den Anschein eines am Wohle der Menschheit interessierten Regimes aufrecht halten möchte. Und das, obwohl die Aliens faktisch die Macht übernommen und hinter den Kulissen der Öffentlichkeit ihre eigenen Pläne verfolgen. Der neu formierte und äußerst kleine Widerstand XCOM, deren größte aktive Zelle wir nach dem Tutorial als Commander anführen, muss aus dem Verborgenen heraus agieren, um die Erde von den Besatzern zu befreien. Das hat zur Folge, dass wir mit unseren Ressourcen wie Kämpfern, Waffen oder den Räumlichkeiten unserer Raumschiffbasis haushalten und nicht auf ein unbegrenztes Arsenal von Waffen oder Unterstützern zurückgreifen können. Jeder Schritt will gut durchdacht sein, da die Konsequenzen einer verlorenen oder auch nur abgebrochenen Schlacht für unseren Widerstand jederzeit spürbar sind, wenn nicht zuvor optimal auch für negative Gefechtsausgänge vorausgeplant wurde.  

Die Story fließt insgesamt dabei recht angenehm nebenher, geht aber ebenso wenig in die Tiefe wie die Charakterisierung der überwiegend militärisch gehaltenen, sehr markant bis rustikal gezeigten Figuren. Auf unserer mobilen Raumstation werden wir folgerichtig zwar mit wenigen, aber stets sehr schicken Sequenzen im Austausch mit unserem Bord-Wissenschaftler oder unserer Waffenschmiedin kurzweilig bei Laune gehalten und können auch hier die Geschicke unserer Gefolgschaft beim Ausbau des Schiffes oder der für unseren Freiheitskampf wichtigen Analyse der Alientechnologie beeinflussen und vorgeben. In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben sollte der treibende Soundtrack des Games, der die militärische Grundstimmung treffend untermalt und länger im Ohr bleibt. Selbiges lässt sich über die absolut soliden Sprecher sagen, die durchaus für die ein oder andere Emotionalisierung zu haben sind, obwohl auch hier deutlich wird, dass XCOM 2 als Strategie-Game genretypisch eher auf andere Stärken setzt, um vollends zu überzeugen. Denn trotz des insgesamt eher dünnen Story-Gerüsts versteht es der Titel glänzend, eine Bindung zwischen uns und unserer Kämpferriege aufzubauen. Das liegt vor allem an der schier unendlichen Anzahl an Einstellungsmöglichkeiten und Individualisierungen, die wir an jedem Mitglied unseres Einsatztrupps vornehmen können. Wer will, kann alle Recken vom Scheitel bis zur Sohle ausstatten und aussehen lassen, wie man möchte. Auch die Skill-Entwicklung liegt mit verschiedenen Charakterklassen wie Ranger oder Scharfschütze wunderbar in unserer Hand und eröffnet viele Möglichkeiten, aus einer zunächst rein funktionalen Figur eine echte „Spielfigur“ zu kreieren. Auch ohne lange Dialoge und Cut-Scenes fühlt man sich daher seiner Truppe verpflichtet. Gerade dann, wenn das Gameplay immer wieder und häufig sehr unerwartet zahlreiche Todesfälle unter unserem Kommando fordert und unsere „liebevoll“ aufgebauten Kämpfer auch nicht mehr reanimiert werden können. Aufgrund des Guerilla-Ansatzes von XCOM 2 verschwinden unsere Soldaten eben nicht wie in so vielen Games in der Masse einer gigantischen und völlig gesichtslosen Armee.

Diese Verbindung zwischen Spieler und Figuren hat vor allem damit zu tun, wie XCOM 2 auf geradezu brillante Art und Weise das eigene Thema des Freiheitskampfes mit dem Gameplay verquickt. Kurz gesagt: Selten bringt ein Titel so konsequent mithilfe der Spielmechanik seine Thematik ähnlich geschickt aufs Tableau. Über die gesamte Kampagne werden wir permanent daran erinnert, einen Kampf gegen eine imperiale Übermacht zu führen, gegen die wir im Grunde chancenlos sein müssten. Das zeigt sich innerhalb der knackigen Schlachten nicht nur an der nummerischen Übermacht der Gegner, sondern auch an deren Fertigkeiten. Das kann dann gerne mal mit voller Absicht unfair ausfallen, wenn wir uns einem vermeintlich zu rettenden Zivilisten nähern und sich dieser ohne Vorankündigung in einen riesigen Mutanten verwandelt, der uns mit einer Aktion vielleicht sogar komplett ausschaltet. Auch andere Gegnerklassen (Stichwort Schlangen oder Riesen) provozieren mit ihrem überlegenen Vorgehen ein vorausschauendes Agieren, da sie meist mehrere Aktionen am Stück innerhalb des Rundenschemas der Gefechte ausführen oder mehr Felder als unsere Kämpfer überbrücken können.

Das heißt in der Konsequenz, dass wir öfter dazu gezwungen sind, uns mit unserer Resttruppe aus einem Duell zurückzuziehen oder die Mission neu zu starten, um die zu erwartenden Gegnerformationen besser einzukalkulieren. Dazu passt der Umstand, dass wir mit unserer aus vier bis sechs Kämpfern bestehenden Einheit zu Beginn einer Mission erst einmal inkognito unterwegs sind, bis wir auf den teilweise zufallsgenerierten Schlachtfeldern vom Feind entdeckt werden oder uns selbst mit einer Offensivaktion zu Erkennen geben. Wer gut plant, erwischt die Gegner aus sicherer Deckung mit einem konzertierten Frontalangriff, wobei allerdings Faktoren wie die persönliche Trefferquote, Deckungsstabilität oder natürlich auch ein möglicher Mangel an Munition starken Einfluss auf Verlauf und Ausgang der Gefechte nimmt. Dass sich XCOM 2 speziell bei der (jederzeit angezeigten) Trefferwahrscheinlichkeit der Kämpfer einige nicht immer nachvollziehbare Fehler erlaubt, wenn beispielsweise ein riesiger Gegner manchmal selbst von einem Scharfschützen aus geringer Entfernung verfehlt wird, wenn sich der Feind hinter einem kleinen Bäumchen „versteckt“, hätte dagegen nicht unbedingt sein müssen. Neben kleineren, manchmal harten „Finessen“ wie dieser, ist den Entwicklern aber gerade in technischer Hinsicht die Portierungsleistung für die Konsolenversionen hoch anzurechnen, da sowohl die Steuerung als auch die Menüführung vorbildlich umgesetzt wurden und die Performance bis auf kleinere Abstriche bei der Bildrate oder den etwas zu langen Ladezeiten flüssig läuft. Das kennt man schließlich durchaus anders und deutlich schlechter.

Die Kämpfe laufen insgesamt in typischer Rundenstrategiemanier und -perspektive ab, indem jede Figur nacheinander ein bis zwei Aktionen wie Feuern, Laufen, andere Kämpfer unterstützen oder Feuerschutz geben ausführt. Der jeweilige Bildausschnitt der Karten bleibt dabei anfangs sehr eingeschränkt, bis wir weiter in das Areal vordringen und sich die Karte weiter aufhellt. Auch hier kann mehrfach der Frust lauern, da der Weg ins Unsichtbare gleichbedeutend mit einem Weg in nicht immer vorhersehbare Feindüberraschungen bedeutet. So zwingt uns XCOM 2 auf diese Art manchmal regelrecht zum Opfertod einiger unserer Helden, da das Ausspähen oder Ablenken von Gegnern in die Strategie einfließen muss, um viele knifflige Stellen meistern zu können. Hinzu gesellt eine weitere kleine Gemeinheit, nämlich ein verkapptes Zeitlimit, das eigentlich der Gemächlichkeit des Rundenstrategie-Genres zuwiderläuft. Einige Missionen müssen nämlich in einer strikt vorgegebenen Anzahl an Runden absolviert werden. In Kombination mit den eben aufgezählten Anforderungen ein harter Einschnitt, der sicher nicht an jeder Stelle missionstechnisch optimal gelöst wurde.

Der Schwierigkeitsgrad, der selbst auf dem niedrigsten der vier angebotenen kaum Zugeständnisse an Neulinge macht, stellt sich somit als Knackpunkt schlechthin dar: Wer nicht speziell zu Beginn einiges an Frustresistenz mitbringt und geduldig daran arbeiten möchte, den gesamten Widerstand langfristig so aufzurüsten, dass man selbst einer Gegnerübermacht ordentlich Saures geben kann, wird mit XCOM 2 nicht lange Freude haben. Dass wir aber im Spielverlauf immer stärker werden, passt wunderbar ins Konzept der Story, die ja darauf ausgerichtet ist, uns immer mehr die Hoffnung auf Freiheit zurückzugeben. Wer besagte Frusttoleranz mitbringt, wird daher letztlich mit einem bärenstarken Gameplay belohnt, das aufgrund der Lern- und Erfolgskurve ungemein motivierend ausfällt. Die Freiheit will schließlich innerhalb der selbst für das Strategie-Genre vorbildlich langen Spielzeit erkämpft und nicht erschlichen werden. Die zahlreichen Upgrade- und Missionsmöglichkeiten sowie insbesondere der vielschichtige Spielaufbau mit seinen vielen Wendungen verstehen es somit auch langfristig unsere Motivation sogar für mehrere Durchläufe hochzuhalten.

Die Entwickler befördern unsere Einsatzbereitschaft zusätzlich mit vielen überraschenden Wendungen innerhalb der Story, die uns mit einem Zeitlimit, aber vor allem mit den daran gekoppelten „Düsteren Ereignissen“ mehr als nur Kopfzerbrechen bereiten können: Denn die Aliens führen von ihrer Seite ebenfalls Überraschungsangriffe aus und planen mithilfe des sogenannten Avatar-Projekts die endgültige Übernahme der Welt. Wir sehen die von den Aliens ausgelösten düsteren Ereignisse und dürfen regelmäßig einen Guerilla-Einsatz starten, um sie zu verhindern. Doch da immer drei Ereignisse gleichzeitig bevorstehen, müssen wir eine Wahl zwischen Pest und Cholera treffen, da nie alle Ereignisse inklusive deren Folgen aufzuhalten sind. Jede Entscheidung für eine solche Mission bedingt also auch, welche Schikanen wir ungestört über uns und den gesamten Widerstand ergehen lassen müssen. Halten wir etwa das Avatar-Projekt nicht mit taktisch langfristig klugen Entscheidungen schon beim Ressourcen- und Raumschiffmanagement inklusive sich daran anschließenden Missionen auf, zeigen uns die Entwickler in Form eines bitterbösen Abspanns schnell die rote Karte. Hart, aber im Sinne des Gesamtkonzepts des Games absolut schlüssig und mithilfe vieler automatischer Speicherstände auch zu verhindern; zumindest dann, wenn man nicht völlig falsch geplant und das jederzeit sichtbare Zeitlimit im Menü ignoriert hat.

Fazit

Der in jeder Hinsicht fordernde Guerillakampf gegen eine außerirdische Besatzungsmacht ist definitiv kein Game für Leute, die nicht bereit sind, sich in die komplexe Struktur  beinharter Sci-Fi-Strategie einzuarbeiten. Denn auch wenn XCOM 2 ziemlich klassisch in einzelnen Zügen gespielt wird, verläuft hier nichts gemächlich oder ohne erhöhtes Risiko. Wer allerdings bereit ist, sich auf so manche Härte einzulassen, wird mit einem langfristig unglaublich befriedigenden Spielerlebnis belohnt. Wenn man die eigenen Truppen zu triumphalen Klängen aus einer fordernden Schlacht gegen letztlich immer weniger überlegene Gegner führt und sich das eigene Basisschiff ebenso wie der globale Widerstand als echte Bedrohung für die Invasoren herausstellt, kommt bei allen Strategie-Fans sicher ein Gefühl der Zufriedenheit auf. Mit seinen variablen Abläufen und Einstellungsoptionen im Rahmen eines abwechslungsreichen Gameplays, das darüber hinaus mit einer insgesamt ansprechenden Präsentation punktet, kann XCOM 2 mit Fug und Recht von sich behaupten, eines der besten Strategie-Games der letzten Jahre zu sein. Hart, nicht immer fair; aber dennoch stets genial motivierend. In dieser Form darf ein dritter Teil sehr gerne kommen.

XCOM 2 ist für PS4, Xbox One und PC erhältlich. Einen Trailer gibt es unter dem Beitrag.

XCOM 2 • 2K Games/Firaxis • Action-Strategie

Abb. © 2K Games/Firaxis

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