23. Juni 2022 1 Likes

„Der Klon“

In Jens Lubbadehs neuem Sci-Fi-Thriller droht ein Viertes Reich

Lesezeit: 3 min.

Berlin, 2033: In Deutschland steht die nächste Bundestagswahl an. Die rechtspopulistische Partei Der Deutsche Weg (DDW) könnte CDU und Grüne den Rang ablaufen. Während des Wahlkampfes recherchiert die Journalistin Mara Erhardt an einer Reportage über Klonkinder. Was eine Geschichte über das fragwürdige – und verbotene – Verhalten reicher Eltern und skrupelloser Wissenschaftler:innen werden sollte, bekommt alsbald eine brisante Wendung. Hat die DDW-Parteispitze einen Klon von Adolf Hitler in Auftrag gegeben, der demnächst das Land führen soll?

In seinem Romandebüt „Unsterblich“ (im Shop) hatte sich Jens Lubbadeh noch mit der virtuellen Kopie eines Menschen beschäftigt. Nun widmet sich der Berliner der realen Kopie – mit all den ethischen und philosophischen Fragen, die dazu gehören. Und an wem lässt sich diese Frage besser erörtern als am Klon eines Diktators und Massenmörders? Hitler zu klonen ist keine so neue Idee in der Science-Fiction. Horror-Altmeister Ira Levin hatte dies bereits 1976 in „The Boys from Brazil“ getan. 2014 schilderte François Saintonge in seiner Satire „Dolfi und Marilyn“ (im Shop) eine Welt, in der die Klone berühmter und berüchtigter Persönlichkeiten zum Alltag gehören. Lubbadehs Der Klon“ (im Shop) erinnert hier und da an beide, setzt aber viele eigene, starke Akzente.

Diese fangen beim Setting an, dem dystopischen Deutschland der nahen Zukunft. Hundert Jahre nach Hitlers Machtergreifung könnte wieder eine rechtsnationale Partei den Kanzler stellen. Ihr spielt eine gespaltene Gesellschaft in die Hände. Während eine strenge Klimapolitik viele Bürger:innen in Bedrängnis bringt, leiden die jungen Erwachsenen unter den Nachwehen der Coronapandemie wie etwa schlechter Schulbildung. Da kümmert es nur wenige, dass Der Deutsche Weg im Wahlkampf offen antisemitisch, islamophob und rechtsextrem agiert.

Mara Erhardt recherchiert derweil über die Zwillinge Robin und Friedrich Wohlpflug. Ihre Eltern verloren 2010 ihre Söhne bei einem Bootsunfall – und haben die Kinder anschließend klonen lassen. Mara sammelt Informationen zur Klinik des Südkoreaners Moon Dong-soo, in dem Reiche ganz legal ihre verstorbenen Hunde und Katzen klonen lassen können – und illegal wohl auch Kinder. Als Moon erschossen wird, meldet sich seine Mitarbeiterin Park Seoyoung bei der Journalistin. Sie behauptet, die Parteiführung des DDW, Bernd Sörensen und Alina Schalk, habe vor 25 Jahren aus einem alten Zahn jemanden klonen lassen, der zu dem Zeitpunkt bereits über 60 Jahre tot war. Nun jagen Sörensens Leute Moon, Park und auch Mara.


Jens Lubbadeh. Foto © Random House/Christina Körte

Maras aufwendige und auch gefährliche Recherche ist nur ein Teil des Romans. Lubbadeh erzählt die Geschichte auch aus der Sicht von Moon und Park, Schalk, Robin und dem in Auftrag gegebenen Hitler-Klon Arthur Hendrich. Und es gibt auch den Rückblick auf die Ereignisse des Jahres 2007, die schließlich zu Arthurs Geburt und der der Wohlpflug-Zwillinge führten. Hier erhalten die Figuren viel Platz für ihre eigene Geschichte: für Forschungsträume, für Herzschmerz, für Traumata – und den Fanatismus der DDW-Parteispitze. Sörensen und Schalk richten Arthurs Leben an dem von Hitler aus: vom prügelnden Vater, über den Tod der Mutter, der Ablehnung an der Kunsthochschule bis hin zur Kriegserfahrung. Arthur ahnt weder davon etwas, noch von den Leichen, über die seine „Förderer“ gehen. Er wird auf perfide Art um seinen freien Willen gebracht und zum neuen Führer aufgebaut. So spielt er auch Schalk und Sörensen in die Karten, wenn er als Videoblogger die Politik der anderen Parteien kritisiert.

Als Mara ihre Recherchen öffentlich macht, entwickelt der Roman eine neue Dynamik. Statt über den Tabubruch des Klonens oder die Führer-Träume des Deutschen Weges zu sprechen, steht Arthur im Mittelpunkt. Es entwickelt sich eine regelrechte Hitler-Hysterie. Der aufgehetzten und geschichtsmüden Gesellschaft eröffnet sich eine ungeahnte Möglichkeit: Endlich mit der Vergangenheit abzuschließen. Aber darf man den Klon für die Verbrechen des Originals bestrafen?

Jens Lubbadehs neuer Roman bereichert das Genre um eine weitere spannende und gut recherchierte Geschichte. Dabei setzt er mit „Der Klon“ eigene Akzente, indem er die Debatte aus der Sicht von Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und der Klone betrachtet, die mit ihrer Existenz hadern.

Jens Lubbadeh: Der Klon • Wilhelm Heyne Verlag, München, 2022 • 480 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: 15,00 € • im Shop

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.