27. August 2014 1 Likes 1

Schlaglichter auf die Zukunft

Norbert Stöbes E-Original „Morgenröte“

Lesezeit: 3 min.

Seit 195 Jahren leidet die Erde unter der „Singularität“, einer Phase erhöhter Sonnenaktivität, die mit einer Schwächung des irdischen Magnetfeldes einhergeht. Es kommt deswegen zu einer natürlichen globalen Erwärmung, die tödliche Strahlendosis zwingt die Menschen, in klimatisierten Kellern zu hausen oder nach Norden zu flüchten. In diese sterbende Welt wirft Norbert Stöbe seine Figuren und bietet ihnen einen Ausweg: Das Projekt Morgenröte. Im Mondorbit soll zehn Jahre lang ein riesiges Raumschiff gebaut werden und 36.000 Menschen haben per Losverfahren die Chance, zu einer neuen Welt aufzubrechen.

Auf drei verschiedenen Wegen nähert Stöbe sich der Morgenröte: Da ist der Designer Rudger aus Providence, der eigentlich zusammen mit seiner Freundin Venice fliegen will – und sie doch zurücklassen muss. In Italien ersticht Straßenstricher Luca einen reichen Freier und muss fliehen. Zusammen mit Scema, die er eigentlich nicht leiden kann, schlägt er sich nach Norden durch, dabei erbeuten sie zwei der begehrten Lose. In Hamburg fallen der Journalistin Lotta Ungereimtheiten bei der Pressekonferenz zum Morgenröte-Projekt auf. Sie kann ihren Chef davon überzeugen, sie nach Paris fahren zu lassen, doch die Zeitung geht Pleite. Lotta spürt den Geheimnissen hinter dem Projekt auf eigene Faust weiter nach. Doch die Überraschung, die Norbert Stöbe am Ende parat hält, übertrifft selbst Lottas kühnste Erwartungen.

„Morgenröte“ liest sich recht flüssig, obwohl sehr abgehackt erzählt wird. Das ist zum einen den Zeitsprüngen geschuldet, die Stöbe macht, will er doch nicht die kompletten zehn Jahre vom Baubeginn bis zur Auslosung der Tickets erzählen. Zum anderen legt er den Focus auf drei ganz unterschiedliche Figuren in verschiedenen Teilen der Welt und springt zwischen Charakteren und Schauplätzen hin und her, wodurch das Leben mit der Singularität schlaglichtartig ausgeleuchtet wird. Gerade die Schilderungen des banalen Alltags – Abholen von Amazon-Paketen aus einem gegen die Strahlung isolierten Transporter, Algen-Steaks aus dem Drucker, ein Hotel in einer ehemaligen Tiefgarage – gelingen Stöbe wirklich gut, und gerade aus diesen sehr lebendigen Schlaglichtern setzt sich eine Zukunftsvision zusammen, die alles andere als rosig ist. Ein paar Entwicklungen im Leben der Figuren bleiben durch das sprunghafte Erzählen leider auf der Strecke und müssen in kurzen Rückblenden erzählt werden – hier hätte man ihnen durchaus etwas mehr Platz gönnen dürfen, so wirken einzelne Kapitel manchmal etwas zu abgehackt. Der Leser läuft dennoch nie Gefahr, den Faden zu verlieren, sondern kann vielmehr zusehen, wie die einzelnen Puzzlestücke nach und nach ineinandergreifen. Und wenn man schon beinahe glaubt, das Morgenröte-Projekt sei ein gigantischer Schwindel, setzt Stöbe noch einmal einen drauf – und dieses dicke Ende ist so grandios, dass ich mir gewünscht hätte, er hätte diesem Teil der Geschichte noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Ich plädiere deswegen für eine Fortsetzung des Morgenröte-Projekts und empfehle jedem, sich schleunigst Lose zu kaufen – in Form dieses Romans!

Einen kleinen Teaser gibt es hier: „Aufbruch in eine neue Zeit“.

Norbert Stöbe: Morgenröte • Roman • München, Wilhelm Heyne Verlag, 2014 • € 6,99 • im Shop

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