Vier Pfoten im All
„Laika“ – Der kalte Krieg aus ganz besonderer Perspektive
Nichts und niemand war vor den Auswirkungen des Kalten Krieges sicher. Selbst das Weltall wurde in den globalen Schlagabtausch zwischen den Vereinigten Staaten und der ehemaligen Sowjetunion einbezogen, der schließlich in der Kubakrise und damit beinahe im nuklearen Desaster gipfelte, das damals nur noch einen Knopfdruck entfernt war. Vor diesem hässlichen Höhepunkt befeuerte der Konflikt allerdings auch den wissenschaftlichen Fortschritt und den Eintritt ins Zeitalter der Raumfahrt, als die Großmächte in West und Ost versuchten, einander im prestigeträchtigen Rennen zum Mond zu übertrumpfen. Überall griff man nach den Sternen.
Auch wenn US-Präsident Eisenhower 1955 als Erster die Eroberung des Alls als erklärtes Ziel ausgab, lag der Vorteil bald schon hinter dem Eisernen Vorhang, wo man am 4. Oktober 1957 mit Sputnik I den ersten künstlichen Satelliten in die Erdumlaufbahn schoss. Nikita Chruschtschow erkannte früh das Propaganda-Potenzial der Bemühungen, dem Menschen das Weltall – oder eher: das Weltall den Menschen – näherzubringen, und förderte die Forschung. Doch mit der Aufmerksamkeit des Partei- und baldigen Regierungschefs wuchsen nicht nur die Mittel für die Pioniere der blutjungen sowjetischen Raumfahrtbehörde. Auch der Druck steigerte sich drastisch. Chruschtschow wollte den Nachfolger Sputnik II nämlich pünktlich zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November 1957 im All wissen. Mehr noch: Um die totale Überlegenheit des sozialistischen Systems gegenüber dem Westen aufzuzeigen, sollte mit Sputnik II erstmals ein Lebewesen von der Erde aus ins All geschossen werden. Der Zeitplan war mörderisch; an einen Menschen in der Raumkapsel war unter diesen Bedingungen nicht zu denken (es sollte noch bis 1961 dauern, ehe mit dem Kosmonauten Juri Alexejewitsch Gagarin der erste Mensch ins All flog). Doch zum Glück gab es ja den besten Freund des Menschen, der den Zweibeinern auf vier Pfoten den Weg ins All ebnen sollte …
So wurde aus dem hitzigen Wettrennen zum Mond ein Wettrüsten mit kalter Schnauze. Viele Tests wurden gemacht, viele Hunde in Kapseln und andere Gerätschaften gesetzt – und nicht alle Vierbeiner kehrten auch wieder in ihren Käfig zurück. Am Ende schoss man mit Sputnik II in einer kleinen Raumkapsel die Mischlingshündin Kudrjawka (»Löckchen«) in den Weltraum, die erst in der Endphase des ehrgeizigen Projekts in Laika (»Kläffer«) umgetauft wurde. Eine Rückfahrkarte besaß Laika dabei von Haus aus nicht – das unbarmherzige Zeitkorsett ließ keine Ausarbeitung eines Rückholplans zu. Laika starb dann auch bereits nach fünf Stunden im Weltall aufgrund der Überhitzung ihrer Kapsel. Als Held, wie die Propagandamaschinerie der Sowjets versicherte – qualvoll, wie sich die erschütterte Weltöffentlichkeit sicher war.
Die Obrigkeit der Sowjetunion blieb jedoch lange Zeit bei der ursprünglichen Propagandalüge, dass Laika vier Tage im All überlebt und unverzichtbare wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert hatte, ehe sie wie vorgesehen an einer Giftration in ihrem Futter gestorben sein soll. Doch schon 1957 ging, gänzlich unbeeindruckt von solch überschwänglichen Reden im Äther über dem Kreml, ein Aufschrei durch den Rest der Welt. Erst Ende der Neunziger räumte man schließlich auch in der ehemaligen Sowjetunion ein, dass Laikas Heldentod beschönigt worden war und doch keine großartigen, elementaren Erkenntnisse für die Raumfahrt-Forschung geliefert hatte, wie es ursprünglich einmal hieß.
Als 2002 weitere neue Informationen ans Licht der Öffentlichkeit gelangten, war für Comic-Künstler Nick Abadzis endlich die Zeit gekommen, die Geschichte als Graphic Novel umzusetzen. »Dass das eine gute Story ist, wusste ich schon, seit ich sechs Jahre alt war«, sagte er einmal in einem Interview. Mit den neuen Infos und dem 50-jährigen Jubiläum der Sputnik-Erfolge vor Augen, schuf er 2007 also seinen Comic-Roman Laika.
Wie bei der zweiten Sputnik-Mission führte die geplante Veröffentlichung zu just diesem geschichtsträchtigen Datum jedoch zu einem äußerst straffen Zeitplan: Ursprünglich hatte Abadzis sogar eine Trilogie mit dem Stoff im Sinn gehabt. Doch da das 50-jährige Sputnik-Jubiläum inzwischen viel zu nahe war, um eine dermaßen umfassende Reflexion der Ereignisse zu realisieren, dampfte er seinen Handlungsentwurf ordentlich ein und schrieb und zeichnete in acht Monaten 200 Comic-Seiten. »Es wäre stark untertrieben, es als extrem harte Arbeit zu bezeichnen«, erinnerte sich der 1965 in Schweden geborene und in England und der Schweiz aufgewachsene Künstler vor einiger Zeit an die Entstehung seines Comic-Denkmals für den ersten irdischen Weltraumpionier auf vier Pfoten.
Dessen Geschichte bereicherte Abadzis für seinen Comic um eine recht traurige Herkunftsgeschichte als Straßenköter, die wie viele Szenen im Band von großer, fast schon russischer Melancholie durchzogen ist. Letztlich ist die vorzügliche Mischung aus gut recherchierten Fakten und anreichernder Fiktion der Trumpf dieser Graphic Novel über einen kleinen Mischlingshund, der vom verschmähten Liebling und einem Leben auf den kalten Straßen seiner Heimat zur Hoffnung im schweißtreibenden Wettrüsten mit Blick auf das Weltall wird. Dafür muss Laika nicht nur in einen Raumanzug schlüpfen oder sich an Gel-Futter gewöhnen, sondern wird auch in einer Zentrifuge und einem Düsenjäger auf ihre G-Kraft-Verträglichkeit getestet. Was für den Hund schon aus logischen Gründen eine Strapaze ist, wird auch für seine Betreuer, denen er ans Herz gewachsen ist, zur Zerreißprobe, obwohl sie eigentlich nur das Wohl des Systems im Sinn haben sollten. Nur selten darf Laika einfach nur Hund sein – etwa wenn der Leiter des Hunde-Projekts bei der Luftwaffe Mitleid mit dem Tier hat, das seinen Raumflug nicht überleben wird, und Laika am Abend vor der Abreise zur streng bewachten Raketenbasis mit nach Hause nimmt, damit die kluge kleine Hündin mit seinen Kindern spielen kann.
Doch Abadzis beschränkt sich nicht auf das Schicksal seines schwanzwedelnden Protagonisten. Vielmehr stellt er eine gesamte Ära dar, in der das typisch menschliche Greifen nach den Sternen von globaler politischer Bedeutung gewesen ist. Permanent hat Abadzis die Menschen im Blick, die auch ohne die Verbindung zu einem in ständiger Gefahr lebenden, dem Tode geweihten Hund in einer brisanten, schwierigen Lage stecken – in einer Welt, in der blindwütiger Patriotismus über alles geht und ein falsches Wort und eine vage Verleumdung schreckliche Folgen haben können. Was niemand besser weiß als Chefkonstrukteur Sergei Koroljow, der vor seinem Aufstieg als treibende Kraft des Sputnik-Projekts in einem Gulag inhaftiert war. Offenheit ist demzufolge nur selten Teil des aufgesetzten Alltags, der um Laika herum gelebt wird, und wird noch am ehesten in einem eingebildeten Gespräch vor dem Hundezwinger erreicht, wenn die aufgestauten Schuldgefühle ein dringend nötiges Ventil suchen …
In vielen kleinen Panels und mit einem ganz eigenen künstlerischen Duktus fängt Abadzis das Leben der Männer und Frauen in dieser Hochphase des Kommunismus ein und verknüpft ihr Schicksal mit der rasanten Entwicklung des sowjetischen Raumfahrtprojekts und dem Werdegang von dessen erstem großen, vierbeinigen Helden. Dabei ist Abadzis, dessen Comic-Arbeiten schon in der Times und im Guardian erschienen, zuweilen so detailverliebt wie Tolkien und achtet sogar auf eine akkurate Darstellung der Mondphasen, wann immer es anhand eines konkreten Datums möglich gewesen ist. Seine umfassenden Recherchen der Hintergründe und der wahren Begebenheiten führten Abadzis, der heute in London lebt, unter anderem in die British Library und in Koroljows Haus in Moskau. Der Aufwand hat sich gelohnt: Wahrscheinlich war es nur mit so vielen harten Fakten möglich, durch das allgegenwärtige politische Lügengespinst zu blicken und vor allem das spezielle Zeitgefühl dieser von hektischer, ja gefährlicher Betriebsamkeit durchzogenen Ära hinter dem Eisernen Vorhang so gut auf die Seiten seines nicht ohne Grund mit dem Eisner Award prämierten Comics zu bannen.
Trotz der tollen Verwebung von Nachforschungen, Tatsachen und der Phantasie eines begabten Erzählers hätte Laika am Ende noch über seinen Protagonisten stolpern können. Denn es ist alles andere als leicht, bei einem niedlichen Hund mit einem so tragischen Schicksal – der laut zeitgenössischen Fotografen wirklich herzallerliebst und vereinnahmend gewesen sein soll – nicht permanent ins Kitschige abzudriften. Abadzis gelingt dieses Kunststück jedoch beinahe durchgehend: Seine Bilder und Dialoge sind immer sehr gefühlvoll und häufig sogar rührend, aber eben nur selten unangenehm gefühlsduselig. Nach dem zweiten Kapitel und einer surrealen Traumsequenz eigentlich so gut wie gar nicht mehr.
Comic-Heldengeschichten um die klassischen Superhelden wie den amerikanischen Super-Pfadfinder Superman und seinen Superhund Krypto stehen angesichts der omnipotenten Macht des Mannes und des Hundes aus Stahl gerne in dem Verdacht, Menschlichkeit und das Gefühl echter Herausforderungen vermissen zu lassen, da die Heroen quasi unverwundbar sind und nicht scheitern, ja damit letztlich nicht sterben können. Demnach ist Laika genau der richtige Comic für alle, die mit dem endlosen Kampf für Gerechtigkeit und eine bessere Welt nichts anfangen können. Denn Nick Abadzis Graphic Novel ist eine tierische, dramatische und doch realistische Heldengeschichte mit ausgesprochen viel Tragik und Menschlichkeit, deren bekannter Ausgang nichts an ihrer Eindringlichkeit oder handwerklichen Qualität ändert. Oder daran, dass echte Helden nicht immer ihr Happy End bekommen.
Immerhin, Laika bekam noch ein paar alternative Enden spendiert: Denn um einen Washingtoner Comicladen zu unterstützen – und weil die Leute ihn immer wieder auf den Comic ansprechen und man sich, so Abadzis, manchmal eben wünscht, das Ende einer beziehungsweise der Geschichte ändern zu können –, schuf der Künstler 2011 ein paar kurze Strips mit alternativen Schlussszenen für seinen Comic-Roman, wobei sogar Platz für eine Hommage an Kubricks 2001 war. Aber egal mit welchem Ende – Nick Abadzis Laika ist stets ein Ausnahme-Comic.
Nick Abadzis • Laika • Atrium Verlag, Hamburg 2011 · 205 Seiten · € 20,–
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