23. Mai 2020

Alternative Realität

Die Mini-Serie „The Plot Against America“ zeigt eine erschreckend realistische Version der US-Geschichte

Lesezeit: 3 min.

Kontrafaktische Geschichtsschreibung. Einfacher gesagt „Was wäre wenn?“-Geschichten sind im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte ein Randgebiet, das unter ernsthaften Forschern eher verpönt ist. Zu spekulativ ist ihnen die Auseinandersetzung mit Fragen, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn kleine Ereignisse anders verlaufen wären. Die Literatur ist von solchen Einschränkungen frei und gerade angelsächsische Autoren nutzen diese Freiheit gern, um sich vorzustellen was passiert wäre, wenn es nicht gelungen wäre, Hitler-Deutschland zu besiegen. Robert Harris „Vaterland“ (im Shop) ist hier zu nennen oder Philip K. Dicks „Das Orakel vom Berge/ The Man in the High Castle.“ Oft wurden diese Visionen als reißerisch abgetan, als Spielerei von Unterhaltungsautoren, doch auch einer der anerkanntermaßen ganz großen der amerikanischen Literatur hat sich in diesen Bereich vorgewagt. Der jüdische Autor Philip Roth, der bis zu seinem Tod vor zwei Jahren immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis galt veröffentlichte in der letzten großen Schaffensperiode seines Lebens den Roman „Verschwörung gegen Amerika“, der nun Vorlage für die von David Simon und Ed Burns produzierte Mini-Serie „The Plot Against America“ ist.

Viel näher als andere Autoren bleibt Roth an der Realität, spinnt reale Begebenheiten nur ein bisschen weiter: Im Sommer 1940 beginnen Buch und Serie, als in Europa längst der Zweite Weltkrieg tobt, der amerikanische Präsident Franklin Roosevelt aber noch zögert, mit der ganzen wirtschaftlichen und militärischen Macht Amerikas einzugreifen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist skeptisch, zu nah ist die Erinnerung an den letzten Weltkrieg und die gerade erst überwundene Weltwirtschaftskrise, als das die Nation schon wieder zur Rettung in das alte Europa eilen will.

Diese Stimmung macht sich Charles Lindbergh zu Nutze, der Jahre zuvor durch seine Atlantiküberquerung zum Volkshelden geworden ist, dessen offener Antisemitismus dabei nicht im Wege steht. Aus der Sicht einer jüdischen Familie werden die Ereignisse geschildert, die Angst vor zunehmenden Angriffen, aber auch ihrer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft hat.


Winona Ryder und Zoe Kazan in „The Plot Against America“, HBO/Sky


Azhy Robertson in „The Plot Against America“, HBO/Sky

2004 erschien Roths Roman, also genau zur Hälfte der Präsidentschaft von George W. Bush. Als Reaktion auf die nach dem elften September eingeschränkten Bürgerrechte, die Kriegstreiberei von Bush und Rumsfeld, der offenen Anfeindung von Muslimen wurde der Roman gelesen, die Serie dagegen hat ein anderes Ziel: Donald Trump. Wenn am Ende der zweiten Folge etwa Lindbergh seinen enthusiastischen Anhängern „Tonight, we have taken back America!“ entgegen brüllt, meint man den aktuellen amerikanischen Präsidenten zu hören.

Doch Simon und Burns – die zusammen die legendäre Serie „The Wire“ verantworteten – machen es sich zum Glück nicht so einfach und verlassen sich nur auf linken, liberalen Populismus. Im Fokus ihrer Erzählung steht die jüdische Familie Levin (eine lose Variation der tatsächlichen Familie Philip Roths, der 1940 sieben Jahre alt war) und ihre unterschiedliche Reaktion auf die sich verändernde Welt. Sehen manche Familienmitglieder in Lindbergh den antisemitischen Demagogen, der er ist, versuchen andere vorsichtig zu sein und glauben, dass es schon nicht so schlimm werden wird. Ihre Freundin Evelyn (Winona Ryder) dagegen, beginnt eine Beziehung mit Rabbi Bengelsdorf (John Turturro), der sich im Glanz des großen Mannes sonnt und Lindbergh unterstützt. Man mag hier leicht Parallelen zu den Vertretern der amerikanischen Arbeiterklasse sehen, die Trump vehement unterstützen, ohne zu realisieren, dass sich der Millionär nicht wirklich für sie und ihre Nöte interessiert.

Doch solche Parallelen zur Gegenwart Amerikas werden nur angedeutet. So wie die literarische Vorlage ist auch die Serie eine Parabel über das Leben unter einem autokratischen Herrscher, über den schleichenden Verlust von Rechten, die freiwillige Aufgabe von Meinungsfreiheit und letztlich das Beschwichtigen, das katastrophale historische Transformationen erst möglich macht.

Abb. ganz oben: John Turturro in „The Plot Against America“, HBO/Sky

The Plot Against America • USA 2002 • Creator: David Simon & Ed Burns • Darsteller: Winona Ryder, John Turturro, Zoe Kazan, Morgan Spector • jetzt auf Sky

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