26. Mai 2024

„Atlas“ – 100-Millionen-Dollar-Weltschraumschrott

Jenny from the Block im All

Lesezeit: 4 min.

Es gibt genau zwei Arten von Superstars: Die einen, sagen wir mal Ryan Gosling oder Scarlett Johansson, haben sich mit Charisma und Talent einen Platz im Olymp erkämpft, die anderen, sagen wir mal Drake oder Jennifer Lopez, haben zum richtigen Zeitpunkt einen Nerv getroffen und sich dann als geschäftstüchtig genug erwiesen, um dauerhaft den Rubel rollen zu lassen.

Letztere, die im Haupt- und im Prinzip einzige Darstellerin von „Atlas“, setzte schon früh in ihrer Filmkarriere auf Produktdiversifikation: Die schauspielernde Lateinamerikanerin sprang auf den Latin-Pop-Zug der Neunziger auf und wurde ebenso Sängerin, mit Hits wie „Jenny from the Block“, brachte Mode, Parfüm, Körperlotion, Hautcreme und Barbiepuppen auf den Markt, eröffnete ein Restaurant und vermarktete sich selbst hemmungslos: Nicht nur, dass sie bei jeder Gelegenheit ihren sicherlich absolut anbetungswürdigen Hintern vor die Kamera schob, auch das vermeintliche Privatleben wurde zur Freude der Klatschpresse genüsslich ausgebreitet. Vor allem die turbulente Beziehung zu Ben Affleck, Codename „Bennifer“, gab und gibt immer noch einiges her. Bei soviel omnipräsentem Glamour fielen die künstlerischen Errungenschaften natürlich weit weniger ins Gewicht: Dass sie ihre Hits gar nicht oder nur zum Teil selbst eingesungen hat? Egal. Dass man Highlights in ihrer Filmographie mit der Lupe suchen muss? Egal. Jennifer Lopez wird geliebt, weil Jennifer Lopez Jennifer Lopez ist. Reich und schön. Und dieser Hintern erst!


Jennifer Lopez


Jennifer Lopez

Die wenigen gelungenen Auftritte als Schauspielerin kann man getrost weniger auf Lopez als auf die jeweiligen Regisseure zurückführen. Ein Beispiel wäre „Out of Sight“ (1998) von Auteur Steven Soderbergh. Bei „Atlas“ saß allerdings Brad Peyton auf dem Regie-Sessel. Peyton ist so ziemlich das exakte Gegenteil von Soderbergh. Ein Erfüllungsgehilfe, der drei große, längst vergessene Krawall-Hits mit Ex-Wrestler Dwayne Johnson hatte („Die Reise zur geheimnisvollen Insel“, 2012; „San Andreas“, 2015; „Rampage - Big Meets Bigger“, 2018). Peyton ist ein Mann fürs ganz Grobe, jemand, der weitaus lieber Effekte als Schauspieler inszeniert, ansonsten hätte er seiner Hauptdarstellerin mit Nachdruck von der bizarren Wischmopp-Friseur abgeraten, die allerdings, sowie die Schminke, in jeder Szene perfekt sitzt. Logisch, die für ihre Eitelkeit berüchtigte Darstellerin war zudem Co-Produzentin.

Lopez spielt die koffeinsüchtige und gegenüber künstlicher Intelligenz zutiefst misstrauische Analystin Atlas Shepherd und um zu signalisieren, dass es sich um einen „schwierigen“ Charakter handelt, trägt sie eine Brille, die dann aber später abkommt, womit leider nichts mehr von der Frisur ablenkt. Das Geschehen spielt in der Zukunft, ist aber aus tiefer Vergangenheit, aus Filmen wie „Aliens: Die Rückkehr“ (1986) oder der „Terminator“-Reihe (1984 -2019), bestens bekannt bzw. wurde von diesen Vorbildern zum Teil verblüffend schamlos kopiert. Mit KI ausgestatte Roboter haben ein eigenes Bewusstsein entwickelt und jede KI, die nur ansatzweise was taugt, kommt – absolut nachvollziehbar – schnell auf die Idee die Menschheit auszulöschen. KI-Terrorist Harlan führt seine Kollegen in den Krieg gegen ihre Schöpfer. Doch die Menschen gründen eine internationale Allianz und drängen die Angreifer zurück. Harlan flieht mit einer Rakete in die Weltraum. 28 Jahre später findet Shepherd heraus, dass sich der Robo-Schurke auf einen lebensfeindlichen Planeten in der Andromedagalaxie befindet und macht sich mit einer Militäreinheit und ebenfalls mit KI ausgestatteten Robotern auf die Jagd …


Jennifer Lopez


Jennifer Lopez

In den restlichen 100 Minuten passiert dann nicht viel mehr, als dass Lopez auf der Suche nach Harlan in einem Mech über den visuell einfallslosen Planeten stampft, dabei mit der Roboter-KI, die den Namen Smith trägt, an Therapiesitzungen erinnernde Gespräche führt (ein bisschen wie in „Spaceman“) – unterbrochen von videospielartigen Actionszenen und einer „schockierenden“ Rückblende in die Vergangenheit, die eine Verbindung zwischen Shepherd und dem Gott sei Dank eher ungesprächigen Bösewicht offenbart.

Dass das eine teure Produktion war, mit 100 Millionen Dollar die bislang teuerste Netflix-Produktion mit einer Frau in der Hauptrolle, sieht man an den Effektszenen, die wie bei komischerweise fast jeder Produktion jenseits der 100-Millionen-Dollar-Marke aussehen wie Playstation anno 2005 und zudem noch schlecht geschnitten sind. Da könnte man vielleicht noch drüber hinwegsehen, wenn nicht Lopez von der Regie offenbar völlig alleine gelassen wurde: Die leider ständig zu sehende Darstellerin betont hier jedes Gefühl und jede Dialogzeile viel zu sehr und reißt häufig weit die Augen auf – das ist eher Volksbühne als Big-Budget-„Kino“ und geht bereits nach wenigen Minuten auf die Nerven (der hin- und her wackelnde Wischmopp macht’s nicht besser). Zumal andere Darsteller wie Simu Liu, Mark Strong oder Sterling K. Brown kaum zum Zuge kommen. Jenny from the Block steht voll und ganz im Mittelpunkt.

„Atlas“ ist als Teil eines mehrjährigen Deals zwischen Lopez’ Produktionsfirma Nuyorican Productions und Netflix entstanden, der Regisseurinnen, Autorinnen und Schauspielerinnen zu mehr Präsenz verhelfen soll. Die emanzipatorische Haltung ist begrüßenswert: Aber ist es dann wirklich eine gute Idee, einen Film zu drehen, in dem eine äußerst emotionale Frau fast den ganzen Film von einer coolen Männerstimme alles erklärt und gesagt kriegt, wo’s langgeht?

Letztendlich egal. So wie der ganze Film, an den sich in ein paar Tagen auch keine künstliche Intelligenz mehr erinnern wird.

Atlas • USA 2024 • Regie: Brad Peyton • Darsteller: Jennifer Lopez, Simu Liu, Sterling K. Brown, Gregory James Cohan, Abraham Popoola, Lana Parrilla, Mark Strong • jetzt auf Netflix

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