22. Mai 2015 4 Likes

Auf zum Atem!

Morgenland ist abgebrannt: Brad Birds „A World Beyond“

Lesezeit: 4 min.

Nach „Pirates Of The Caribbean“ jetzt also „Tomorrowland“. Noch ein Multiplex-Knaller, der für seine Basisprämisse kein narratives Vorbild braucht, sondern etwas abstrakter und figurativer eine Menge Entertainment-Hardware in Form von Achterbahnen und Kettenkarussells kannibalisiert. Walt Disneys populär-visionäres EPCOT-Center (Experimental Prototype Community of Tomorrow) dient als Inspiration für Brad Birds neusten Realfilm nach „Mission Impossible: Phantom Protocol“ und einer Reihe sehr gelungener Animationserfolgen („Der Gigant aus dem All“, „Die Unglaublichen“, „Ratatouille“). Besagtes Center wurde als Teil der Walt Disney World in Orlando, Florida entworfen, um dem zukunftsoptimistischen Spirit der 60er-Jahre ein Forum zu bieten, eine Spielweise zur Darstellung der utopistischen Frontier-Mentalität bereitzustellen, die der nicht unumstrittene Unterhaltungspionier Disney als konstitutiv für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erachtete. Blick nach vorn, Kopf in den Wolken, „auf zum Atem“ (Rainier Wolfcastle).

Anders als Gore Verbinskis Johnny-Depp-Vehikel, die ja tatsächlich nicht viel mehr machen, als bloß die erste Hälfte des Begriffs „Theme Park“ zu verfilmen und sich aus einem möglichst breit aufgestellten Thema einfach eine ganz eigene Piratenklamotte stricken, ist es das erklärte Bestreben der „A World Beyond“-Macher („Tomorrowland“ geht aus Copyright-Gründen in Europa nicht – in Deutschland hätte man das Ganze doch auch einfach „Morgenland“ nennen können, das wäre auf vielen Ebenen passender gewesen), den ganzen Vergnügungspark in einen Film zu verwandeln – inkl. soziologischer und kulturoptimistischer Ideologie. „It’s inspired by a Disney frame of mind“, sagt Bird. Weg mit den ganzen gruseligen Dystopien (Huxley und Orwell werden im Film explizit genannt), Schluss mit den postapokalyptischen Wüstenrennen - hier ist jemand am Werk, der nicht einfach den nächsten großen globalen Geldgenerator sucht, sondern scheinbar ein echtes Anliegen hat. Worldbuilding statt Franchisebuilding, Silver Linings statt Fury Road.

Bird ist der richtige Mann dafür. Bereits in seinen Animationsfilmen wandelte er auf den Spuren der zukunftsoptimistischen SF, präsentierte in „Der Gigant aus dem All“ einen freundlichen Riesenroboter und in „Die Unglaublichen“ eine retrofuturistische Welt, die in gut gelaunter Beiläufigkeit einen fortschrittsorientierten Subtext strickte, der in den großen Schreckgespenstern der dystopischen Phantastik - Technologie und Innovation - keine Bedrohung sah, sondern Bereicherung. Das Produktionsdesign ist 1a, die Kamera von Claudio Miranda („Life Of Pi“) weiß genau, wie man sowas in Szene setzt, die Darsteller sind durch die Bank top, sogar Schnitt-Veteran Walter Murch („Apocalypse Now“) konnte für dieses Projekt aus dem Dämmerschlaf geholt werden. Doch warum nur ist das fertige Produkt so elendig deprimierend und passt trotz erklärter Gegenposition perfekt in den CGI-fizierten Blockbuster-Mulm des Jahres 2015? Die Antwort: wahrscheinlich Damon Lindelof.

Der Autor, der aus irgendeinem Grund alles schreiben darf, was später ein Budget jenseits der 150 Millionen Dollar hat, hinterlässt auch hier wieder seinen unnachahmlichen Fingerabdruck der überflüssigen Verschwurbelung. Dieser Mann misstraut allem Simplen, hat noch nicht einen überzeugenden dritten Akt zustande bekommen und ist nicht erst seit seiner Zeit bei „Lost“ perfektes Sinnbild des nachlässigen Schluderers – und erklärtes Feindbild der Fans, wie der legendäre Twitter-Krieg zeigt, den er sich mit genervten Nerds lieferte.

Klar hat „A World Beyond“ eine Menge zu bieten: eine wirklich interessante Dynamik innerhalb des Protagonisten-Trios aus George Clooney (der endlich mal den grumpy old man spielen darf, der zu seinem Alter passt), Britt Robertson und der großartigen Newcomerin Raffey Cassidy, eine narrative Struktur, die geschickt zwischen gestern, heute und morgen hin und her springt sowie wunderbare Referenzen an den 80er-Jahre-SF-Fun von Leuten wie Joe Dante oder Robert Zemeckis, retrofuturistische Schauwerte von Jetsons bis Steampunk, Setpieces direkt aus „Roger Rabbit“. Doch anders als diese viszeralen Injektionen filmischer Exuberanz trägt „A World Beyond“ den Keim der schlechten Laune von Beginn an in sich. Hier muss ein Antagonist her, der nicht bloß schnurrbartzwirbelnd fiese Sprüche klopft, sondern in seiner Rolle als Dark Disney allem Fun endgültig den Saft abdreht, als er die MESSAGE monologisierend in den klimaktischen Raum stellt. Nicht nur ist dieser Showdown ein perfektes Beispiel dafür, wie man einen eigentlich ganz gut funktionierenden Roadtrip trotz maximaler Firepower schließlich zum ewigen Stillstand bringt, sondern auch die mustergültige Demonstration des universellen Widerspruchs zwischen gut gemeint und gut gemacht. Hier wird gepredigt, als gäb’s kein Morgen - und in diesen Momenten stört die Visage von Clooney als Gesicht des ultra-liberalen Hollywood dann doch etwas. Wo bleibt der Spaß, wenn am Ende der britische Bösewicht im langen schwarzen Mantel ganz buchstäblich von der Moralkeule erschlagen wird - noch dazu in der Optik eines „Spy Kids“-Finales?

Schließlich gewinnen die „Träumer“, die Optimisten und Vorwärtsdenker. Doch was das wirklich bedeutet, bleibt unklar. „A World Beyond“ will sehr viel auf einmal, möchte das Unbedarfte und Schöpferische der SF von gestern feiern, opfert es jedoch auf dem Altar des übel verschachtelten Blockbusterkinos von heute. Da bleibt dann leider nicht mehr viel für morgen übrig.

A World Beyond ist seit dem 21.5. bei uns im Kino zu sehen.

A World Beyond (USA 2015) • Regie: Brad Bird • Darsteller: George Clooney, Britt Robertson, Hugh Laurie, Raffey Cassidy, Judy Greer

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