13. Juli 2020 3 Likes

Comic vs. Film: 1:0

„The Old Guard“ - Comicverfilmung ohne Comic

Lesezeit: 4 min.

Mit „The Old Guard“ schickte Greg Rucka 2017 seine ganz persönliche Variante eines Superheldenteams in den gnadenlosen Kampf um die Gunst der Leserschaft. Die Geschichte ist dabei recht simpel: Erzählt wird von einer fünfköpfigen Gruppe Kämpfer, die von der 6732 Jahre alten Andy angeführt wird. Die Superkraft der zwei Frauen und drei Männer fällt im Vergleich zu den Kollegen aus dem Hause Marvel oder DC verhältnismäßig unspektakulär aus: Sie können nicht sterben. Das heißt, eigentlich schon, aber wann die Fähigkeit zur Regeneration aussetzt, weiß niemand. Was sich ganz reizvoll anhört, bringt in der Praxis eine Menge Probleme. Abgesehen von dem Umstand, dass man über die Jahrhunderte, Jahrtausende natürlich viele, viele Menschen sterben sieht, auch diejenigen, an denen einem an was lag, müssen die tapferen Recken bevorzugt im Geheimen und in Einsamkeit operieren, um Fragen zu vermeiden. Allerdings ist es in unserer modernen, klein gewordenen Welt schwierig geworden, unentdeckt zu bleiben und so heftet sich der psychopatische Pharma-Milliardär Merrick, der in der Unsterblichkeit das Geschäft seines Lebens sieht, an ihre Fersen …


Gar nicht so alt … „The Old Guard“ - der Comic

Eine im Grunde reichlich banale Konstellation, Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten werden von überambitionierten Finsterlingen gejagt, wer jetzt ganz laut „X-Man“ kreischt liegt nicht verkehrt, doch im Kern dreht sich „The Old Guard“ um etwas anderes, nämlich um das Leben. Ist der jahrhundertealte Menschheitstraum nie wieder sterben zu müssen wirklich so erstrebenswert? Oder ist ein Ende vielleicht doch keine so schlechte Option? Und was macht das Leben eigentlich lebenswert? Das klingt schwer nach einem bleischweren Philosophiekurs, sorgt aber in erster Linie für kleine nachdenklich-melancholische Momente, welche dafür verantwortlich sind, dass die Geschichte zu einem gewissen Grad über sich hinauswächst. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal findet sich in der tollen grafischen Gestaltung von Leandro Fernández (Zeichnungen) und Daniela Miwa (Farben), die nicht nur durch tolle, prägnante Gesichtsausdrücke, einer eindrucksvollen Verwendung von Schatten und einer abwechslungsreichen, sehr kräftigen farblichen Gestaltung besticht, sondern auch in Punkto Dynamik wirklich sämtliche Register zieht. Persönlicher Lieblingsmoment: Der Beginn der finalen Schlacht wird ganz überraschend mit einer knalligen Splashpage im Querformat eingeleitet.


CSI: Old Guard – „The Old Guard“, Netflix

Der Comic ist ein grüblerisches, aber ebenso buntes, fiebrig-inszeniertes, blei- und bluthaltiges Märchen und leider tut sich Regisseurin Gina Prince-Bythewood, die mit ihren Vorgängerfilmen „Basketball“ (2000), „Die Bienenhüterin“ (2008), „Beyond the Lights“ (2014) im Dramenbereich tätig war, mehr als schwer damit, eine adäquate filmische Bildsprache zu finden. Am ehesten gelingt das noch bei den Action-Momenten, die sich alles in allem sehen lassen können, obwohl gelegentlich, wie so häufig im amerikanischen Kino, Hektik mit Dynamik verwechselt wird und deplatzierte Musik die Wirkung unterminiert. Ansonsten macht sich ihre Regie aber leider kaum bemerkbar. Anders als zum Beispiel Cathy Yan bei „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“ vor ein paar Monaten unternimmt Prince-Bythewood keinerlei Versuche die stilistische Extravaganzen der Vorlage zu transferieren, sondern setzt auf formlose, „realistische“ Bilder, die das Geschehen zu einem handelsüblichen Fernsehthriller mit gelegentlichen Ausflügen in den historischen Bereich banalisieren, in dem so manch flotter Spruch oder pathetischer Dialog nicht mehr so wirkt wie in der überhöhten Realität auf dem Papier.


Chicago: Old Guard – „The Old Guard“, Netflix

Das wird besonders spürbar, weil sich das Drehbuch, das ebenfalls von Rucka verfasst wurde, bis auf eine größere Änderung eng an die Vorlage klammert; der Film kommt ein wenig rüber, als ob eine Schwarz-Weiß-Kopie vom Comic gezogen wurde, der Text ist der Gleiche, aber er findet nicht mehr mit den Bildern zusammen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Rückblenden in die Vergangenheit der Figuren bereits in der Vorlage recht knapp ausgefallen sind, aber für die Verfilmung vor allem auf die Figur von Andy (Charlize Theron) reduziert und selbst da relativ kurz gehalten wurden. Was wiederum dazu führt, dass die emotionale Seite des Ganzen in so manchem Augenblick ins Leere läuft. Die Wunden der Vergangenheit – eigentlich ja ein wichtiges Element der Handlung – werden in erster Line dadurch deutlich, dass die unterforderte Darstellerriege vor allem melancholisch bis traurig in die Kamera guckt. Das ist definitiv zu wenig für den epischen Weltschmerz-Anspruch, denn die Story vor sich her trägt. Aber selbst als reine Actionunterhaltung boykottiert sich die Adaption selbst: Die Entscheidung den muskelbepackten, tätowierten Merrick des Comics durch Harry Potters Cousin zu ersetzen, war keine Sternstunde der Macher, denn der chargierende Harry Melling wirkt mit seinen aufgerissenen Knopfaugen ungefähr so bedrohlich wie Yogi Bär.

Kann man – dank der ordentlichen Actionszenen – „weggucken“, aber letztendlich ist „Old Guard“ nur der nächste Netflix-Hype, an den sich in ein paar Tagen kein Mensch mehr erinnern wird. Wer Lust auf die Story hat sollte definitiv zum Comic greifen!

„The Old Guard“ ist seit dem 10.07.2020 auf Netflix abrufbar.

The Old Guard (USA 2020) • Regie: Gina Prince-Bythewood • Darsteller: Charlize Theron, Harry Melling, Natacha Karam, Chiwetel Ejiofor, Marwan Kenzari, Anamaria Marinca

Greg Rucka, Leandro Fernández: The Old Guard 1 – Das erste Gefecht • Bielefeld 2017, Splitter • 184 Seiten • Hardcover: 24,80€

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