3. November 2014 2 Likes

Die ganz normale Paranoia

Laura Poitras’ Doku „Citizenfour“ über Edward Snowden fühlt sich an wie ein allzu realer Thriller

Lesezeit: 3 min.

Eine Bettdecke als Schutz vor der Krake NSA. In diesem Moment, wenn Edward Snowden auf einem Hotelbett in Hongkong sitzt und sich mitsamt seines Laptops unter einer Bettdecke verkriecht, seinem „magischen Tuch“, wie er es nennt, um sich beim Eintippen eines Passwortes vor möglicher Kameraüberwachung zu schützen, wird die ganze Macht des größten und mächtigsten Überwachungsdienstes aller Zeiten deutlich.

Zu diesem Zeitpunkt, ungefähr zur Hälfte von Laura Poitras’ Dokumentarfilm „Citizenfour“ haben Poitras, Snowden und der Guardian Journalist Glenn Greenwald schon mehrere Tage in Snowdens Zimmer verbracht, haben Einblick in die Daten bekommen, die Edward Snowden in monatelanger Arbeit von den Computern der NSA kopiert hat und nun an die Öffentlichkeit bringen will. Was Snowden über die Machenschaften der NSA veröffentlichte ist inzwischen bekannt, ebenso seine Flucht nach Moskau, wo er seitdem Asyl genießt. Neue Enthüllungen hat Poitras mit „Citizenfour“ nicht zu bieten, aber darum geht es auch gar nicht.

Was der Regisseurin gelingt, besonders im Zentrum des Films, der eine Stunde lang praktisch nur in Snowdens Hotelzimmer bleibt, ist zweierlei: Zum einen die fast minutiöse Darstellung, wie Enthüllungsjournalismus funktioniert. Als Regisseurin hält sich Poitras hier zurück und beobachtet Snowden und Greenwald, die über Details des geplanten Scoops reden, Vorsichtsmaßnahmen treffen, versuchen, sich so gut es geht abzusichern und schließlich die weltweiten Reaktionen auf die Veröffentlichungen am Fernseher mitverfolgen, gleichzeitig aber schon an den nächsten Artikeln arbeiten. So spannend wie in diesen Momenten war Journalismus selten.

Der zweite zentrale Aspekt ist die Paranoia, die über allem schwebt. Mal ist es eine Sirene im Hotel, die für Irritation sorgt, mal der Hinweis, dass vor Snowdens Haus in Amerika seit Tagen ein Reparaturdienst scheinbar ohne Grund parkt. Telefone werden ausgestöpselt, Akkus aus Handys entfernt oder eben – ganz analog – der Monitor per Bettdecke geschützt. Dass erstaunliche dabei ist, wie selbstverständlich Snowden mit dieser Paranoia umgeht, wie sehr ihm die ständigen Vorsichtsmaßnahmen schon in Fleisch und Blut übergegangen sind. Fraglos zu Recht, wie er als langjähriger Angestellter der NSA selbst am besten weiß.

An die Faszination, die Dichte dieser zentralen Stunde, der acht Tage in Snowdens Hotelzimmer kommt der Rest von Poitras Film nicht heran. Vor- und nachher spannt sie einen weiten Bogen, berichtet vom ersten Kontakt mit Snowden per email (nachzulesen etwa hier) anderen Whistleblowern, der zunehmenden Erkenntnis, welche Ausmaße die Überwachung jeglicher elektronischer Kommunikation inzwischen genommen hat.

Besonders in den letzten Minuten von „Citizenfour“ merkt man dann auch, mit welch heißer Nadel Poitras ihren Film erst kurz vor seiner Premiere Ende Oktober beendet hat, wie immer neue Ereignisse hinzukamen, immer neue Schnittfassung ausprobiert wurden. Dies ist zwar eine Schwäche, andererseits auch eine der größten Qualitäten von „Citizenfour“, der so aktuell ist, wie selten ein Dokumentarfilm. Dass es ihm dabei gelingt nicht einfach nur die Fakten darzustellen, sondern dem Menschen Edward Snowden nahe zu kommen, macht ihn zu so einem spannenden Film.

Bild via Variety

Citizenfour • USA 2014 • Regie: Laura Poitras • Kinostart 6. November

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